Symbiose aus Samba und Schwerindustrie: Rio de Janeiro expandiert dank riesiger Ölvorkommen.

Foto: Standard/Andreas Schnauder

Der Boom bei Rohstoffen treibt Kosten und Währung nach oben, die Industrie leidet.

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Rio - In Brasilien macht sich zurzeit niemand die Mühe, das neue Selbstbewusstsein zu verstecken. Lange wollte der schlafende Riese nicht erwachen, umso mehr wird die gewonnene Stärke jetzt zur Schau gestellt. Exporterfolge, Ölfunde, Infrastrukturausbau und der dank des etablierten Mittelstands angekurbelte Konsum sind die Basis des seit einem Jahrzehnt anhaltenden Aufschwungs.

Vertreter der brasilianischen Wirtschaftspolitik überbieten sich mit Superlativen. Die Metropole São Paulo feiert trotz Staus rund um die Uhr ihre "Weltklasse-Infrastruktur". Sergio Costa, Direktor im Wirtschaftsministerium, hat noch mehr Werbebotschaften an potenzielle Investoren parat: Die besten Unis, höchsten Forschungsausgaben, den größten Hafen und Flughafen des Landes und mit mehr als 50 Prozent Erneuerbaren sogar den besten Energiemix weltweit beansprucht São Paulo für sich.

Da will Rio de Janeiro nicht kampflos das Feld räumen. Wirtschaftlich klar hinter São Paulo, reklamiert die frühere Hauptstadt die Zukunft für sich: 102 Milliarden Dollar an Investitionen in den nächsten drei Jahren sind laut Business-Agentur des Bundesstaates Rio, Codin, in den nächsten drei Jahren geplant. Riesige Öl- und Gasvorkommen vor der Küste werden die Hälfte des Investitionsvolumens auslösen, heißt es anlässlich des Besuchs einer vom Präsident der Wirtschaftskammer, Christoph Leitl, angeführten österreichischen Delegation Geschäftstreibender.

Milliarden für Infrastruktur

Der mit der Erschließung der Tiefseefelder einhergehende Bedarf an Häfen, Pipelines, Stahlwerken und petrochemischen Anlagen soll weitere Großinvestments bringen, dazu kommen noch umfassende Infrastrukturbauten und nicht zuletzt die Ausgaben für die 2016 am Zuckerhut stattfindenden Olympischen Spiele. Schon in den letzten Jahren wurde an der Copacabana nicht nur Samba getanzt, sondern zusehends der ökonomische Marsch geblasen: Das Wachstum lag mit durchschnittlich mehr als zehn Prozent über dem Chinas.

Der Wettlauf zwischen São Paulo und Rio de Janeiro um die Führungsposition haben das 200 Millionen Einwohner zählende Land an die sechste Stelle der größten Volkswirtschaften der Welt katapultiert. Nach Großbritannien soll nun Frankreich überholt werden und Platz fünf eingenommen werden. Während der Boom in China und Indien die soziale Schieflage nicht beseitigen konnte, ging die Ungleichheit dank der Sozialprogramme von Ex-Präsident Lula da Silva zurück. Gleichzeitig wachsen aber auch die Zweifel an der Nachhaltigkeit des Aufschwungs.

Schon 2011 zeigte sich, dass die Konjunkturflaute in den Industrieländern nicht spurlos an der früheren portugiesischen Kolonie vorüberging. Mit drei Prozent verlangsamte sich das Wachstum deutlich. Den exportierenden Unternehmen macht vor allem die Aufwertung zu schaffen. "The Real is not real", meint Stahl-Tycoon Benjamin Steinbruch in Anspielung auf die starke Landeswährung. Er befürchtet, dass auf das Land "harte Zeiten" zukommen. Steinbruch, Großaktionär des Stahlriesen CSN, kennt die Schwächen des Landes. Der Aufschwung basierte auf dem Commodity-Boom der letzten Jahre, der von der Krise 2008 nur kurz gebremst wurde.

Brasilien profitierte von seinen großen Vorkommen an Bodenschätzen, vor allem Erz, zusehends auch Öl, sowie von der riesigen Agrarindustrie. Doch die Wertschöpfungstiefe der Ausfuhren ist überschaubar, viele der exportierten Rohstoffe werden in verarbeiteter Form wieder teuer eingeführt. Das Land hat ein massives Kostenproblem, konstatieren Ökonomen. Neben dem starken Real gelten hohe Arbeitskosten und ebenso opulente wie undurchsichtige Steuern und damit verbunden eine ausufernde Bürokratie als Bremsklotz der Unternehmen.

Carlos Mariani, Vize-Präsident der Industrievereinigung von Rio (Firjan): "Bei den Abgaben liegen wir nicht mehr weit hinter Schweden, ohne dass unsere Staatsleistungen in irgendeiner Weise vergleichbar wären." Und bei den Energiekosten rangiere man weltweit dank eines kräftigen Aufschlages zur Finanzierung der Bundesstaaten an dritter Stelle.

Präsidentin Dilma Roussef reagiert auf die Probleme mit Handelsschranken. Im Herbst wurde eine 30-prozentige Erhöhung der Steuern auf eingeführte Fahrzeuge beschlossen, von der auch Zulieferungen betroffen sind. Importeure reagierten mit einer Klage bei der Welthandelsorganisation. Die Industrie stellt sich auf weniger rosige Zeiten ein. Das Geschäftsklima im produzierenden Sektor sinkt seit dem Sommer.

Dutch Disease

Im Jänner wurde ein deutlicher Rückgang der Exporte erhoben, wobei vor allem Commodity-Lieferungen nach Europa und China fielen. Noch ist unklar, ob das Jänner-Tief ein statistischer Ausreißer war, doch die Gefahr einer Dutch Disease ist in aller Munde. In den 1960er-Jahren führten hohe Erdgasvorkommen in den Niederlanden zu großen Exportüberschüssen und damit Deviseneinnahmen, deren Umtausch die nationale Währung steigen ließ. Darunter litten wiederum die anderen Industrien des Landes, während Konsum dank höherer Kaufkraft und somit auch Importe zunahmen. Werden die Bodenschätze zur Seuche Brasiliens?

Rousseff will jedenfalls dagegenhalten. Parallel zu Beschränkungen für Importe werden Investitionen des Staates angekurbelt und die der Privaten steuerlich begünstigt. Die seit einem Jahr amtierende Nachfolgerin von "Lula" da Silva setzt auf die Verlängerung der Wertschöpfungskette, um unabhängiger von den Rohstoff-Exporten zu werden. Viel Geld soll in Bildung und Forschung fließen, noch mehr in die Infrastruktur.

Dabei könnten österreichische Betriebe mitnaschen, meint Handelsdelegierter Ingomar Lochschmidt. Voestalpine, Alpla und bald RHI zählen zu den größten Produzenten in Brasilien, auch der Schweißmaschinenhersteller Fronius ist vor Ort. Habau hat sich mit 40 Prozent an der Pipeline-Baufirma Conduto beteiligt. Doch das Geschäft mit dem schwarzen Gold brachte bisher rote Zahlen und einen hohen Eigenkapitalbedarf. Leitl ermuntert die Betriebe dennoch, ihr Engagement auszudehnen. Man müsse "dort präsent sein, wo Dynamik ist". (Andreas Schnauder, DER STANDARD, Printausgabe, 7.2.2012)