Wenn Freeride-Profi Eva Walkner einem Hang nicht traut, kann sie leicht Nein sagen.

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Was nicht heißen soll, dass Österreichs beste Freeriderin nicht liebend gern in unverspurtem Gelände herumtollt.

Foto: evawalkner.com

Das Risiko könne man nie zu 100 Prozent einschätzen, aber das gelte auch für das Pistenskifahren, so die 32-Jährige.

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"Ich habe schon Lawinen gesehen, die zehn Meter neben der Piste abgegangen sind und wo zuvor hunderte von Spuren drinnen waren", erzählt Walkner.

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Dieses Interview mit Österreichs erfolgreichster Profi-Freeriderin Eva Walkner wurde wenige Tage vor dem Lawinenunglück des niederländischen Prinzen Friso geführt. Dass Lawinen und Sicherheitsfragen medial ein Thema werden, war angesichts der Wetterlage damals absehbar. Nicht zu erahnen war, dass aufgrund des prominenten Opfers ein so großes Medieninteresse hervorgerufen wird. Als die (Medien-)Lawine von Lech losgetreten wurde, kam von Eva Walkner ein kurzes Mail: Sie wolle dazu jetzt nichts sagen und sich kein Urteil anmaßen, erklärte die Geländefahrerin.

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derStandard.at: Frau Walkner, sind Sie verrückt?

Eva Walkner: Ganz im Gegenteil. Je professioneller man den Sport betreibt, desto weniger verrückt ist man. Viele Dinge, die vielleicht als verrückt gesehen werden, sind sehr gut vorbereitet und kalkuliert. Verrückt sind nur diejenigen, die ins freie Gelände gehen, dabei keine Sicherheitsausrüstung tragen und sich keinerlei Gedanken über die Gefahren in den Bergen und im freien Gelände machen.

derStandard.at: Woraus besteht Ihre Notfallausrüstung? Gibt es im Backcountry auch eine "Light"-Version?

Walkner: Unumgänglich sind das Lawinenverschütteten-Suchgerät (LVS-Gerät), Schaufel und Sonde. Ideal wären dann noch ein ABS-Rucksack und ein Erste Hilfe-Bag. Aber die beste und tollste Ausrüstung hilft nichts, wenn man nicht weiß, wie man sie benützt. Also zumindest ein Lawinenkurs sollte Pflicht sein. Hier gibt es viele Anbieter wie zum Beispiel den Alpenverein.

derStandard.at: Steigert der Airbag Ihre Risikobereitschaft?

Walkner: Meine persönliche auf keinen Fall. Der Airbag beeinflusst beziehungsweise steigert meine Riskikobereitschaft nicht im Geringsten. Wenn ich ein ungutes Gefühl habe und die Argumente dagegen sprechen, einen Hang zu befahren - wie Eigenempfinden, Hangexposition, Wind, Hangeigung, Lawinenwarnstufe etc. -, dann ändert auch ein ABS-Rucksack nichts an meiner Entscheidung und ich sage Nein. Grundsätzlich ist aber ein ABS-Rucksack für mich nicht mehr wegzudenken.

derStandard.at: Equipment gilt als Gadget - aber kann es Kompetenz ersetzen?

Walkner: Ein klares Nein. Die Ausrüstung ist zwar zwingend, kann aber auf keinen Fall die Kompetenz ersetzen.

derStandard.at: "Der Airbag hat mein Leben gerettet", heißt es in vielen Werbe-Testimonials der beiden Hersteller. Schützt das Ding also auch vor Dummheit? Würden Sie sich darauf verlassen?

Walkner: Der Airbag kann im Ernstfall mit Sicherheit Leben retten, aber es gibt für nichts eine Garantie. Wenn ich in eine Lawine komme, über meterhohe Felsen gespült werde oder auf ihnen lande und die Nassschneelawine mit meinem Körper spielt, als sei ich aus Plastilin, dann kann kein Airbag Wunder wirken. Viele missverstehen den Airbag und glauben, sie seien nun unverwundbar und könnten in jeden beliebigen Hang hineinfahren.

Der Airbag ist im Ernstfall eine super Sache und verringert das Risiko sehr stark - aber er gibt kein Versprechen ab. Darum ist es ganz wichtig, dass man mit Airbag genauso sicher unterwegs ist wie ohne. Ich persönlich verlasse mich nur auf mich selbst, mein Wissen und mein persönliches Gefühl, und gehe auch nur so weit, wie es dies zulässt. Bei meinen Entscheidungen spielt der ABS absolut keine Rolle. Falls es doch einmal zu einem Lawinenabgang kommen sollte, bin ich natürlich froh, einen ABS-Rucksack zu tragen.

derStandard.at: Wo beginnt am Berg der Bereich alpiner Gefahren?

Walkner: Überall abseits der gesicherten Pisten. Ich habe schon Lawinen gesehen, die zehn Meter neben der Piste abgegangen sind und wo zuvor hunderte von Spuren drinnen waren. Nur weil ein Tiefschneehang zehn Meter von der Piste entfernt ist, heißt das nicht, dass dieser deshalb sicher ist.

derStandard.at: Wie bereiten Sie sich auf einen Ride vor? Wie lange dauert das?

