Punkrock im digitalen Zeitalter: Die deutsche Band Deichkind entdeckt in der Verweigerung des Guten, Wahren und Schönen revolutionäres Potenzial.

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Zu den tollsten Möglichkeiten, sich kurzfristig gegen das Erwachsenwerden zu stemmen, zählt zweifellos der Besuch eines Konzerts der deutschen Band Deichkind. Noch besser wäre es freilich, gleich selbst ein Mitglied der Band Deichkind zu sein. Leider aber sind Deichkind mit drei Leuten vorn an der Rampe und einem Mann, der hinten schaut, dass der Strom aus der Steckdose ordnungsgemäß die Soundfiles ins Mischpult pumpt, restlos ausgebucht. Als Mitglied der Band Deichkind würde man auf der Bühne jedenfalls jede Menge hoffnungslos kindischen Unsinn machen dürfen. Dazu zählen das Hüpfen, Tanzen und Springen oder auch lustige abgehackte Bewegungen wie ein Roboter machen. Kunststück, man steckt ja auch als Mittelding aus Mensch, Maschine und Müllkippe in bunten Müllsäcken. Dort kocht man unter Neon-Fingerfarben-Make-up und den Hirnstrom Richtung testosteronhaltiges jugendliches Delinquententum lenkenden Pyramidenhelmen nach Niedergarmethode eineinhalb, zwei Stunden auf Großraumbühnen langsam durch.

Dann schnalzt es die Sicherungen. Man könnte das Publikum jetzt mit Superpower-Hirnstromkräften, die ins kollektive Zentrum der zerebralen Mindestanforderungen wie jener des Überlebenstriebs zielen (Hunger, Durst, fad, lästig), total brutal psychomäßig beeinflussen. Die Leute sollen zettbe alle gleichzeitig vorher kräftig geschüttelte Bierdosen über ihren Köpfen öffnen. Im Saal macht es krrrr-pfff. Dann macht es zosch. Das ist Gaudi pur. Die deutsche Band Deichkind nennt das "Bierwelle". Die Leute im Saal sind begeistert. Noch beim Nachhausefahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln bekommen so die verschreckten Spießer in den Wagons den Geruch der Freiheit und Revolution zu spüren. Als weiteren besonderen Anreiz, rechtzeitig auf Konzerten der deutschen Band Deichkind zu erscheinen, hat man für die vorderen Saalreihen sozusagen als Fanbetreuung eine sogenannte "Wodkazitze" erfunden.

Langsamer schlafen!

Das muss man sich als Modifikation der zumindest im Alpenvorraum legendären Bierfräse vorstellen. Die Band Deichkind modifiziert Bier hin zu Wodka. Ein Konzert dauert schließlich nicht den ganzen Abend. Da muss also auch innerhalb eines relativ kleinen Zeitfensters etwas gehen. Die russischen Vitamine strömen aus Schläuchen zügig in den Volksmund. Jetzt wird es Zeit für die Feier des Lebens. "Krawall und Remmidemmi!", lautet ein großer Hit der deutschen Band Deichkind. Das freut den 16-Jährigen, der in jedem von uns von der Wiege bis zur Bahre steckt, natürlich volle Wäsche. Über harten Computerbeats und technoidem Bassknarzen sowie das Establishment, die Zombies draußen vor der Halle, die Eltern daheim und die Leute in der Regierung und Schulverwaltung, verrückt machenden Unterschicht-Konsolen-Sounds aus der Spielhölle folgt nun die Hymne des frühen 21. Jahrhunderts.

Von wegen Die Arbeiter von Wien oder Brüder, zur Sonne ... oder Mann der Arbeit, aufgewacht: Das neue Einheitsfrontlied heißt Arbeit nervt. Und gleich morgen, wenn wir nach diesem Erweckungserlebnis bei einem Konzert der deutschen Band Deichkind aufwachen, werden wir unser Leben selbst in die Hand nehmen. Wir werden im Bett bleiben. Die Parole: Langsamer schlafen! Unsere Marseillaise nennt sich 99 Bierkanister.

99 Bierkanister ist auf dem neuen Album der deutschen Band Deichkind zu finden. Es trägt den schönen Titel Befehl von ganz unten und beinhaltet eine gewohnt brillante Mixtur aus Techno-Vorschlaghammer und HipHop mit dicker Hose. Heraus kommt digitaler Punkrock. Volle Kanne, volle Kante. Philipp Grütering, Sebastian Dürre, Henning Besser und Ferris MC, die Mitglieder der deutschen Band Deichkind, entdecken im Auge des Hurrikans eine umstürzlerische Kraft: Ballermann von H. P. Baxxter und der Hyper-Hyper-Kasernenhofdiscomusik der Berliner Band Scooter. Die göttliche asoziale Energie der Berliner Gangsta-Rap-Szene (Bushido, Sido, Bass Sultan Hengzt oder King Orgasmus One ...). Schließlich Punkrock und die Beschwörung des großen Anti. Smells like Umsturz.

Wir hören auf Befehl von ganz unten der deutschen Band Deichkind Trash und Subversion. Wir feiern Hymnen auf das illegale Downloaden wie den Song Illegale Fans. Bück dich hoch soll die jungen Leute an das Schicksal ihrer Väter in entfremdeten Lohnarbeitsverhältnissen erinnern. Die Lösung lautet einmal mehr Egolution. Als erster Schritt in die Unabhängigkeit empfiehlt es sich, den Stecker zu ziehen. Geile Platte.

Die russischen Vitamine strömen aus Schläuchen zügig in den Volksmund. Jetzt wird es Zeit für die Feier des Lebens. Deichkind haben dafür einen Slogan: "Krawall und Remmidemmi!" (Christian Schachinger, DER STANDARD, Printausgabe, 17.2.2012)