Nachtarbeit ist nicht gesund, aber das stört mitunter nicht einmal die Betroffenen. Ob gezwungenermaßen oder freiwillig - manche Menschen leben erst richtig auf, wenn es dunkel wird. Dass man die im Dunkeln nicht sieht, wie es in Brechts Dreigroschenoper heißt, damit kann sich die gebürtige Lungauerin Ivette Löcker nicht abfinden. In ihrem ersten Langfilm Nachtschichten (2010) beleuchtet die Regisseurin dunkle Ecken ihrer Wahlheimat Berlin. Am Freitag zeigt Das Kino in Salzburg diesen Film.

Weniger die Freizeitnachtschwärmer denn Nachthackler und Außenseiter haben es ihr angetan. Mit der Kamera begleitete sie Obdachlose, Mitarbeiter von Hilfsdiensten und Rettungsmissionen, DJs, Graffitikünstler, Nachtwächter oder Stadtwanderer, um deren (Über-)Leben zwischen Kunstlicht und Finsternis zu zeigen. Erst nach und nach öffnen sich ihre Protagonisten, beginnen über Motive und Zwänge zu sprechen, wenn man die Nacht zum Tag macht. Die Nacht bietet einerseits anarchischen Freiraum und Schutz, andererseits kann sie das Gefühl von Einsamkeit und Trostlosigkeit verstärken. Den Träumen und Sehnsüchten der Sprayer, die sich nachts ihren Freiraum suchen, setzt die Staatsmacht Hubschrauber mit Wärmebildkameras entgegen. Ivette Löcker ist ein entschleunigtes Großstadtporträt gelungen, ein dokumentarischer Film Noir über gesellschaftliche wie individuelle Schattenseiten und Abgründe.

Bei der Diagonale 2011 wurde Nachtschichten mit dem "Großen Preis für den besten Dokumentarfilm" ausgezeichnet; bei der Salzburg-Premiere ist die Regisseurin anwesend. (dog / DER STANDARD, Printausgabe, 17.2.2012)