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In einem Wiener Heim untergebrachte Kinder sollen in den 1960er Jahren als Erregerträger "verwendet" worden sein.

Foto: dpa/Patrick Pleul

Wien - Siegfried Kasper, Vorstand der Wiener Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, hat am Mittwoch einen Missbrauch jener Patienten, die in den 1960er Jahren mit Malaria gegen psychiatrische Erkrankungen behandelt worden sein sollen, nicht ausgeschlossen. Es sei durchaus möglich, dass die Betroffenen damals als "Erregerträger" verwendet worden seien, sagte Kasper. Die Uni-Klinik will die Sache nun in den nächsten Wochen aufarbeiten.

Die "Malariatherapie" sei ab den späten 1920er Jahren gegen Syphilis zum Einsatz gekommen, ihm selbst sei allerdings nicht bewusst gewesen, "dass das nach dem Zweiten Weltkrieg noch gelaufen ist". Allerdings: "Für psychiatrische Erkrankungen gab es gar keine Verwendung", so Kasper. Um Syphilis-Patienten den Malariaerreger spritzen zu können, habe man freilich "Erregerträger" gebraucht. Es sei möglich, dass Menschen mit oder ohne ihr Wissen dafür "verwendet" wurden, räumte der Klinik-Chef ein.

Betroffene sollen sich melden

Um den kürzlich erhobenen Vorwürfen nachzugehen, habe man inzwischen ein Krisenteam eingerichtet. Da die Krankenakten nur 30 Jahre aufgehoben werden müssen und deshalb jene aus den 1960er Jahren nicht mehr existieren, sollten sich Betroffene unter der Telefonnummer 01/40400-3568 melden. Das sei eine wichtige Quelle, um Klarheit in die Sache zu bringen. Er werde persönlich mit den Menschen sprechen, versicherte Kasper. Außerdem will die Klinik medizinische Zeitzeugen ausfindig machen. Man sei auf der Suche nach früheren Ärzten, die damals in der Uni-Klinik gearbeitet haben, damit diese Auskunft über die damalige Praxis geben.

Kasper rechnet mit einem Untersuchungszeitraum von vier bis fünf Wochen. Ziel der Erhebungen sei es herauszufinden, ob die umstrittene Therapie zu jener Zeit noch "State of the Art" war - also dem damaligen Stand der Wissenschaft entsprach -, ob Betroffene durch den Einsatz der Malaria-Kur biologischen oder psychischen Schaden, beispielsweise posttraumatische Belastungsstörungen, erlitten und wie man ihnen gegebenenfalls nun helfen könne.

Zweiter Betroffener

Neben dem 63-jährigen Mann, der mit seinen Schilderungen die Geschichte ins Rollen brachte, hat sich inzwischen ein zweiter Betroffener aus Niederösterreich bei der Opferorganisation Weißer Ring gemeldet. Beide Fälle werden derzeit bearbeitet, sagte eine Sprecherin der Organisation, die die Hilfszahlungen an Missbrauchsopfer in Wiener Heimen abwickelt. Die medizinhistorische Aufarbeitung müsse aber in den Krankenhäusern erfolgen. Eine "neue Welle" von Meldungen ehemaliger Heimkinder, die in der Vergangenheit mit körperlicher oder psychischer Gewalt konfrontiert wurden, spüre man derzeit jedenfalls noch nicht, so die Sprecherin.

Dreistellige Dunkelziffer

Beim Anwalt Johannes Öhlböck hätten sich inzwischen bereits vier Betroffene gemeldet. Er geht aber von einer weit höheren Dunkelziffer aus: "Mathematik und Logik legen nahe, dass es etwa 100 Opfer gibt", sagte der Jurist.

Die von dem Juristen angenommene dreistellige Dunkelziffer ergebe sich aus dem Zeitraum, in dem diese Behandlungen offenbar stattgefunden hätten - von etwa 1960/61 bis 1964 -, der berichteten Dauer der "Kur" (meist 14 Tage) sowie dem Umstand, dass es dafür zwei Kinder gebraucht habe: "Man hat Blut aus der Vene eines Kindes genommen und in den Gesäßmuskel eines anderen Kindes gespritzt", gab Öhlböck die Darstellungen seiner Mandanten wieder. Das sei vor den Augen der betroffenen Kinder geschehen, und im übrigen auch mit der selben Spritze. (APA)