Karriere als Betriebsrat? Welche Fähigkeiten der mächtige Voestalpine-Belegschaftsvertreter für ausschlaggebend in dieser Position hält.

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Hans Karl Schaller: "Sattelfest sein, sich bilden, lesen - nur dann stellt man sich hin."

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STANDARD: Herr Schaller, schon Ihr Vater war Betriebsrat. War der familiäre Einfluss auch ein Grund dafür, sich von Anfang an als Interessenvertreter auf betrieblicher Ebene zu engagieren?

Schaller: Ich bin zweifellos vorbelastet, und zwar im negativen Sinn. Mein Vater war in einem kleinen oberösterreichischen Unternehmen Betriebsrat. Schon als Kind habe ich mitbekommen: Das ist ein Job, der endet nie. Von früh bis spät war nicht nur er, sondern auch die ganze Familie mit den Sorgen seiner KollegInnen konfrontiert. Das war belastend. Darum habe ich mir damals auch geschworen: Du wirst nie im Leben Betriebsrat.

STANDARD: Und heute sind Sie sicherlich einer der mächtigsten Belegschaftsvertreter. Weshalb sind Sie sich selbst gegenüber wortbrüchig geworden?

Schaller: Das ist eher zufällig passiert. Ich bin erlernter Betriebsschlosser und 1982 in die Voestalpine eingetreten. Als Junger war ich ganz auf eine betriebliche Karriere konzentriert. Aber die Kollegen sind sehr bald an mich herangetreten und wollten, dass ich im Betrieb ihr Vertrauensmann werde. Nach nicht einmal einem Jahr war ich dann schon Betriebsrat. Alles ging Schlag auf Schlag.

STANDARD: Wohl kein Zufall, dass die Kollegen gerade Sie "auserwählt" haben.

Schaller: Wahrscheinlich nicht. Ich habe immer die Auffassung vertreten, dass wir uns artikulieren müssen, wenn uns etwas nicht passt. Jammern alleine hilft nicht.

STANDARD: Welchen Fähigkeiten schreiben Sie es zu, dass Sie in Ihrer Funktion reüssiert haben? 2005 wurden Sie Vorsitzender des Arbeiterbetriebsrats, seit 2008 sind Sie Vorsitzender des Konzernbetriebsrats und des Europabetriebsrats der Voestalpine AG.

Schaller: Ich sage immer, es kommt auf die drei "V" an. Man muss mit den Menschen so sprechen, dass sie einen verstehen. Wenn sie mich verstehen, vertrauen sie mir auch. Und mit ihrem Vertrauen im Rücken können wir gemeinsam etwas verändern. An diese Regel halte ich mich immer. Betriebsrat sein ist ja kein Honiglecken. Mein Hauptgeschäft ist der Umgang mit Problemen. Denken Sie an die Verhandlungen über Kurzarbeit, Standortverlegungen oder Betriebsschließungen. Die Leute ziehen ja nur mit mir mit, wenn sie die Thematik verstanden haben, wissen, worum es jetzt geht.

STANDARD: Es scheitert ja meist nicht am Verstehen. Die Menschen fürchten sich vor den persönlichen Konsequenzen.

Schaller: Die Sorgen der Kollegen sind bei mir auch Nummer eins. Trotzdem bin ich kein Betriebsrat, der nicht auch die Interessen des Unternehmens und der Kunden im Blickfeld hat. Ich setze mir immer den Hut meines Gegenübers auf, ich denke auch an das Unternehmen und die Kunden. Auf den Dreiklang kommt es an.

STANDARD: Das klingt eher, als wäre Ihre Funktion die eines Mediators, nicht die eines Interessenvertreters.

Schaller: Natürlich geht es mir um die Mitarbeiter. Aber ich höre mir bei Verhandlungen immer die Standpunkte der anderen an. Früher war ich ein Heißsporn. Heute gehe ich ruhiger an die Sache heran. Und eines habe ich gelernt; Wenn sich Kollegen an mich mit einem Anliegen wenden, sage ich nicht mehr: "Ich regle euch das. Ich erledige das für euch." Nein! Wir machen das. Das ist ein großer Unterschied. Das heißt aber nicht, dass ich nicht ganz für meine Leute da bin. Im Gegenteil. Mein Tag beginnt um 6.30 Uhr mit einem Kaffee im Gewerkschaftsbüro und endet spät abends. Mein Handy drehe ich überhaupt nie ab. Ich stehe den ganzen Tag unter Strom. Aber das brauche und will ich auch so.

STANDARD: Was sagen Sie einem jungen Kollegen, der als Betriebsrat Karriere machen will?

Schaller: "Schau dir das Ganze einmal an!", sag ich. Man muss jemand sein, der vor den Leuten nicht davonrennt, sondern mit ihnen spricht und zuhören kann. Viele kommen und sagen, sie wollen zuallererst einen Rhetorikkurs machen, damit sie so sprechen lernen wie ich. Aber es kommt auf etwas ganz anderes an: Man muss in den wichtigen Themen sattelfest sein, das heißt, sich bilden und lesen, viel lesen. Wissen und Weiterbildung ist unser Brot. Nur wenn man firm ist, stellt man sich auch bei einer Betriebsversammlung vor 4000 Leute und spricht.

STANDARD: Sie sind freigestellt, verhandeln mit Vorständen, sind auf Achse, haben einen Chauffeur. Besteht nicht die Gefahr, den "Basis"-Bezug zu verlieren?

Schaller: Bei mir nicht. Ich rede nämlich mit den Menschen, die Zeit habe ich mir immer genommen. ( Judith Hecht/DER STANDARD; Printausgabe, 11./12.2.2012)