Das Wiener Traditionsunternehmen Lobmeyr öffnete seine Pforten in der Salesianergasse für einen Werkstattbesuch

Die Produktionsstätte von Lobmeyer in der Salesianergasse in Wien-Landstraße wirkt wie ein seit Generationen bestehender Familiensitz, wurde aber erst vor gut 35 Jahren erworben. Ursprünglich war hier die Lusterwerkstätte Zahn beheimatet. Lobmeyr hat Werkstatt und Haus der noch älteren Lusterfirma 1972 komplett übernommen, den Namen aber noch bis 2011 weitergeführt.

Foto: derStandard.at/eder

Durch ein unauffälliges Tor gelangt man in einen großen Innenhof. "Dieser Ort war für uns die erste Gelegenheit, eine eigene Werkstätte in Wien aufzubauen", sagt Leonid Rath, der das weltweit bekannte Unternehmen für österreichisch-böhmische Glasherstellung seit dem Jahr 2000 in sechster Generation gemeinsam mit seinen Cousins Andreas und Johannes führt. Die Werkstätten, in denen die Lobmeyr-Gläser und die Luster hergestellt werden, befanden sich vor dem Zweiten Weltkrieg in Tschechien, später mietete man sich bei Swarovski ein.

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Die erste Tür rechts führt in die Glasschleiferei und -gravur. Drinnen ist es heiß und feucht wie in einem Dampfbad. Drei Herren arbeiten unter dem Einsatz von Wasser und Wärme an den Schleif- und Poliermaschinen. Einer hat in der elterlichen Schleiferei im Waldviertel gelernt, die beiden anderen wurden bei Lobmeyr selbst ausgebildet. 

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Beim formgebenden Schliff werden größere Mengen Material vom mundgeblasenen Kristallglas-Rohling abgetragen. Dabei wird das Werkstück an rotierende Steinscheiben unterschiedlicher Form und Körnung gedrückt.

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"Wir hatten nie eine eigene Glashütte", erzählt Rath, "unser Prinzip war immer das des Verlegers." Derzeit kommen die Rohgläser von einer Glashütte in Tschechien, die Modelle für die feineren Kreationen aus Ungarn. Einmal im Monat fährt Leonid Rath selbst hin. "Es ist sehr wichtig, dass der Handwerker versteht, was die Idee hinter dem Entwurf ist. Nur so wird die Idee des Entwurfs im Endprodukt spürbar."

Im Bild: Leonid Rath (li.) und Designer Marco Dessi bei der Entwicklung des Trinkservice "TS281".

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Bis zum Verkauf durchläuft ein Lobmeyr-Glas mindestens 24 Hände und vier Qualitätskontrollen, die letzte immer durch ein Familienmitglied. Sofern es im Endprodukt nicht spürbar wird, nutzt man in der Werkstatt moderne Technologien. "Die Menschen, die bei uns arbeiten, denken mit und versuchen, die Technologien weiterzuentwickeln. Oft sind es die kleinen Tricks, die sich bei uns etablieren", sagt Leonid Rath.

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"Der Mitbewerb arbeitet viel mit Diamantscheiben, aber da ist man relativ limitiert in der Gestaltung: Der Entwurf muss an die Räder angepasst werden. Bei uns ist das Gegenteil der Fall, deshalb arbeiten wir mit Steinrädern, die der Schleifer an das Design anpassen kann", erklärt Rath. Ein Trinkglas macht den Einsatz von bis zu 15 verschiedenen Scheiben nötig. Manche Räder werden nur ein einziges Mal für eine Serie Gläser verwendet, und da auch nur für eine einzige Kante.

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Ebenso entscheidend wie der Schliff ist das Polieren. Auf industrielle Säurepolitur verzichtet man bei Lobmeyr gänzlich, da sie die Präzision des Handschliffs wieder auflöst. Stattdessen wird das Glas auf rotierenden Filz- und Korkscheiben in drei Schritten zum Glänzen gebracht.

Eine Premiere: Dieser Krug wird erstmals nach einer Zeichnung von Adolf Loos aus dem Jahr 1931 umgesetzt. Die Originalzeichnung entdeckte man in einem Archiv in Prag.

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Die Böden der Becher des Loos-"Trinkservice No. 248" können je nach Wunsch dicker oder dünner in Auftrag gegeben werden. Das 1931 entworfene und durch Lobmeyr ausgeführte Service wurde zunächst für die "American Bar" in Wien produziert. Die Becher tragen am Boden einen feinen, seidenmatt polierten Brillantschliff. Lobmeyr hat erst vor kurzem eine Studie in Auftrag gegeben, die die Entwicklungsgeschichte der Loos-Entwürfe erfassen soll. Ein Buch dazu erscheint demnächst im Metro Verlag.

