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Mit dem ersten Glas fängt alles an, auch der schlimmste Exzess.

Foto: APA/Bernd Thissen

Es ist ein eher einfach gebautes Molekül: sechs Wasserstoff-, zwei Kohlenstoff-Atome und ein Sauerstoff-Atom. Ethanol, im Alltag schlicht Alkohol genannt, ist vermutlich das älteste Rauschgift der Menschheit, eine immer wieder umstrittene Substanz, fest verankert in unserer Kultur.

Mit dem ersten Glas fängt alles an, auch der schlimmste Exzess. Ein Krügerl Bier, ein Viertel Wein, und schon beträgt die Alkohol-Konzentration im Blut, je nach Körpergewicht, 0,3 bis 0,5 Promille. Die vollständige Aufnahme des Stoffs aus Magen und Darm dauert allerdings mindestens eine halbe Stunde. Als erfahrener Konsument spürt man bei solchen Werten noch keine Einflüsse. Aber sie sind da. Einschränkungen des Gesichtsfelds lassen sich nachweisen, auch das Konzentrationsvermögen ist bereits beeinträchtigt. Das Ethanol entfaltet seine toxische Wirkung vor allem an den Synapsen. Im Gehirn werden Neurotransmitter-Systeme gestört. Wenn dann noch weitere Gläser, vielleicht auch noch ein Schnaps zwischendurch, folgen, steigt der Alkoholpegel, überschreitet die Ein-Promille-Grenze.

Zwar wird vom Körper gleichzeitig auch Alkohol abgebaut und ausgeschieden, aber nur in einem Tempo von 0,1 bis 0,2 Promille pro Stunde. Inzwischen lockert sich die Zunge, mitunter sprudelt der Redefluss geradezu, euphorische Gefühle machen sich breit. Die Welt ist schön, oder zumindest fühlt sie sich gerade so an. Glückshormone wie Serotonin werden vermehrt ausgeschüttet. Ein nüchterner Beobachter entdeckt dafür bei trinkenden Menschen immer stärkere Anzeichen von Kontrollverlust. Es kommt zu Schwierigkeiten beim Anzünden einer Zigarette, der Gang zur Toilette wird leicht schwankend, und die Aufmerksamkeit schwindet zunehmend.

Immer betrunkener

Ab einem Alkohol-Blutwert von circa 1,5 Promille beginnt der echte Rausch. Bacchusjünger lallen immer stärker, sehen doppelt, fallen mitunter vom Stuhl. Aufstehen gelingt nur noch unter großen Schwierigkeiten. Das Erinnerungsvermögen setzt aus. Wer jetzt immer noch weitertrinkt und auf die Drei-Promille-Marke zusteuert, verliert irgendwann das Bewusstsein. Das Nervensystem wird vom Alkohol regelrecht gelähmt. Bei etwa vier Promille oder mehr besteht akute Lebensgefahr, es gibt jedoch auch immer wieder Personen, die bereits ab drei Promille der Tod ereilt.

Die allermeisten aber wachen nach einem schweren Suff am nächsten Tag zum Glück wieder auf - und leiden am berühmt-berüchtigten Kater mit all seinen Symptomen. Den Zecher plagen Kopfschmerzen und Übelkeit. Er ist dehydriert, hat großen Durst, fühlt sich oft trotz vieler Stunden Schlaf erschöpft. Die physiologischen Ursachen dieser Qualen sind durchaus komplex.

Hormone entgleisen

So stört Alkohol zum Beispiel die Produktion des Hormons Vasopressin, das für die Regulierung der Harnmenge verantwortlich ist. Deshalb fließt der Urin reichlicher, es kommt zu Flüssigkeitsverlust. Oft heißt es auch, der Elektrolyt-Haushalt des Körpers werde durch Ethanol aus dem Gleichgewicht gebracht, ihm fehlen nach einem Trinkgelage Salze. Dementsprechend gelten unter anderem Hering, Kraftbrühe und Mineralwasser als gute Kater-Bekämpfungsmittel. Mit Elektrolyt-infusionen lässt sich der Kater bei Alkoholvergiftung mildern.

So weit die kurzfristigen Folgen eines Rauschs, die keine bleibenden Verheerungen hinterlassen. Dauertrinkern drohen dafür bekanntlich allerlei medizinische Horrorszenarien wie Leberzirrhose, Krebs und bei Mangelernährung sogar das Korsakov-Syndrom, ein geistiger Totalschaden. Keine Frage also, dass exzessiver Alkoholkonsum ein ernsthaftes gesellschaftliches Problem darstellt - auch sozial und wirtschaftlich. " Fünf Prozent der erwachsenen Österreicher sind alkoholkrank", erklärt der Suchtforscher Alfred Uhl vom Wiener Anton-Proksch-Institut. Auf die gesamte Lebenszeit gerechnet beträgt das Erkrankungsrisiko gar zehn Prozent, so Uhl. Doch wo liegen die Ursachen? "Die Leute trinken zu viel, weil sie Grundprobleme haben." Viele, die später Alkoholprobleme bekommen, verwenden Ethanol quasi als Medikament, meint der Psychologe.

Wolfgang Dür, Soziologe am Ludwig Boltzmann Institute for Health Promotion Research pflichtet ihm bei. "Alkohol ist eine psychoaktive Substanz, mit der sich das Leben besser ertragen lässt." Die Betroffenen neigen zu "forciertem Entspannen". Die Wurzel des Alkoholmissbrauchs liege demnach in den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die häufig zu starken Belastungen im Alltag führen. Für eine erfolgreiche Bekämpfungsstrategie müsste man "den Lebenskontext insgesamt anpacken", sagt Dür.

Auch Alfred Uhl meint: "Den Alkohol an sich für die Probleme verantwortlich zu machen bedeutet in den meisten Fällen, das Pferd von hinten aufzäumen."

Eine verbesserte Präventionspolitik muss in erster Linie Personengruppen wie die Belegschaften von Betrieben ansprechen, erklärt Wolfgang Dür. Zeitlich befristete, allgemeine Aufklärungskampagnen seien dagegen wenig erfolgversprechend. Gerade im Rahmen einer betrieblichen Gesundheitsförderung gibt es gute Chancen, den Leuten Stresskompetenzen zu vermitteln, ihnen zu helfen, mit Belastungen des Alltags zurechtzukommen, glaubt der Soziologe: "Das ist noch nie flächendeckend versucht worden." Familienorientierte Präventionsarbeit sei jedoch ebenfalls notwendig. Alfred Uhl fordert eine verstärkte und vor allem frühere Behandlung von psychischen Problemen, um der "Selbstmedikation" mit Ethanol vorzubeugen. Eine Verteufelung des Stoffs lehnen beide Experten ab. "Alkohol hat in unserer Gesellschaft auch viele positive kulturelle Wirkungen." (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, Printausgabe, 20.2.2012)