Bild nicht mehr verfügbar.

Ein Anhänger der religiös rechten Michelle Bachmann, die mittlerweile aus dem Rennen ist: "Mutter Natur ist mächtiger als Uncle Sam!" steht auf seinem Schild.

Foto: Reuters

Ein Grazer Theologe hat die zwiespältige Rolle der Frauen in einer dieser streng religiösen Gruppen untersucht. 

* * *

Der aktuelle Vorwahlkampf der Republikaner macht es wieder einmal deutlich: Religion und Politik sind in den USA auf eine Weise miteinander verbunden, die eher an die arabische Welt als an Europa erinnert. Viele der republikanischen Kandidaten wenden sich an extrem konservative bis christlich-fundamentalistische Wählerschichten.

Die konfessionell stark durchmischte "religiöse Rechte" etwa ist mittlerweile fest im amerikanischen Mittelstand verankert und gewinnt auch politisch immer mehr an Boden. Inhaltlich geht es ihren Anhängern beispielsweise um eine Reduzierung der staatlichen Sozialpolitik, eine kapitalistische "Wirtschaftsmoral" ("das Recht der Fleißigen, ihren Reichtum zu mehren"), das Recht auf Waffenbesitz, die traditionellen Familienideale, die Ablehnung von Frauenrechten, Abtreibung und Homosexualität.

Protestantische Fundis

Mitt Romney, der bislang erfolgreichste Kandidat bei den republikanischen Vorwahlen, ist zwar durch seine vergleichsweise liberalen Positionen zu Abtreibung und Schwulenehe kein ganz typischer Vertreter der religiösen Rechten. Dennoch bringt der Multimillionär und ehemalige mormonische Missionar immer noch genügend konservative und religiöse Werte ins Spiel, um für einen großen Teil dieses Bevölkerungssegments wählbar zu sein.

Eine nicht unbedeutende politische Größe sind auch die protestantischen Fundamentalisten, die sich zum Teil unter den religiösen Rechten finden. Wo aber liegt die Grenze zwischen religiösem Konservativismus und Fundamentalismus? Eine knifflige Frage, die ganze Bibliotheken füllt und auf die man selten eine klare Antwort erhält.

So zieht auch der Grazer Theologe Markus Löhnert eine Auflistung protestantisch fundamentalistischer Überzeugungen einer eindeutigen Begriffsdefinition vor. "Der religiöse Fundamentalismus in den USA ist von einer radikalen Ablehnung der Moderne geprägt, was sich beispielsweise in der untergeordneten Stellung der Frauen äußert. Wesentliche Aspekte sind auch die wörtliche Interpretation der Bibel, die als irrtumsfreies Wort Gottes angesehen wird, oder die Ablehnung der Evolutionstheorie."

Die Ursprünge des protestantischen Fundamentalismus ortet Religionssoziologe Martin Riesebrodt in einer konservativen religiösen Sammelbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die sich nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend politisierte und zu einer sozialen Bewegung entwickelte. Sie war maßgeblich an der Durchsetzung der Prohibitionsgesetze beteiligt und erzielte ihren größten politischen Erfolg mit dem Verbot der Verbreitung der Darwin'schen Evolutionstheorie an öffentlichen Schulen in mehreren Bundesstaaten. Insbesondere der 1925 gegen einen Lehrer in Tennessee geführte "Affenprozess" prägte das Image der Fundamentalisten als antimodernistische Hinterwäldler. Die damalige Überzeugung, dass diese Strömung durch die Verbreitung von Bildung und urbaner Kultur in der amerikanischen Gesellschaft automatisch verschwinden werde, bewahrheitete sich jedoch nicht.

Bestens organisiert

Mittlerweile präsentiert sich der Fundamentalismus nämlich als starke und bestens organisierte Bewegung mit zahlreichen politisch und gesellschaftlich höchst einflussreichen Institutionen sowie eigenen Fernsehstationen, über die ein Millionenpublikum in der gesamten USA erreicht wird. In christlichen Elite-Colleges wird der religiöse Nachwuchs gezielt auf eine politische Karriere vorbereitet.