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Ein paar Türen weiter findet sich die Gravur-Werkstätte mit drei Arbeitsplätzen. Die Kupferradgravur gilt als Königsdisziplin der Glasbearbeitung. Sie hat sich aus der Steinschneiderei der griechischen Antike herausgebildet, ihre Hochblüte war im Barock. Die Maschinen im Raum sind alt, aber unverwüstlich und immerhin nicht mehr mit Fußhebeln, sondern bereits mit zwei Schaltern zu bedienen.

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Jede einzelne Kupferscheibe wird von den Arbeitern in die richtige Form gebracht. Ein geübter Graveur kann durch die Variation von Profil und Größe des Rads, Laufgeschwindigkeit, Schmirgelkörnung und Anordnung der Schnitte jede gewünschte Schattierung erzielen.

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Auf die Stirnfläche eines rotierenden Kupferrads wird Schmirgel aufgetragen - Mischungen von Korundstaub mit Öl und Wasser - und dann das Glas gegen das Rad gedrückt. 

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Lobmeyr-Gravuren reichen vom einfachen Monogramm über feine Ornamente bis zum Meisterstück, dem "Gemälde" in Glas. Pavlina Cambalova hat ihr Handwerk in Tschechien gelernt, wo es noch Schulen dafür gibt. Ihr Spezialgebiet ist die Umsetzung von freien organischen Formen, zum Beispiel Porträts. "Sie geht unkonventionell an die Dinge heran, kann in wenigen Schritten in einer sehr natürlichen Art etwas realisieren", sagt Leonid Rath ...

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... und verweist auf die Hortensienblütenblätter auf dem Türknauf für einen amerikanischen Kunden. Die Strukturierung der Oberfläche erfolgte hier mit Stein und nicht mit Kupfer. "Mit dem Stein lassen sich extreme Effekte herausarbeiten. Mit Kupfer würde es in diesem Fall viel zu perfekt werden", so Rath. 

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Dieses Glas mit Monogramm repräsentiert die Lobmeyr-Linie. Sechs bis acht Kupferräder braucht die Graveurin dafür und eine Stunde Zeit für einen Buchstaben. Stücke, die über 1.000 Gravurstunden erfordern, sind hier keine Ausnahme. Der Schriftzug ist eine Arbeit in vielen Etappen, wirkt aber am Ende wie in einem Schwung gezeichnet.

"Was wir gerne machen, sind kleine Gravuren in wirklich guter Qualität. Das ganze Glas mit einer großen Gravur zuzudecken ist nicht unsere Sache", sagt Rath.

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Zerbrechlicher geht's kaum. So scheint es zumindest angesichts des hauchdünnen stapelbaren Becherservice "Nr. 267 Alpha" nach dem Entwurf von Hans Harald Rath, das 1964 mit dem deutschen Staatspreis ausgezeichnet wurde. "Musselinglas scheint zerbrechlich, besitzt aber dank seiner inneren Elastizität und formalen Konstruktion große Widerstandsfähigkeit", sagt Rath. So stattete ein japanischer Importeur bislang 40 Restaurants mit Lobmeyr-Gläsern aus. Langlebiger als Industriegläser seien sie, meint der Importeur. Sollte doch einmal eines zerbrechen, kann jedes Glas und Monogramm nachbestellt werden.

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"Manchmal ist das Glas einfach zu dünn. Es übersteht alle Arbeitsschritte bis zum Polieren, wo es relativ heiß wird, und plötzlich bricht es", zeigt Rath anhand dieses Schmetterlingsglases. Ein teures Vergnügen. Dennoch, "bei der Arbeit am Glas geht selten etwas kaputt".

Soll man die hauchdünnen Gläser wirklich ihrem Zweck zuführen oder doch besser über Generationen in einer Vitrine aufbewahren? "Vor allem die ganz dünnen Gläser sind elastisch", demonstriert Rath am zerbrochenen Exemplar. "Wenn man eines auf einen Teppich oder sogar auf einen Holzboden fallen lässt, kann es das durchaus überleben." 

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Im linken Trakt des Gebäudekomplexes in der Salesianergasse befindet sich ein gut gehüteter Schatz: Im Archiv lagern sämtliche Entwürfe seit der Gründung von Lobmeyr im Jahr 1823. Das Firmenarchiv dokumentiert beinahe 200 Jahre Glasgeschichte und ist nicht nur Vorlagenschatz, sondern stets neue Quelle der Inspiration.

