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Andris Berzins (67) ist Geschäftsmann und seit Juni 2011 lettischer Staatspräsident. Er ist nicht zu verwechseln mit seinem sieben Jahre jüngeren Namensvetter, dem Ex-Ministerpräsidenten Lettlands.

Foto: Reuters/Ints Kalnins

Der lettische Präsident Andris Berzins erklärt im Gespräch mit Andreas Stangl, warum er das Referendum für Russisch als zweite Amtssprache als Versuch der Spaltung der Gesellschaft sieht.

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STANDARD: Warum ist das Referendum am Samstag für Russisch als zweite Amtssprache so heikel?

Berzins: Derzeit wird versucht, die Frage der Staatssprache zur Spaltung der Gesellschaft zu instrumentalisieren. Das ist ein gefährlicher und nicht zu tolerierender Weg, der nichts mit dem täglichen Leben der Menschen zu tun hat. Andererseits muss man betonen, dass die lettische Sprache unter der sowjetischen Okkupation echt Gefahr lief zu verschwinden. Als Lettland seine Unabhängigkeit wiedererlangte, galt wieder die frühere Verfassung. Eines der Fundamente ist, dass Lettisch die einzige Staatssprache ist.

STANDARD: Wie stehen Sie persönlich zu der Frage?

Berzins: Die Verleugnung von Lettisch als einziger Staatssprache bedeutet auch eine Verleugnung Lettlands. Nur hier können Lettisch und die lettische Lebensart überleben. Hier wohnen knapp über zwei Millionen Menschen, rund 60 Prozent sehen Lettisch als ihre Muttersprache an. Weltweit sprechen etwa 1,5 Millionen Menschen Lettisch. Russisch wird von über 150 Millionen gesprochen, und etwa noch einmal so viele verwenden es als Zweitsprache. Die Russen sind hier keine gefährdete Minderheit. Gleichzeitig will ich aber hinzufügen, dass jene Nationen, die im Lauf der Geschichte hier gelebt und die Sprachenvielfalt bereichert haben, Zeugnis für Reife, Toleranz und Respekt ablegen. Die Leute haben das in der wechselhaften Geschichte Lettlands immer wieder bewiesen.

STANDARD: Was würde passieren, wenn wider Erwarten das Referendum positiv ausfallen würde?

Berzins: Diese Möglichkeit existiert für mich nicht. Russisch als zweite Amtssprache würde die Fundamente der Nation und der Verfassung erschüttern. Diese Prinzipien können nur scheinbar verändert werden, ihre Quellen liegen außerhalb des formalen Verfassungstextes. Wenn man diese Basis ändert, würde man das Land liquidieren und die Letten ohne Lettland zurückzulassen.

STANDARD: Wie weit reicht die Polarisierung der Bevölkerung?

Berzins: Es hat bisher keine offenen Bekundungen von Intoleranz gegeben, und ich bin sicher, dass es nach wie vor keine ernsthaften Konflikte in den Beziehungen der ethnischen Gruppen zueinander gibt. Versuche, das zu ändern, kommen nur von Leuten, die versuchen, aus einer Eskalation politisches Potenzial zu schlagen. Das ist unmoralisch und unverantwortlich. Ich bin zuversichtlich, dass die Menschen in Lettland weiser sind als die Urheber solcher politischer Initiativen.

STANDARD: Wie erklären Sie sich, dass es trotz der Gegensätze nie zu Gewaltausbrüchen kam?

Berzins: Die Erklärung ist sehr einfach: Lettland war immer schon ein multiethnisches Land, und wir sind stolz auf diese Tradition. Die Fähigkeit, mehr als nur eine Sprache zu sprechen, verschafft uns Vorteile, zum Beispiel in den Wirtschaftsbeziehungen sowohl mit der Europäischen Union als auch mit der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). (DER STANDARD, Printausgabe, 18./19.2.2012)