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Griechenland zählt zu den geologisch aktivsten Zonen Europas. Am 8. Juni 2008 erschütterte ein Beben der Stärke 6,4 den Südwesten des Landes. Österreichische Forscher konnten nun zeigen, dass in den Tiefen unter dem griechischen Boden bisher unbekannte Vorgänge ablaufen.

Foto: AP/Petros Karadjias

Wien - Was sich im Boden unter dem östlichen Mittelmeer abspielt, galt bislang als einigermaßen geklärt und gesichert - ein Irrtum, wie sich nun herausgestellt hat. Wiener Forscher konnten anhand von Analysen von Gesteinsschichten, die ursprünglich tief unter der Erde lagen, zeigen, dass die Erdkruste in der Ägäis vor etwa zehn Millionen Jahren nicht nur in eine Richtung gedehnt wurde, wie bislang angenommen. Auf den westlichen Kykladen fanden sie Hinweise darauf, dass das bisherige Modell der unterirdischen Bewegungen in der Region einer Überholung bedarf. Ihre Ergebnisse wurden kürzlich in dem Fachjournal "Lithosphere" veröffentlicht.

Im Rahmen eines vierjährigen FWF-Projekts hat sich Bernhard Grasemann vom Department für Geodynamik und Sedimentologie der Universität Wien mit der geologischen Struktur der westlichen Inseln der Kykladen in der südlichen Ägäis befasst. Diese Region sei im Gegensatz zu den östlichen und nördlichen Inseln bisher von der Wissenschaft "ein wenig stiefmütterlich" behandelt worden, so der Forscher.

Im Osten und Norden der Inselgruppe wurden in den 1980er und 90er Jahren große Störungsstrukturen entdeckt. Diese sogenannten "Abscherungshorizonte" sind Ergebnisse von Vorgängen, bei denen Gesteine, die ursprünglich tief in der Erdkruste gelegen haben, durch Erdbeben an die Oberfläche gelangt sind. Diese Strukturen zeigen eine starke Dehnung - eine Extension - dieses Teils der Erdkruste an. Die Art der Verformung lässt darauf schließen, dass das Gestein vor ungefähr zehn Millionen Jahren Richtung Norden geschoben wurde. Seitdem gehen alle gängigen Modelle zur Bewegung der tektonischen Platte im ägäischen Raum von einer "nordgerichteten Extension" aus, so Grasemann.

Gigantisches Störungssystem

"Wir haben aber auf den Westkykladen ein gigantisches Störungssystem gefunden", dass in Richtung Süden gedriftet ist. Laut den Analysen der Wiener Forscher fand diese "spiegelverkehrte" Bewegung etwa zur gleichen Zeit statt, wie die Bewegungen nach Norden im nordöstlichen Teil der Inseln. "Diese Entdeckung hat eigentlich dazu geführt, dass wir jetzt ein völlig neues Modell von der Extension der ägäischen Platte haben", so der Wissenschafter. Es sei nun klar, dass die Platte damals gleichzeitig in Richtung Norden und an einer anderen Stelle nach Süden hin gedehnt wurde.

"Das ist deshalb spannend, weil solche Bewegungen zur Zeit auch unter dem griechischen Festland im Bereich des Golfs von Korinth ablaufen." Diese Vorgänge sind dafür verantwortlich, dass in der Region immer wieder starke Erdbeben stattfinden. Da diese Bewegungen aber in etwa zehn Kilometern Tiefe ablaufen, könne man sie nicht wissenschaftlich untersuchen. Man habe hier nun eine ähnliche Entwicklung gefunden, die zwar vor sehr langer Zeit stattgefunden hat, an der sich aber die Deformationen ablesen und die Mechanismen dahinter studieren lassen. "Um solche Abläufe direkt anschauen zu können, muss man auf alte Systeme zurückgreifen", so der Forscher.

Neudatierung

Für ihre Untersuchungen mussten die Wissenschafter Karten mehrerer Inseln überarbeiten oder komplett neu zeichnen. Die Proben der Gesteine aus den Störungsstrukturen wurden in Wien mit Hilfe eines Rasterelektronenmikroskops untersucht. In Zusammenarbeit mit amerikanischen Kollegen konnten die Zeitpunkte ihrer Entstehung genau datiert werden.

Auf eine "alte Diskussion" unter den Wissenschaftern, die sich mit Plattentektonik befassen, habe die Entdeckung direkte Auswirkungen. Grundsätzlich stelle sich nämlich die Frage, ob die Extension einer Platte symmetrisch - also mit zwei gegengerichteten Störungssystemen - oder asymmetrisch abläuft. Bisher habe die Ägäis immer als Beispiel für eine asymmetrische Extension gegolten, "unsere Ergebnisse haben aber gezeigt, dass es sich auch hier um ein symmetrisches System handelt", so Grasemann. (APA, red)