Das Schaulaufen in und vor der Oper ist für den Großteil der Gäste ein mindestens ebenso zentraler Punkt des Abends wie die eigentliche Eröffnung.

Foto: Matthias Cremer

Wien - "Zahlt sich das aus?" fragen sich Fotografen auf der Feststiege gegenseitig, wenn sie nicht wissen, wer gerade an ihnen vorbeischiebt. Bei dem Promi-Aufmarsch, der von der A bis Z-Liga alles bedient, kann das passieren. Durch das Gedränge der rund 5000 eintrudelnden Gäste im Eingangsbereich ist Haarschopf-Bingo angesagt. "Ist das dieser Geiger mit dem Pferdeschwanz?" Eine Frau zückt ihr Handy und macht ein Foto von David Garrett. Weil den "Loddar" Matthäus, meint sie, den kennt ihre Tochter wohl nicht mehr. Dafür scheinen die männlichen Gäste des Opernballs dessen Begleitung, ein Unterwäschemodel in roter Robe, um so besser zu kennen, so viele Fotos wie sie von ihr schießen.

"Das ist der Spindi! Der ist so klein, den sieht man nicht so schnell", ertönt es verzückt aus den hinteren Reihen, als Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP) versucht zu seiner Loge zu kommen. "Mit dem bin ich per Du, das ist ein guter Freund vom Hansi", raunt es von der anderen Seite. Damit ist wohl der größte Unterschied zu anderen Bällen in Wien auf den Punkt gebracht.

Das Schaulaufen in und vor der Oper ist für den Großteil der Gäste ein mindestens ebenso zentraler Punkt des Abends, wie die eigentliche Eröffnung. Wer weder über einen Logenplatz noch über wirkungsvolle Ellbogen-Technik verfügt, der muss sich auch Inhouse das Spektakel auf Bildschirmen ansehen. So wie die rund 1,6 Millionen Zuschauer zu Hause. Nicht alle wussten das, viele, vor allem ausländische Gäste, sind enttäuscht, dass sie weder das Ballett noch den Debüt-Aufritt der rumänischen Star-Sopranistin Angela Gheorghiu live miterleben, wo sie doch schon einmal hier sind.

Weniger Society-Spektakel

Ein junger Mann versucht über die Bande in den Ballsaal zu klettern, über die Treppe geht das längst nicht mehr. Etwas ungelenk und wild strampelnd schafft er es nach ein paar Minuten. Aber seine Lackschuhe haben dicke, schwarze Fahrer an die Wand gemacht. "So ein Arsch, macht die ganze Oper dreckig", quittiert einer der umherstehenden Frackträger dessen Chuzpe.

Das Gerangel um die besten Plätze geht auch in den Nebenräumen weiter, wo sich ganze Trauben von Menschen vor den kleinen Fernsehern sammeln. "Wenn du so weit weg stehst," ruft eine Blondine ihrem Mann an der Bar zu, "kann ich doch gar nicht richtig ablästern."

So viel Läster-Stoff wie in den Jahren zuvor gibt es heuer nicht: Organisatorin Desirée Treichl-Stürgkh und Hausherr Dominique Meyer kommen ihrem Ziel, den Opernball stärker in Richtung Kunst zu rücken, wieder ein Stück näher. Nicht einmal der sonst für Aufruhr bekannte Richard Lugner sorgt für den erhofften Opernball-Eklat: Sein dänischer Ball-Aufputz, Dschungelkönigin Brigitte Nielsen, zeigt sich extrem entspannt und ging - im Gegensatz zu seinen Begleitungen in den Vorjahren - nicht sofort nach der Eröffnung, sondern erst gegen ein Uhr. Und Roger Moore, ganz Sir, kam, sah und genoss den ganzen Abend in Lugners Loge.

Skandale schaffen

Die "Skandale" mussten also geschaffen werden. Österreich-Herausgeber Wolfgang Fellner wird gegen Mitternacht fündig: Mit dem Handy am Ohr flattert er an den Logen vorbei. "Zwei Männer tanzen zum Donauwalzer. Und küssen sich" diktiert er aufgeregt an seine Redaktion. Das Resultat seiner scharfen Beobachtung, inklusive Zoom des ahnungslosen Pärchens, konnte man tags daraufseinem Blatt entnehmen.

Der Opernball ist auch für die Polit-Prominenz ein regelmäßiges Stelldichein: FPÖ-Chef Heinz Christian Strache rauscht mit Begleitung, dafür ohne Orden, über den roten Teppich. Der größte Orden sei ohnehin das Vertrauen der Wähler, kommentiert er die Frage nach dem von Bundespräsident Heinz Fischer verweigerten Ehrenzeichens wegen seines Juden-Sagers am WKR-Ball.

Der Opernball bringt - bei Gesamtkosten von rund 3,8 Millionen Euro - etwa 1,5 Millionen Euro ein. Ein Glas Chardonnay aus Niederösterreich kostet zwölf Euro. "Wenn alle Veranstaltungen so viel Umsatz machen würden, wäre das der richtige Beitrag zum Sparen", beantwortet Bundeskanzler Faymann (SPÖ) die Frage, ob ein Besuch in Sparpaket-Zeiten das richtige Signal ist. Auch der Wiener Bürgermeister Michael Häupl (SP) nimmt die ewige Diskussion um den Opernball mit Gelassenheit. "Das ist der einzige Tag im Jahr, an dem die Oper Gewinn macht."

Relax-Treff Kantine

Die Opernkantine in den Untergeschossen gilt weitgehend als politiker- und promifreie Zone. Ein paar erschöpfte Kameraleute, Techniker und Kellner machen hier Rauchpause. Fotos wollen sie auf gar keinen Fall. "Sonst heißt es am Ende, wir hakeln nix." Ihre Schicht wird noch bis in die Morgenstunden gehen. "Dem Stress kann man entkommen", schmunzelt Gottfried, der seit 1981 keinen einzigen Opernball ausgelassen hat. Die Atmosphäre, die sei doch wirklich besonders. Immer noch und immer wieder. (Julia Herrnböck, DER STANDARD, Printausgabe, 18./19.2.2012)