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Margaret Thatcher 1981 in Indien.

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Wirtschaftspolitisch ein unschlagbares Duo: Ronald Reagan 1981 im Plausch mit Margaret Thatcher. Hieß es in Europa Thatcherismus, setzten die US-AmerikanerInnen mit Reagan auf "Reaganomics". Ihre wirtschaftspolitische Praxis unterschied sich kaum.

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Nach einer Gedenkveranstaltung 2007: Die ehemalige Premierministerin winkt den Falkland-Veteranen, und diese winken zurück.

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Margaret Thachter posiert im November 2009 neben ihrem Porträt, angefertigt von Richard Stone.

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Die politische Bühne verließ Margaret Hilda Thatcher schon vor mehr als 20 Jahren. Doch kaum ein politischer Geist schrieb sich in Großbritannien und auch im restlichen Europa so fest ein wie ihrer. Sie spaltete die öffentliche Meinung schon während ihrer Zeit als Premierministerin von 1979 bis 1990. Nun gibt es eine neu entflammte, hitzige Debatte über die gelernte Chemikerin - ausgelöst durch den Film "The Iron Lady", der ab März auch in den heimischen Kinos zu sehen ist.

Weil die 1925 geborene, inzwischen an Demenz erkrankte Politikerin im Film von Phyllida Lloyds als demenzkranke Frau dargestellt wird, die in Rückblenden von den Geistern ihrer Vergangenheit heimgesucht wird, empören sich ihre AnhängerInnen und werfen der Filmemacherin Pietätlosigkeit vor. Gleiches ist und war von Thatchers politischen GegnerInnen zu hören, jedoch in der Bewertung ihrer Politik. Der filmische Fokus auf Verteilungsfragen und das Geschlecht der ehemaligen Premierministerin ließe die inzwischen 85-Jährige als Feministin erscheinen, ist einigen FilmkritikerInnen zu entnehmen. Aber war sie das wirklich?

Keine Frau der Quote

"Dem Kampf um Frauenrechte verdanke ich nichts", ließ sie die Öffentlichkeit wissen, und als sie als Kandidatin der Conservative Party (Tories) 1979 zur Premierministerin gewählt wurde, war auch von Frauenquoten noch keine Rede. Überhaupt war ihr Frauenpolitik ein rotes Tuch. Für britische Feministinnen in der Ära Thatcher war es erstaunlich, dass Thatcher unter ihren Kollegen als besonders weiblich und beliebt galt. "Thatcher war für Männer akzeptabel, weil sie deren Welt bestätigte", antwortete darauf die britische Journalistin und Autorin Beatrix Campbell.

Tatsächlich herrschte in England zu Thatchers Zeit eine größere Kluft zwischen den Geschlechtern als in anderen westlichen Industriestaaten. So gehörten zwei Drittel der Frauen, die insgesamt 40 Prozent der Erwerbstätigen stellten, zu den niedrigsten Einkommensgruppen, wie der Soziologe Max Haller in einer Analyse der Klassenstruktur von 1960 bis 1990 aufzeigt. Der Wochenlohn der Männer lag im Durchschnitt um 52 Prozent höher als jener der Frauen. Wie die Gehaltsrelationen im Einzelnen aussahen, blieb Männersache, denn die britische Frau hatte kein Recht auf Auskunft über die Einkünfte ihres Mannes. Die Bürokratie unter Thatcher ging davon aus, dass der männliche Hausvorstand über die Ehefrau und sonstige Abhängige bestimmte.

Bei Führungskräften in der Privatwirtschaft lag der Frauenanteil bei rund sechs Prozent. Anders das Bild bei Büro- und Hilfskräften: Im öffentlichen Dienst waren rund 75 Prozent davon Frauen. In den Staatssekretariaten hingegen waren es nur knapp über zwei Prozent. Generell war der weibliche Anteil im Parlament schwach, denn nur 28 Prozent Mandatarinnen schafften es unter die insgesamt 650 Abgeordneten im Unterhaus.

Thatcher als "Milk Snatcher"

Bis zum Rücktritt Thatchers im Jahr 1990 hat sich die Situation der britischen Frauen wahrlich nicht verbessert. Die Zahl der weiblichen Arbeitslosen verdreifachte sich in den elf Jahren Thatcher-Regierung laut ILO (International Labour Organisation): Mehr als eine Million Frauen hatten keinen Job, und somit rutschten immer mehr Frauen in die Armut. Es wurden Ausbildungsprogramme gekürzt, ebenso die finanzielle Unterstützung beim Mutterschutz, beim Schul-Essen und bei Kindergärten. Schon als Thatcher Anfang der 1970er Jahre Kultur- und Wissenschaftsministerin war, zeigte sich ihre rigorose Sparpolitik, als sie die Gratismilch an den Grundschulen abschaffte. Das brachte ihr die Bezeichnung "Milk Snatcher" (Milchräuberin) ein.

"Es herrscht Sexismus"

Resignierend beschrieb Campbell 1987 in ihrem Buch "The Iron Ladies: Why Do Women Vote Tory?" die Situation: Thatcher sei zwar eine mächtige Frau, aber sie verändere nichts für Frauen. Auch das "Wall Street Journal" war in der Beurteilung der "Eisernen Lady" nicht gerade zimperlich: "Zwei Frauen mögen führen (Thatcher und die Queen, Anm.), aber es herrscht Sexismus. Arbeitende Frauen bleiben Bürgerinnen zweiter Klasse." So weit die Beurteilung zu der Zeit, als Thatcher noch Premierministerin war. Wie sieht die rückwirkende Einschätzung aus?