Walkner: Bei Contests bereiten wir uns zwei bis drei Tage auf einen Run vor. Wir wissen exakt unsere Linie und unsere Sprünge. Wir müssen ja spiegelverkehrt denken. Von unten ansehen und dann die Linie von oben finden und fahren, ohne stehen zu bleiben. Wenn ich einfach nur so zum Freeriden gehe, dann nur in Gelände, das ich schon kenne. Falls ich das Gelände nicht kenne, versuche ich mit Locals unterwegs zu sein. Dann gibt es natürlich auch noch Karten, Fotos, Informationen von Kollegen, die einem bei der Vorbereitung helfen können.

derStandard.at: Wie wichtig ist Sicherheitstraining - und wie und wie oft oder intensiv trainieren Sie?

Walkner: Ich mache mit meinen Freunden regelmäßig ein LVS-Training: Suchen, sondieren und ausgraben. Ich lese viel über das Thema Sicherheit und versuche mich laufend durch Lawinenvorträge usw. auf dem aktuellen Stand zu halten und mich weiterzubilden. Das gehört einfach dazu.

derStandard.at: Ist Neinsagen ein Zeichen von Schwäche oder Feigheit?

Walkner: Die besten Freerider der Welt sagen Nein, und das nicht selten! Das ist kein Zeichen von Feigheit, sondern von Professionalität. Und wenn sich jeder im Gelände etwas professioneller verhalten würde, gäbe es mit Sicherheit auch nicht so viele Unfälle. Nein zu sagen zeigt Stärke und benötigt meistens mehr Überwindung, als in einen riskanten Hang zu fahren.

derStandard.at: Jeder will ins Gelände. FahrerInnen wie Sie gelten als Vorbilder. Wie gehen Sie mit dieser Rolle bzw. Verantwortung um?

Walkner: Jeder von uns Profis versucht immer und immer wieder darauf hinzuweisen, nie ohne Lawinenkurs und Sicherheitsausrüstung ins Gelände zu gehen. In den Medien wird ständig kommuniziert, wie gefährlich Freeriden ist. Aber warum konzentriert man sich nicht einfach mehr darauf, wie man diesen Sport mit wenig Risiko und viel Spaß ausüben kann? Freeriden kann sehr sicher ausgeübt werden, wenn man ein wenig Know-how mitbringt.

derStandard.at: Wie schwer ist es, alles so leicht aussehen und wirken zu lassen - und wie vermittelt man das einem Normalverbraucher?

Walkner: Es sieht meistens tatsächlich sehr einfach aus. Ich selber fahre seit meinem dritten Lebensjahr Ski. 20 Jahre im Rennlauf, Europacup- und Weltcuprennen. Also bin ich seit fast 30 Jahren jedes Jahr zwischen 100 und 200 Tagen im Schnee. Viele neigen sehr stark dazu, sich zu überschätzen. Wenn ich eine steile Rinne oder einen Hang runterfahre und es kommt zum Beispiel etwas "Sluff" (Lockerschneerutschung, Anm.) mit, dann wissen vermutlich viele nicht, wie man damit umgehen soll - es wird gefährlich, sie stürzen oder bringen sich sehr schnell in große Gefahr. In den Skifilmen sieht alles so einfach aus, aber hier steckt jahrelange Erfahrung und eine perfekte Vorbereitung dahinter. Jeder sollte nur so weit gehen, wie es das eigene Können zulässt. Grenzen kann man ausloten, sollte man jedoch nie überschreiten.

derStandard.at: Soll weiterhin jeder ins freie Gelände dürfen? Schließlich gefährdet man ja nicht nur sich selbst.

Walkner: Ich denke, man kann es niemandem verbieten. Jeder kann tun und lassen, was er will, und trägt auch die Verantwortung für sein Tun und Handeln. Oft bringen sie auch andere in Gefahr. Deshalb bin ich persönlich auch lieber weit weg vom Freeride-Tourismus. Freerider, die zum Teil nicht nachdenken, fahren in jeden Hang hinein, zu zweit, zu dritt. Sie queren einen gefährlichen Hang, während unter ihnen andere Skifahrer stehen, manche denken einfach zu wenig nach bzw. wissen einfach nicht besser, wie man sich im Gelände richtig verhält. Es ist wie auf der Straße mit einigen Autofahrern: Man muss sich manchmal mehr auf die anderen und deren Fahrverhalten und Handeln konzentrieren als auf sich selbst.

derStandard.at: Tragen die Industrie, Hersteller und Tourismuswerbung Verantwortung, wenn Ungeübte sich überschätzen und ins Gelände fahren - oder ist das wirklich ausschließlich jedermanns eigene Verantwortung?

Walkner: Wenn jemand bei einem Autounfall ums Leben kommt, trägt auch nicht der Hersteller oder die Werbung die Verantwortung. Der Fahrer hat einen Fehler gemacht, war zu schnell, hat das Glatteis unterschätzt oder einfach sich selbst und das Mögliche. Genauso ist es auch beim Freeriden. Die Industrie bietet die Produkte an, den richtigen Umgang muss jeder selbst erlernen. Mit Umgang meine ich auch die Notfallausrüstung wie das LVS-Gerät: Im Ernstfall hat man keine Zeit, die Situation ist enorm belastend und stressig - wenn man dann nicht genau weiß, wie sein LVS-Gerät funktioniert, kann das Leben des besten Freundes am Spiel stehen. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 20.2.2012)