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Steht auf dem Kopf: Der damalige israelische Premierminister David Ben-Gurion, Jahrgang 1886, zeigt im September 1957 vor, wie man auch im hohen Alter fit bleibt. Der junge Mann im Hintergrund scheint beeindruckt zu sein.

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Wer heutzutage ein Kind zur Welt bringt, schenkt ihm ein langes Leben. Ein Mädchen, das 2009 geboren wurde, wird voraussichtlich 83 Jahre alt, ein Bub 77. Rund die Hälfte der heute Zweijährigen indes, berechnete eine im Fachmagazin The Lancet veröffentlichte Studie, könnte gar hundert Jahre alt werden. Allein in Großbritannien werden nach Angaben des Department for Work and Pensions 2050 etwa 250.000 Menschen dreistellige Geburtstage feiern. "Der König wird sehr beschäftigt damit sein, Glückwunschkarten zu verschicken", ulkt John Benyon, Forschungsdirektor des Institute of Lifelong Learning an der Universität Leicester.

Und die Alten werden außerdem mehr: Im Jahr 1950, haben die Vereinten Nationen errechnet, gab es etwa 200 Millionen Menschen weltweit, die mehr als 60 Jahre alt waren. Im Jahr 2000 war ihre Zahl auf 600 Millionen gestiegen. 2050 werden gar mehr als zwei Milliarden Menschen dieses Alter erreichen. Jedes Jahr wächst die Zahl der Alten auf der Welt um zwei Prozent, und unter ihnen nimmt die Zahl der sehr alten Menschen von 85 Jahren aufwärts am stärksten zu. Die Folge: Obwohl auch die Menschheit als Ganzes rasant wächst, nimmt der prozentuale Anteil ihrer Alten immer weiter zu. Allein in den entwickelten Ländern steigt die Lebenserwartung jedes Jahr um weitere drei Monate.

Europa wird schnell alt

Es gibt jedoch deutliche regionale Unterschiede: "Als eine der ersten Regionen wird Europa altern", sagt Vegard Skirbekk, Leiter des Age and Cohort Change Project des International Institute for Applied Systems Analysis in Wien. Bis 2030, glauben Experten wie er, wird die Hälfte der europäischen Bevölkerung 50 Jahre und älter sein.

Auch Asien steht vor einem Wandel: Ein Fünftel aller Menschen über 65 Jahren leben heute in China. Im Land selbst stellen die Älteren derzeit zwar nur rund neun Prozent. Experten gehen allerdings davon aus, dass ihr Anteil bis 2050 auf fast ein Viertel der Bevölkerung hochschnellen wird. Auch wenn in den Entwicklungsländern mit derzeit rund acht Prozent nur wenige alte Menschen leben, wird auch ihre Zahl in wenigen Jahrzehnten auf ähnliche Anteile anwachsen wie bei uns.

Die Ursachen dafür: Zum einen geht die Kindersterblichkeit zurück, Krankheiten können besser behandelt werden. Zum anderen ernähren wir uns besser, leben gesünder und müssen weniger hart arbeiten. Die Folge: Das Alter, in dem wir tödliche Krankheiten entwickeln, rückt immer weiter nach hinten. Manche Experten wie James Vaupel, Direktor am Rostocker Max-Planck-Institut für demografische Forschung, glauben gar, dass es gar kein biologisches Höchstalter gibt und wir - theoretisch - auch 120 Jahre oder älter werden könnten.

Der Trend zum längeren Leben wird zahlreiche Veränderungen mit sich bringen - nicht nur bei Arbeit und Rente, sondern auch in der Politik und in der Art und Weise, wie Altsein gesellschaftlich betrachtet werden wird. Glaubt man den Feuilletons der vergangenen Jahre, steht uns durch das längere Leben Schlimmes bevor: Überalterung, Altenschwemme oder der Methusalem-Komplott sind nur einige Begriffe, mit denen der Trend zum längeren Leben kommentiert wurde. Eine zentrale Sorge ist die Frage der Gesundheitsversorgung. Das Statistische Bundesamt in Deutschland schätzt, dass es in zwanzig Jahren doppelt so viele Pflegebedürftige geben könnte wie heute.