Jenny Anderson, britische Journalistin und Autorin, resümiert heute im "Guardian", dass Thatcher strukturelle Gegebenheiten vollkommen ausblendete und Individualismus und Eigenverantwortung allem voranstellte. "Immer, wenn Thatcher als Feministin bezeichnet wird, stirbt in mir ein kleines Stück Feminismus", so die Journalistin im Jänner, als sich die BritInnen aufgrund des Films "Die Eiserne Lady" in einer neu aufgelegten Thatcher-Diskussion wiederfanden.

Revolutionäres

Etwas differenzierter sieht es eine Kollegin. Von entscheidender Bedeutung sei, dass Thatcher weiblichen Erfolg normalisierte. Das bedeutet für Natasha Walter jedoch nicht, dass sie eine Feministin war. "Sie hatte kein Interesse an sozialer Gerechtigkeit und wusste nichts von weiblicher Solidarität", schrieb sie ebenso im "Guardian". Ähnlich Mary Beard, Professorin in Cambridge: "Man kann nicht leugnen, dass mit der ersten Premierministerin ein wichtiger symbolischer Schritt nach vorne gemacht wurde", aber auch sie negiert die "feministische Ikone" in Thatcher. Ähnlich wie Beard sieht das die Politikwissenschaftlerin Gabriele Michalitsch: "Feministin war sie keinesfalls, aber als Frau 1979 britische Premierministerin zu werden ist doch relativ revolutionär. Insofern war sie sehr wohl ein role-model", so Michalitsch gegenüber dieStandard.at.

Im Kampfmodus

Als Thatcher nach ihrer ersten Amtszeit als Premierministerin in einem Umfragetief war und um ihre politische Zukunft kämpfte, schaltete sie ihren Kampfmodus ein. Es ist an Zynismus kaum zu überbieten, dass Thatcher nach der Rückeroberung der Falklandinseln, die 255 britische Soldaten und 655 Argentinier das Leben kostete, als Kriegsheldin gefeiert wurde und auf einer Welle der Popularität ritt. "Krieg als Rettung", umschrieb Naomi Klein die Situation, in der sich Thatcher nach dem Falkland-Krieg wiederfand. Fortgeführt wurde er im eigenen Land.

Denn als die Kohlebergleute 1984 streikten, stellte sie den Aufstand als Verlängerung des Krieges mit Argentinien hin und verlangte eine ähnlich brutale Lösung. "Wir mussten auf den Falklands den äußeren Feind bekämpfen, und jetzt müssen wir gegen den inneren kämpfen, was viel schwieriger, aber für die Freiheit genauso gefährlich ist", so Thatchers berühmter Ausspruch, bevor sie die volle Staatsgewalt auf die Streikenden losließ und es insgesamt zu mehr als 1.000 Verletzten kam.

Politik des Ausverkaufs

Nach der Wiederwahl entfaltete sie schließlich das, was später unter "Thatcherismus" gehandelt wurde. Einen Vorgeschmack darauf lieferte sie in ihrer Sozialpolitik beim Verkauf der britischen Sozialwohnungen. Schon aus politisch-philosophischen Gründen lehnte sie es ab, dass der Staat Eigentümer von Wohnungen sein soll - zudem lebten in den Sozialwohnungen vor allem Menschen, die die Tories nicht wählten. Wenn man diese Leute auf den freien Wohnungsmarkt bringen könnte, würden sie sich mit den Werten wohlhabenderer Schichten identifizieren, so die Überzeugung der "Eisernen Lady". Das Ergebnis war, dass diejenigen, die es sich leisten konnten, Wohnungen kauften, und diejenigen die es sich nicht leisten konnten, als Obdachlose die Straßen der britischen Großstädte füllten.

Privatisierung als Flaggschiff

"Thatcherismus" war vorerst negativ konnotiert, weil der Begriff von ihren politischen GegnerInnen kreiert wurde. Mit einer Umdeutung der ParteikollegInnen hat sich der Begriff, der nicht für eine Wirtschaftstheorie, sondern vielmehr für ihre Praxis steht, etabliert. Der britische Soziologe Anthony Giddens charakterisiert diese Praxis etwa mit einem schlanken Staat, Marktfundamentalismus, Hinnahme sozialer Ungleichheit, autoritärer Moral in Verbindung mit ökonomischem Individualismus, Selbstregulation des Arbeitsmarktes und stark reduzierter staatlicher Wohlfahrt. Thatchers wesentliche Pfeiler waren die Reduzierung der Macht der Gewerkschaften sowie eine umfassende Liberalisierung verschiedener Wirtschaftszweige. Insbesondere die Privatisierungspolitik wurde zum Flaggschiff des Thatcherismus.

Eben auch in ihrer Wirtschaftspolitik, die nicht losgelöst von anderen Reformen gesehen werden kann, war Thatcher alles andere als eine feministische Politikerin. Die Politikwissenschafterin Gabriele Michalitsch gibt zu bedenken, dass "Thatcher als neoliberale Vorreiterin vorexerzierte, was in den 1990er Jahren europaweit bestimmend wurde". Als Beispiel nennt Michalitsch "Aktivierung". Thatcher war die Erste in Europa, die Arbeitslosengeld nur ausbezahlte, wenn die Betroffenen aktive Arbeitssuche vorweisen konnten. Für Michalitsch war Thatcher "die Klassenkämpferin ihrer Zeit". Eva Kreisky, ebenso Politikwissenschafterin, ordnet Thatcher ähnlich ein, wenn sie etwa meint, dass "Thatcher in einer fraglos rauen britischen Wendepolitik ihren 'Mann' stellte". (dieStandard.at, 12.2.2012)