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In Zettelkästen, Mappen und Ordnern finden sich Entwürfe für namhafte Auftraggeber wie die Rothschilds, Theodore Roosevelt, die Königin von Spanien und Baron Victor von Frankenstein. Oswald Haerdtl entwarf seine berühmte Kugeldose 1925. "Der Urgroßvater hat in das Design eingegriffen, da sich der dreiteilige Griff nicht realisieren hat lassen", erzählt Leonid Rath.

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Die Skizzen für diese drei Vasen stammen von Josef Hoffmann, vermutlich aus den 30er Jahren, und sind bisher noch nicht realisiert worden. Die Bekanntschaft Stefan Raths mit Josef Hoffmann und den Künstlern der Wiener Werkstätte führte Lobmeyr ab 1910 ins Zentrum einer neuen, revolutionären Bewegung in Kunst und Kultur. Rath zeigte den Mut und die Offenheit, mit dieser Gruppe radikaler Gestalter zu arbeiten. Neben Josef Hoffmann sind hier Oswald Haerdtl, Ena Rottenberg, Michael Powolny und Oskar Strnad zu nennen.

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Das Archiv umfasst auch etwa 50 bis 60 Laden mit verschiedenen Entwürfen für Gläser, Krüge und Flaschen aus dem 19. Jahrhundert. "Ich habe einmal versucht, ein Rokokomuster an eine andere Glasform anzupassen, und das ist unglaublich schwierig. Die Charakteristik ist sofort eine andere", erzählt Leonid Rath.

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Zeichnung des früheren Stammhauses: 1823 gründete Josef Lobmeyr senior das Unternehmen in der Wiener Weihburggasse und wurde bald Hoflieferant des habsburgischen Kaiserhauses. Sohn Ludwig Lobmeyr wurde zum bedeutendsten Protagonisten der österreichisch-böhmischen Glasherstellung und präsentierte das Unternehmen auf den ersten Weltausstellungen. Ludwigs Neffe Stefan Rath sen. (1902-1960) führte Lobmeyr in die Moderne und war 1912 Mitgründer des Österreichischen Werkbunds. Das Haus in der Weihburggasse wurde abgerissen, Lobmeyr übersiedelte in die Kärntner Straße.

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"Wir verdanken unseren Eltern viel", sagt Leonid Rath. "Sie haben die Substanz des Betriebes bewahrt und nicht ausgebeutet. Sie haben nicht auf große Beteiligungen und Kredite gesetzt." So ist Lobmeyr auch heute ein Familienunternehmen.

Vom Archiv geht's weiter durch Gang und Büro Richtung Straße, wo sich Lager und Schauraum befinden. Auch Reparaturen nimmt man hier entgegen.

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Schräg durch den Hof finden sich die Räumlichkeiten der Lusterwerkstätte. Lobmeyr schreibt die Geschichte des Kristalllusters seit 1850 mit und ist bis heute eine der weltweit ersten Adressen für historische und moderne Luster. 10.000 Gussmodelle beherbergt die Lusterwerkstätte sowie Behangformen für nahezu alle Lusterstile. 1883 entwickelte Lobmeyr unter Mitarbeit von Thomas Alva Edison die ersten elektrischen Kristallluster - weltweit eine Sensation - für die Wiener Hofburg, und in den 1950er Jahren entwarf Hans Harald Rath die ersten Strassluster. 

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"So ein riesiger Barockluster kann schon zweieinhalb Tonnen wiegen", sagt Luster-Experte Julius. Nur in Kleinteile zerlegt können sie hier restauriert werden. Die Gussteile werden gesteckt und verschraubt, "oft wie bei einem Blumengesteck". Die Montage vor Ort dauert mehrere Tage. Der "Körper" des Lusters und seine tragende Komponente ist das Gestell. Mittelkolonne, Lusterarme und weitere Teile werden in der hauseigenen Gürtlerei hergestellt und viele Elemente immer noch frei von Hand gebogen. Alte Techniken wie das Hämmern des "Nockerlprofils" für Barockluster und das "Randrieren" feiner Ornamente kommen bis heute zum Einsatz.

