Rund um Obertilliach im idyllischen Hochpustertal finden Profi- wie Amateursportler perfekte Bedingungen vor. Sportler schätzen überdies den Trainingseffekt auf 1450 Metern Seehöhe.

Foto: Osttirol Information/Grüner Thomas

Landschaft um Innichen in Alta Pusteria (www.hochpustertal.info)

Foto: Tourismusverband Hochpustertal/Oberhofer

Talschlusshütte im Fischleintal in den Sextner Dolomiten (Alta Pusteria).

Foto: Tourismusverband Hochpustertal/Villgrater

Ausatmen, ruhig werden, zielen, abdrücken. Am Bauch liegend vernimmt man ein leises Ploppen und ein Klicken vom Klappenschließen der Scheiben. Ob in der eigenen Bahn oder daneben? Sollte man kurz am Gewehrlauf vorbei lugen? Lieber nicht. Konzentration. Ausatmen. Nächster Schuss. Das Herz klopft spürbar - vor Aufregung. Fünf Versuche, drei Treffer. Biathlon ist großartig.

Jäh stoppt Erkenntnis diesen Höhenflug. Denn: die letzten 15 Kilometer hat man weder gegen die Zeit, noch mit einem 3,5 bis 7 Kilogramm schweren Wettkampfgewehr am Buckel absolviert. Und auch die Zielscheiben waren jene - größeren - für das Schießen im Stehen. Selbst die Strafrunden wurden der Biathlon-Novizin erlassen. Das letzte Fünkchen Übermut verlässt einen spätestens beim Aufstehen - beim peinlichen Versuch, die weit von sich gestreckten Langlaufski wieder unter die Füße zu bekomme. Sich aufrappelnd ist man dankbar kein Profiathlet zu sein, auf dessen Hinteransicht nun ein Dutzend Kameras gerichtet wären.

Der Respekt vor den Profiathlethen ist wiederhergestellt. Und so brummt man sich nach dem Schnupper-Biathlon im Langlaufzentrum von Obertilliach selbst eine „Strafrunde" auf: zurück ins Dorf. Eine Runde Orgelpfeifen aus dem Sportgymnasium Stams sprintet vorbei und lässt das eigene, energische Taa-Tamm, Taa-Tamm im klassischen Stil wie Schneckenpost aussehen.

Aber nicht nur die Jugend, sondern auch Ole Einer Björndalen, einer der erfolgreichsten Biathleten aller Zeiten und Nationalmannschaften aus aller Welt trainieren in dem weitläufigen, 120 Loipenkilometer umfassenden Areal im Hochpustertal, das Beschneiungsanlagen schneesicher machen. Obendrein ist das Training auf 1450 Metern Seehöhe die optimale Wettkampfvorbereitung.

Und deswegen scheint der idyllische Ort, mit dem denkmalgeschützten Zentrum und dem einzigen noch amtierenden Nachtwächter Österreichs, wohl auch für die Vorbereitung auf die „Trans Dolomiti NordicSki"-Tour perfekt zu sein: Das Angebot einer Loipenwanderung ohne Gepäck am Buckel ist ein neuartiges Arrangement der Region und führt wahlweise in fünf oder sieben Tagen und in etwa 20 bis 30 Kilometer langen, aber stets variablen Tagesrouten von Obertilliach nach Cortina, mitten durch das Unesco-Weltnaturerbe Dolomiten - die Anzahl der Varianten (überall auch Skater-Strecken) in nächster Umgebung ist riesig. „Durchschnittlich sportlich" soll man sein,. Wer sonst eine oder zwei Runden auf der Dorfloipe bevorzugt, ist hier also fehl am Platz.

Akklimatisiert und k.o.

„Warmlaufen" auf den 60 Kilometern der Grenzlandloipe zwischen Kartitsch, Obertilliach undMaria Luggau in Kärnten, heißt mit einem schweißtreibenden Anstieg zu beginnen. Eugenio Rizzo, Leiter der Toblacher Langlaufschule und darüberhinaus lokaler Organisator der „Tour de Ski" (ein 10-tägiger Weltcup-Langlaufbewerb), scheint seine Gruppe prüfen zu wollen. Nach nur 17 Kilometer ist man daher am ersten Tag „akklimatisiert".

Fünf-Kilometer-Rundkurse interessieren niemanden mehr, sagt Alfred Prenn, vom Konsortium Dolomiti Nordicski, der gemeinsam mit Otto Trauner das Konzept für das grenzübergreifende Loipenwandern, entwickelt hat: Zwölf Regionen aus Ost- und Südtirol sowie das Veneto machen mit. Etwas Vergleichbares gibt es nirgends; ähnliches werde nur in Skandinavien angeboten. Die Landschaft ist aber ganz anders. „Loipenkilometer haben sie allerdings mehr", sagt Prenn und lacht.

Motiviert gleitet man am Tag zwei über „kanadischen Schnee". So nennt man den weißen Zauber mit dieser pulvrigen und sogar elastischen Qualitäten. Er biete derzeit optimale Bedingungen, erklärt Rizzo. Nach dem Transfer nach Sillian cruist man entlang der Drau, überquert die Staatsgrenze ins Südtiroler Hochpustertal, dem Alta Pusteria (12 km). Am Weg von Innichen hinauf ins Fischleintal (1548 m Seehöhe) bietet sich die Möglichkeit zur Abkürzung mit den halbstündig verkehrenden Bussen. Hier im Naturpark Drei Zinnen mit den Sextner Dolomiten vor der Nase, vernimmt man die ersten „Wows".

Von der Talschlusshütte (1548 m Seehöhe) gehts über die Sextner Loipe fast 400 Höhenmeter flott hinab bis nach Innichen (15 km): zunächst durch Lärchenwälder, vorbei an Pferdeschlitten bis nach Moos und Sexten wo das Areal sich öffnet: Über Almen mit den traditionellen Gestellen zum Heutrocknen, die rund um Innichen Harpfen genannt werden, blickt man zu den Villgratner Bergen, wo das Toblacher Pfannhorn (2663 m) und seine Nachbarn in der Ferne wie Zuckerguss leuchten. Entspannt durch romantische Waldstücke gleitend, erwachen die sportlichen Geister ein letztes Mal und drängen auf Verlängerung bis Toblach, dem endgültigen Etappenende (6 km). Doch dann sollte man den müden Knochen wirklich Wellness gönnen: Ein wahrer, alpiner Tempel des Badens und Saunens verbirgt sich auf 300 geschmackvollsten Quadratmetern im familiengeführten Hotel Santer (4 Sterne).

So tiefenentspannt jagt auch die bevorstehende 35-Kilometer-Etappe von Toblach bis nach Cortina d'Ampezzo - mit einem Anstieg von 300 Höhenmetern - keine Angst mehr ein. Beim Start im Langlaufzentrum ahnt noch niemand, welch atemberaubenden Ausblicke der Tag bereit hält. Als „Cliffhanger-Route" wird diese landschaftlich atemberaubende Königsstrecke in Erinnerung bleiben. Vorbei am Toblacher See steigt die durchs Höhlental führende Strecke stetig, aber sanft an, führt durch märchenhafte Tannenwälder bis plötzlich die Drei Zinnen (Große Zinne, 2.999 m) auftauchen. Wir sind in Höhlenstein (Landro) angelangt, einem kleinen Plateau rund um den Dürrensee (Lago di Landro) unweit der der Fortezzo di Landro. Die erste, 1897 vollendete Vollbeton-Festung, war aufgrund ihrer Frontnähe im Krieg Österreich-Italien (1915-18) wichtig: Einzig der Weiler störte die Schusslinie. Man sprengte ihn.
Mit Blick auf die Cristallogruppe und den Strudelkopf (2307 m) geht es weiter bis zur Grenze ins Veneto, am Passo Cimabanche. Es gilt im kleinen Restaurant auf der Passhöhe zu verweilen, schon allein wegen der Steinpilz-Ravioli von Küchenchef Nilo Snaidero. Auch der Mirtillo, ein Schwarzbeer-Likör auf Grappa-Basis, sollte verkostet werden. Denn Rizzo ist davon überzeugt, dass eines seiner Langlauf-Schäfchen nach der Schnapsverkostung stets zu Speedy Gonzales wird.

Und tatsächlich rast einer, der Marathon-erprobte Skater, in nur 39 Minuten die rund 15 Kilometer hinab ins Olympiagelände von Cortina. Die Damen sind bei der Abfahrt durch ein Felsental, entlang der einstigen, Ende der 1960er stillgelegten Bahntrasse, von einem Ausblick nach dem anderen überwältigt. Auf der schmalen, die Felizon-Schlucht überquerenden Brücke kann man hoch oben die Ruine der 1080 errichteten Burg Peutelstein erkennen, die aufgrund ihrer Einsicht in mehrere Täler im Mittelalter von strategischer Bedeutung war. Vor ein paar Jahren, sollen in dem entlegenen Felsennest, lange unbemerkt von der Exekutive, Extremisten ihr Trainingscamp aufgeschlagen haben.

Aus dem nächsten Waldstück hervorbrechend, stockt der Atem: Rundum Felsen und malerischste Gipfel. Das auch Filmteams die Attraktivität dieser eindrucksvollen und schroffen Landschaft suchen, ist nur allzu verständlich: Rechts sieht man den Col Rosa, den freistehenden Gipfel zwischen der Tofana-Gruppe und dem Pomagnon, vor dem einige Szenen des James Bond-Films „In tödlicher Mission" (1981) mit Roger Moore gedreht wurden. Links die Cristallo-Gruppe mit ihren vier, alle 3000 Meter übersteigenden Gipfeln; direkt unterhalb des höchsten, dem Monte Cristallo (3.221 m) entstand die spektakuläre Hubschrauberszene in „Cliffhanger" (1993) mit Sylvester Stallone.

Dass die Italiener das Langlaufen „Ski a fondo", also „Skifahren am Boden", nennen, erscheint hoch oben in dieser felsigen Kulisse vollkommmen absurd. (Anne Katrin Feßler/DER STANDARD/Printausgabe/04.02.2012)