Bereits während des Studiums können Interessierte durch Praktika im Weißen Haus oder die Mitarbeit in Wahlkampfteams konservativer Abgeordneter erste politische Erfahrungen sammeln und die Kunst des politischen "Networking" üben. Während die Ausbildung an derartigen Colleges zurzeit noch ein Minderheitenprogramm ist, sind fundamentalistische Überzeugungen in der amerikanischen Bevölkerung weit verbreitet. So lehnt nach einer Untersuchung des Wochenmagazins Newsweek rund die Hälfte aller US-Amerikaner die Evolutionstheorie ab und glaubt, Gott habe den Menschen in den letzten Jahrtausenden in seiner gegenwärtigen Form erschaffen. Zahlreiche fundamentalistische Religionsgemeinschaften ermuntern ihre Mitglieder, die eigenen Sprösslinge aus Respekt vor der reinen Lehre selbst zu unterrichten.

Was aber treibt Menschen dazu, sich angesichts des enorm vielfältigen religiösen Angebots in den USA gerade fundamentalistischen Gemeinschaften anzuschließen? Eine Frage, die sich Markus Löhnert in seiner Dissertation speziell in Bezug auf Frauen stellte: "Diese Kirchen sind streng hierarchisch strukturiert und Frauen spielen eine sehr untergeordnete Rolle. Dennoch ist ein Großteil ihrer Mitglieder weiblich." Um dieses Phänomen genauer zu untersuchen, hat Löhnert umfangreiche Interviews mit weiblichen Mitgliedern der unabhängigen Bibelkirche "Community Bible Church" geführt.

Was also bewegte diese großteils gut ausgebildeten Frauen dazu, sich einer kleinen, fundamentalistischen Religionsgemeinschaft anzuschließen, in der sie so viel weniger zählen als Männer? "Entsprechend der 'Theory of Religion', bei der es um das Abwägen von Kosten und Nutzen im Entscheidungsprozess geht, hat auch für diese Frauen der nicht nur im Jenseits zu erwartende Nutzen durchaus überwogen", sagt Löhnert. "Er besteht vor allem in der Überzeugung, einer eingeschworenen, unzerstörbaren Gemeinschaft anzugehören. Dieses Gefühl, in einem absolut sicheren sozialen Netz geborgen zu sein, ergibt sich nicht zuletzt aus der Kleinheit der Gruppe. Die strengen religiösen Überzeugungen stärken zudem den Glauben, nach der Apokalypse zur Gruppe der Auserwählten zu gehören."

Diese Erlösungsgewissheit sowie das Gefühl sozialer Geborgenheit in einer exklusiven Gemeinschaft wiegen die Geschlechtsdiskriminierung auf. Wobei ihre untergeordnete Rolle von den Frauen selbst keineswegs als negativ wahrgenommen werde, sondern als gottgewollte Aufgabenteilung zwischen Mann und Frau.

Politisch-spiritueller Konsens

Warum sich der christliche Fundamentalismus in den USA so weit verbreiten und bis heute erhalten konnte, erklärt Löhnert mit der amerikanischen Geschichte: "Die USA wurden von religiösen Flüchtlingen gegründet, die in das biblische 'neue Jerusalem' aufgebrochen waren, um einen Staat nach ihren Glaubensvorgaben und ihren demokratischen Überzeugungen zu gründen." Ein politisch-spiritueller Grundkonsens, der unterschwellig von Generation zu Generation weitergegeben worden sei. "In den amerikanischen Köpfen hat sich über die Zeit hinweg eine Art 'staatsbürgerliches Religionsempfinden' verankert. Für einen guten Amerikaner gehört es sich einfach, religiös zu sein." Die meisten Reden amerikanischer Politiker enden dementsprechend mit "God bless you" - was in Europa jenseits religiöser Versammlungen wohl Befremden auslösen würde. (DER STANDARD, Printausgabe, 08.02.2012)