Krankheiten nach hinten

Doch bedeutet dies auch, dass diese Menschen, weil sie älter werden, auch ein Mehr an Pflege brauchen werden? "Das muss nicht unbedingt sein", sagt Katja Patzwaldt von der Jacobs University in Bremen. Studien hätten gezeigt, dass zwar die letzten Lebensjahre oft durch Krankheiten und auch Pflege belastet würden.

Doch wenn die Menschen älter würden, wären sie deshalb nicht länger krank. Stattdessen würden sich die Phasen, in den sie pflegebedürftig würden, einfach nach hinten verschieben. Auch düstere Prognosen zum Thema Demenz und Alzheimer sehen Experten durchaus unterschiedlich. Einerseits prognostiziert das Max-Planck-Institut für demografische Forschung, dass die Zahl der dementen Patienten in Deutschland allein aufgrund der höheren Lebenserwartung von derzeit etwa 1,2 Millionen auf etwa 2,0 bis 2,7 Millionen steigen wird. Gleichzeitig gehen die Forscher aber davon aus, dass die dementen Lebensphasen später auftreten könnten als bisher. Diese These wird auch durch eine Studie der Jacobs University bestärkt. Tests ergaben dabei, dass ein aktiver Lebenswandel mit körperlicher Bewegung die kognitiven Fähigkeiten von Senioren positiv beeinflussen kann.

Mediziner gehen übrigens davon aus, dass heutige 60-Jährige körperlich so fit sind wie ein 55-Jähriger der vorhergehenden Generation. Und da die Alten von heute wesentlich aktiver und auch wohlhabender sind als die Senioren früherer Epochen, könnte ihr Lebenswandel auch einen positiven Effekt auf ihre späteren Gebrechen haben. Dennoch werden sich die Gesellschaften dieser Welt durch die Zunahme der Alten vermutlich grundlegend ändern. In China zum Beispiel wurden bisher die meisten Senioren zu Hause gepflegt - traditionell von der Schwiegertochter. Doch wegen der rigiden Ein-Kind-Politik werden die Arbeitnehmer und damit die Steuerzahler knapp, die Schwiegertöchter werden also in Zukunft eher arbeiten gehen, als Oma und Opa zu versorgen. Und so nimmt seit einigen Jahren die Zahl privater Seniorenheime zu.

Vierzig Jahre Pension

Auch über den Zeitpunkt des Pensionsantritts wird diskutiert. Auf die Situation, dass die Mehrheit der Arbeitnehmer in Zukunft dreißig oder vierzig Jahre Rente beziehen könnten, sind die Sozialsysteme nicht eingerichtet. Sicher ist, dass die Menschen in Zukunft wesentlich länger arbeiten werden, und dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf diese Situation einstellen müssen. Dies würde auch einen Wandel in der Wahrnehmung älterer Beschäftigter zur Folge haben, die auf dem Arbeitsmarkt bisher oft Schwierigkeiten hatten. Altersforscher wie Patzwaldt und Claudia Völcker-Rehage von der Jacobs University werben schon länger für eine neue Wertschätzung der Alten. Zwar könnten sich ältere Arbeitnehmer nicht mehr so gut auf Neues einstellen. "Doch gerade in der kristallinen Intelligenz wurde in Studien bei Älteren kein Verfall festgestellt," sagt Völcker-Rehage. Die Erfahrung älterer Arbeitnehmer sei bisher schlicht verschenkt worden.

"Bislang gelten die Lebensjahre zwischen 20 und 40 als die produktivsten", kritisiert auch Vegard Skirbekk vom International Institute for Applied Systems Analysis in Wien. Studien in Kanada hätten gezeigt, dass nur 15 Prozent der Arbeitnehmer über 65 aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten könnten. Es müsse umgedacht werden: "Man sollte das Alter nicht als Verfall wahrnehmen", sagt Patzwaldt, "sondern als eine Entwicklung." (DER STANDARD, Printausgabe, 08.02.2012)