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Teile der Luster aus dem Schloss Schönbrunn harren hier ihrer Umrüstung auf LED. Aber auch Luster von Wiener Privatpalais, Hotels, Kaffeehäusern und natürlich auch aus Privathaushalten werden bei Lobmeyr restauriert. Das Handwerk für die Herstellung und Restauration ist Gürtler, aber die meisten der hier beschäftigten Handwerker haben bei Lobmeyr gelernt. "Das Spezielle bei uns ist die Atelierfertigung", sagt Rath. "Die Werkzeichnungen sind ziemlich abstrakt, unsere Handwerker übersetzen das in ihr Können. Jedes Stück muss verstanden werden. Die Arbeiter bekommen die Maße und die Behänge, aber wie es dann verarbeitet wird, bleibt ihnen überlassen. Ich staune oft, was sie austüfteln."

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In der Lusterwerkstatt gibt es keine Arbeitsteilung. Jeder Handwerker arbeitet ein Stück komplett durch. In der Lötküche fixiert Julius die Einzelteile mit Schamottsteinen. "Das ist eine wackelige Angelegenheit, aber das Anfertigen einer Schablone dauert etwa drei Stunden, was sich nur bei mehreren gleichen Teilen auszahlt", sagt der Experte. Gelötet wird mit Silber oder Messing. Letzteres verwendet man für Feuervergoldungen, damit die Oberfläche durchgehend gelb ist.

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1963 wurde Lobmeyr mit der Beleuchtung des neuen Opernhauses in New York, der Met, betraut. Der wegweisende Entwurf von Hans Harald Rath bestand in einer asymmetrischen Lichtskulptur, dem "Starburst"-Luster. Der Epoche der Raumfahrt gemäß bekam er auch den Spitznamen "Sputnik". Leonid Rath: "Mein Großvater hat den Luster in einer einzigen Nacht im Hotelzimmer entworfen, nachdem sein erster Entwurf bei der Präsentation nicht so gut angekommen ist."

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1966 erfolgte schließlich die Montage der 31 Luster und 332 Wandleuchter - sie hatten mittlerweile den Status eines Staatsgeschenks - im neuen Opernhaus. Bei der feierlichen Eröffnung galt der erste Applaus den zwölf nach oben entschwebenden Beleuchtungskörpern im Zuschauerraum. Die Luster wurden zum Symbol der Met und sind heute nicht nur Klassiker, sondern auch Bestseller. 2008 restaurierte Lobmeyr 108 Wandleuchten der Met - im Bild ein Nachzügler, der in der Werkstatt verblieben ist.

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Das Lusterglas ist handgeschliffenes Kristall aus Oberösterreich von der Firma Schöller oder maschinengeschliffenes Glas von Swarovski. Die handgeschliffenen Glasteile werden auch von Hand "verkettelt", was die beständigste Methode ist und darüber hinaus auch am schönsten aussieht.

Bild: "Bei den alten Biedermeier-Lustern hat man an Metall gespart und billige kleinere Behänge verwendet", erklärt Leonid Rath.

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Eine Arbeiterin entfädelt die Behänge.

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Im Fenster eine farbenfrohe Kreation: "Eine Idee unserer Damen war es, aus den Resten der Lusterbehänge Christbaumschmuck herzustellen", sagt Rath. Dieser wird vor Weihnachten im Geschäftslokal in der Kärntner Straße verkauft.

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Andreas, Leonid und Johannes Rath wahren eine Tradition, zu der von Beginn an auch das Brechen von Konventionen gehörte. Sie setzen auf intensive Zusammenarbeit mit Designern der neuen Generation: "Die Gestalter von Lobmeyr-Glas kommen aus unterschiedlichsten Bereichen, sie sind Maler, Architekten oder Designer. Entscheidend bleibt, Künstler zu gewinnen, die den besonderen Charakter unseres Materials berücksichtigen."

Bild: Der Luster "Basket 2012" nach einem Entwurf von Marco Dessi.

Foto: Lobmeyr

Die Gestalter wiederum schätzen es, dass sie bei Lobmeyr ihre Ideen abseits der Einschränkungen durch die Industrie und ausgestattet mit allen Möglichkeiten des Handwerks umsetzen können.

Bild: Das von Peter Noever entwickelte "MAK-Achtel" ist ein Statement - für Understatement. Es hat eine Daumenmulde, wodurch man es sozusagen "im Griff" hat. (Eva Tinsobin, derStandard.at)

Foto: Lobmeyr

J. & L. Lobmeyr
Geschäft Kärntner Straße 26, 1010 Wien
Lusterwerkstätte Salesianergasse 9, 1030 Wien
Geschäft Salzburg: Schwarzstraße 20

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