Soletti mampfen, an die berufliche Zukunft denken: "Jetzt, wo sich die Wahl auf zwei reduziert hat, bin ich schon ein bisschen entspannter." Auf der Titelseite der türkischen Satirezeitung Uykusuz sieht man einen Schulbub nach dem Schlagabtausch in der Politik über die Erziehung einer atheistischen oder einer religiösen Generation.

Spricht man dieser Tage mit Türken, die sich mit der politischen Entwicklung ihres Landes befassen – aus beruflichen Gründen oder bürgerlichen Interesse –, hört man zunehmend verstörte Kommentare. Alles etwas spooky: Die Massenverhaftungen ohne Ende und erkennbares Ziel (107 waren es allein am heutigen Montag, denen eine Mitgliedschaft in der KCK vorgeworfen wird, einem zumindest für die Öffentlichkeit nicht sichtbaren politischen Arm der kurdischen Untergrundarmee PKK. Mehr als 4000 dürften nun in türkischen Gefängnissen in Untersuchungshaft sitzen, zum Teil seit bald drei Jahren). Die Anklage gegen einen General, der vor zwei Jahren noch die türkische Armee anführte, neben Staatspräsident und Regierungschef saß, aber in Wirklichkeit einer geheimen Terrororganisation vorgestanden haben soll, die den Staat umstürzen wollte. Die türkische Polizei, die dem Netzwerk des in die USA geflüchteten Predigers Fethullah Gülen zugerechnet wird, nun eifrig Mitarbeiter des nationalen Geheimdienstes verhaftet und am vergangenen Wochenende auch versucht hat, in den Sitz des MIT in Istanbul einzudringen. Der Geheimdienst schließlich, der – so erfährt das Publikum aus Berichten von Journalisten, die der Justiz genehm sind – eben jene nebulöse Kurden-Organisation KCK initiiert haben soll, deretwegen 4000 Personen in Haft sitzen. Ministerpräsident Tayyip Erdogan, der im zehnten Regierungsjahr seinen Willen erkennen lässt, als Staatspräsident von 2014 an weitere fünf oder gar zehn Jahre an der Macht zu bleiben, gleichzeitig aber Spekulationen über seinen wahren Gesundheitszustand nicht mehr eindämmen kann. Erdogan schließlich, der vor zwei Wochen einen Satz sagte, der vor wenigen Jahren noch vermutlich zu einem von der Armee erzwungenen Rücktritt und einer Anklage geführt hätte: „Eine religiöse Generation wird erzogen.“ Oder wie es Erdogans Stellvertreter Bülent Arinc später wiederholte, damit es auch wirklich klar ist: „Wir wollen eine religiöse Generation erziehen.“

Erdogans Satz, gesprochen am 1. Februar in einer der wöchentlichen Reden des Premiers in Ankara an die Provinzchefs seiner Partei für Gerechtigkeit und Fortschritt (AKP), hat eine Debatte ausgelöst, die sich immer noch nicht erschöpft hat. Ein Tabu in der verfassungsrechtlich garantierten laizistischen Republik Türkei ist umgestoßen, so viel ist sicher. Aber ein hysterischer Aufschrei bei Parteien und in der Öffentlichkeit ist ausgeblieben, erst recht Drohungen der Armee, die sich ungeachtet ihrer eigenen Schwächung noch als Garant der säkularen Verfassung sieht. Viele fühlen sich unwohl angesichts der Ankündigung einer „religiösen Generation“, manche AKP-Gegner nahmen Erdogans Äußerung mit einer grimmigen Zufriedenheit entgegen („die Maske ist gefallen“), die Tragweite des Satzes scheint allen etwas unsicher. Erdogan hat außerhalb seiner eigenen Partei auch kaum Zustimmung geerntet, nicht einmal bei Meinungsführern in Zeitungen, die ihm sehr wohl gesonnen sind. Es ist nicht Aufgabe des Staates, so heißt es - „Staat“ und „Regierungspartei“ werden gleichgesetzt -, die Jugend in die eine oder andere Richtung zu steuern.

An den insgesamt maßvollen Reaktionen in der Türkei auf Erdogans Erziehungswunsch lässt sich allen zum Trotz ein liberaler gewordenes Gesellschaftsklima ablesen. Das wirkt paradox angesichts des gleichzeitigen autoritären Trends in Staat und Regierung und der fragwürdigen Machenschaften von Polizei und Justiz. Doch Widersprüchlichkeit ist ein Organisationsprinzip der türkischen Politik. Es gibt nicht viele, die der AKP nach zehn Jahren an der Macht unterstellen, sie wolle jetzt doch noch einen Gottesstaat einführen. Man wird auch den Hintergrund sehen müssen, vor dem Erdogan seinen Ausspruch tat. Es war eine zugespitzte Replik auf die kemalistische Oppositionspartei, die eine bestimmte Reform in dem notorisch schlechten türkischen Erziehungsystem kritisierte; Absolventen von beruflich orientierten Gymnasien – darunter fallen auch die religiösen Imam-Hatip-Schulen – werden bei den Eingangsprüfungen an den Universitäten nun gleich behandelt. Die AKP sei eine konservative Partei, erklärte Erdogan in seiner Rede, was erwarte Kemal Kilicdaroglu (der Vorsitzende der kemalistischen CHP) – dass die AKP eine atheistische Generation erziehe?

„Dindar bir genclik yetiştirme var“ - „eine religiöse Generation wird erzogen“. Erdogans Satz fällt bei etwa 1:25, heftig applaudiert von den Parteifunktionären: