Fototapeten? Peter Alexander Filme? Harley Davidson selbst erinnert in der Presseaussendung zur neuen Sportster an Tropfkerzen, Slime, Herrenhandtaschen und Bandsalat.

Foto: Harley Davidson

Das Erdnussöl rinnt in den 1202 Kubikzentimeter großen, luftgekühlten V2, der 67 PS bei 5950 Umdrehungen pro Minute leistet und ein Drehmoment von 96 Newtonmeter bei 3500 Umdrehungen hat.

Foto: Harley Davidson

Die 1970er waren nicht nur Glanz, Glamour und Disco - darum dachten die Harley-Designer beim Zeichnen der Sportster 72 auch an die gleichnamige Route.

Creedence Clearwater Revival trennen sich, dafür fangen in Schweden Agnetha, Björn, Benny und Anni-Frid als Abba zum Musizieren an. Vicky Leandros gewinnt den Songcontest und im Radio läuft Mamy Blue von den Pop Tops rauf und runter.

1972 hat seine Flecken in der Chronik. In Kärnten spitzt sich der Ortstafelstreit zu, die Olympischen Spiele in München werden zum Ziel von Terroristen, und in den Vereinigten Staaten hört man im Watergate genauer hin. 1972 war ein Schaltjahr, und dank zweier Schaltsekunden sogar noch länger. Genau diesem Jahr widmet Harley Davidson ein neues Motorrad, die neue Sportster 72. Also müssen wir einen anderen Zugang zu diesem Motorrad finden.

Fototapeten? Peter Alexander Filme? Harley Davidson selbst erinnert in der Presseaussendung zur neuen Sportster an Tropfkerzen, Slime, Herrenhandtaschen und Bandsalat. Wer mir als erster einfällt, wenn ich die neue Sportster 72 sehe, ist Ricco. Nur ob der 1972 auf die Welt kam, weiß ich nicht. Jedenfalls trug er immer ein Kutte, hatte wilde Peckerl mit nackten Frauen auf den Oberarmen und roch immer etwas nach Alkohol.

Ricco war schlacksig, groß, und alte Damen wechselten, sich an die Handtasche klammernd, die Straßenseite, wenn sie ihn sahen. Dabei war er eine Seele von einem Menschen - nur man sah es ihm nicht an. Natürlich fuhr er ein Motorrad, dessen Mini-Ape-Lenker weit nach oben ragte. Die beiden Hecktaschen, die niemand zu öffnen gewagt hätte, waren speckig und trugen einen großen Adler. Seine Cruiser war heruntergekommen, dort und da rostig, sonst blutrot. Das Bike machte etwas her. Und wenn Ricco, wie so oft, ohne Helm damit durch den Ort fuhr, dann wusste ich, von welcher Freiheit die anderen sprachen, wenn sie vom Motorradfahren schwärmten.

Ich mochte den Ricco - auch wenn ich nie viel mit ihm zu tun hatte. Aber seine Maschine hat mich nie gereizt. Sie hatte nicht das Flair, das mich bei einer RD350 faszinierte, nicht das Faszinierende einer XT mit Silbertank. Aber gut, eine Aprilia Red Rose ist halt nun einmal keine Harley Davidson. Und die brauchte es, damit ich irgendwann verstand, welcher Reiz von Cruisern ausgeht.

Nicht Fred Savage, der ja auch was mit den Siebzigern zu tun hat, sondern Frank Savage und Willie G. Davidson haben die neue Sportster 1972 kreiert; eingedenk der 1970er und des Cruising-Boulevard, der Route 72 in East Los Angeles. Mini-Ape-Lenker, verchromte Bullett-Blinker am Heck - in die Heck und Bremslicht integriert sind -, tiefer Solo-Sitz und nach vorne verlegte Fußrasten und Weißwand-Reifen sollen Raum und Zeit des Fahrers verändern. Dazu gehört dann auch der Peanut-Tank, der gerade einmal acht Liter Sprit fasst.

Das Erdnussöl rinnt in den 1202 Kubikzentimeter großen, luftgekühlten V2, der 67 PS bei 5950 Umdrehungen pro Minute leistet und ein Drehmoment von 96 Newtonmeter bei 3500 Umdrehungen hat. Zum entspannten Cruisen ist die 250 Kilogramm schwere Sportster sicher ein Gewalt - eine Straßenkarte mit eingetragenen Tankstellen sollte man halt mitnehmen. Und 12.995 Euro zum Händler, wenn man die Seventy-Two gleich mitnehmen will.

Sie schaut schon fein aus. Vorne der wilde Lenker, hinten das knackige Heck, das so nackt glänzt, und dann noch die Weißwand-Reifen auf der 21-Zoll-Felge vorne - hinten dreht eine 16-Zoll-Felge. Aber irgendwie erinnert sie mich - wohl auch wegen des Rot, an die Aprilia vom Ricco.