Tindersticks: The Something Rain (City Slang)

Foto: Christophe Agou

Die Last des übermächtigen Debüts wirkt nach, immer noch. Bis ans Ende ihres Bestehens werden sie daran gemessen werden. Als die Tindersticks 1993 aus dem Nichts mit einem Doppelalbum voll entrückter Schönheit einen Kontrapunkt zur gerade im Nirvana-Irrsinn outrierenden Popwelt setzten, war das nicht nur ein radikales Statement. Die hermetische Perfektion des Albums vermittelte den Eindruck, als bestünde die Band dahinter schon seit langer Zeit und wäre gerade zufällig jetzt erst entdeckt worden. Statt von der Welt lautstark Unterhaltung einzufordern, knödelte sich ein gewisser Stuart Staples schwer verständlich durch lichtscheue Balladen. Dazu vertonte eine elegant instrumentierte Band Begriffe wie Schwermut, Hoffnung oder Enttäuschung in einer noch nicht gehörten Art. Ein Instant-Klassiker. Zeitlos.

Der Einstand wurde mit einer gerechten Weltkarriere belohnt, doch nur mit ihrem dritten Album, Curtains, vermochten die Tindersticks noch einmal die Brillanz in der Dichte ihres Debüts zu wiederholen. Seitdem sind fünf weitere Alben entstanden, darunter kein schlechtes. Aber auch keines, das sich mit den beiden genannten ernsthaft hätte messen können. Mit schuld daran waren Zerwürfnisse in der Band, die sich in den Nullerjahren eine längere Auszeit verordnet hatte, in der Staples Soloalben veröffentlichte, die sich ästhetisch nicht allzu weit vom Tindersticks-Universum entfernten.

Nun veröffentlichen die nach diversen Therapiesitzungen und Familienaufstellungen seit 2008 wiedervereinten Tindersticks das Album The Something Rain. Die Qualität des Debüts übertrifft das Album erwartungsgemäß nicht, aber im Vergleich zum letzten Album, auf dem sich gerade ein, zwei wirklich überzeugende Songs befunden haben, ist dieses neunte Studioalbum ein überzeugendes Produkt. Die Eröffnungsnummer ist ein bisserl zäh, da wird minutenlang vor harmlosem Gezirpe eine Geschichte erzählt, auf deren Ende man mit abnehmender Geduld wartet. Aber soll sein. Immerhin wird die Geduld anschließend von Show Me Everything belohnt. Ein Lied, dessen Bassspur gleich zu Beginn in den Keller wandert. Die Gitarren werden mittels Halls ebenfalls in die Tiefe geschickt - und schließlich hebt Staples an: Schmolllippe, waidwund, ein Lied wie eine Heimkehr.

Dann erhöht die Band die Geschwindigkeit und legt mit This Fire Of Autumn so etwas wie den Hit des Albums offen. Staples verzehrt sich mit einem Damenchor um die Wette - ein Traum. Nach so viel Aufregung wird in der Tindersticks-Welt erfahrungsgemäß Erholung gesucht, also balladiert. Anders als beim Vorgänger erholt sich die Band hier aber und verfügt sich wieder ins Midtempo. Dort offenbart sich die wesentliche Neuerung dieses Werks. Die Band verwendet hier Bläser eher als Streicher. Das verleiht den langsamen Stücken eine träge Eleganz, den etwas flotteren die Gravität der Gemütsschwere. Elektronische Beats werden dem unverwechselbaren Stil eingemeindet, die Band wird verspielter, The Something Rain besser und besser.

Nach neun Stücken ist alles gesagt, das Tindersticks-Gesamtwerk um ein ziemlich gutes Album reicher. (flu / DER STANDARD, Printausgabe, 17.2.2012)