Standard: Der Staat zahlt jährlich Millionen an Förderungen für die Kirche. Warum?

Frerk: Weil es nicht gelungen ist, nach 1919 die Kirche zu demokratisieren. Viel von dem, was wir heute im Staat-Kirche-Gefüge haben, sind Überbleibsel aus alten Zeiten. Ich habe vor kurzem ein wunderbares Bild gesehen: Präsident Heinz Fischer in der Mitte, umringt von Bischöfen, beinahe alle größer als er - die Kirche, die den Staat in die Zange nimmt.

Standard: Wie kann es sein, dass der Staat zwar an Kirchen zahlt, aber kein Einblicksrecht hat?

Frerk: Die Kirche ist ein Staat im Staat mit einzigartigem Recht. Als sie aus dem Staatsgebilde herausgelöst wurde, mussten etwa Bischöfe weiter bezahlt werden. Der Staat hat eingewilligt, die Zahlungen eine Zeit lang weiterlaufen zu lassen. Diese Übergangslösung haben wir jetzt über 90 Jahre.

Standard: Gut verhandelt.

Frerk: Absolut. Es gab in Deutschland einmal den Willen, das Gesetz zu überarbeiten, um die Staatsleistungen zu beenden. Dann kam die Hyperinflation, alles ging drunter und drüber. Seit 1923 ist das Thema nie wieder verhandelt worden. Und nun meinen die Kirchen, eine Bestandsgarantie über das Gewohnheitsrecht zu haben.

Standard: Es wird sich nie ändern?

Frerk: Da tut sich schon etwas. Der Papst-Besuch in Deutschland war etwa ein Signal in dieser Frage. Als bei seiner Rede im Bundestag hundert Abgeordnete den Saal verlassen haben - das wäre vor einem Jahr nie passiert. Hundert Leute sind rund 15 Prozent der Abgeordneten! Um die Zahlungen überprüfen zu lassen, bräuchte es ein Drittel der Abgeordneten.

Standard: Wieso bezahlt der Staat Aufgaben der Kirche?

Frerk: Man muss das anders sehen. Wo liegt die Glaubwürdigkeit der Kirche, dass das, was sie predigt, stimmt? In ihrer karitativen Tätigkeit! Damit wollen sie beweisen, dass das Konzept der Nächstenliebe tatsächlich gelebt wird. Der Staat hat es der Kirche überlassen, mit Armenhäusern und Krankenhäusern und so weiter.

Standard: Aber finanzieren tut sie der Staat?

Frerk: Ja. Die kirchlichen Anteile liegen in Deutschland und in Österreich bei Caritas und Diakonie unter zwei Prozent.

Standard: Dann würde der Staat die Kirchen nicht brauchen, um diese sozialen Einrichtungen zu erhalten?

Frerk: Nein. Es gibt diese Entwicklung von der Heilskirche zu einer Sozialkirche. Wir sind die Nächstenliebe, sagt die Kirche. Dementsprechend braucht sie solche Einrichtungen. Denn es ist ein Doppelpaket, das sie anbietet: fachliche Leistung einerseits und missionarisch-spirituelle Begleitung auf der anderen Seite. Aber wenn es schon 50:50 ist, dann muss die Kirche auch die Hälfte zahlen. Ich wäre dafür, dass das wenigstens ausgeschildert wird. Wenn an jedem Kindergarten, an jeder sozialen Einrichtung ein Schild wäre, das klarstellt, wer es finanziert.

Standard: In Österreich wird ein Sparpaket geschnürt. Könnte man die Kirche in die Pflicht nehmen?

Frerk: Kirchen sind die heiligen Kühe in unserem Kulturkreis. Meine These ist, egal wie sehr das Ansehen der Kirche sinkt: Ihre Macht, auch in den Medien, ist so stark, dass sie drei bis fünf Prozent Wähler bewegen kann. Das ist für die Großparteien ein möglicher Verlust der Regierungsmehrheit.

Standard: Weiß man, wie viel die Kirche ungefähr besitzt?

Frerk: In Deutschland sind in der katholischen Kirche gut 50 Milliarden Euro Kapitalvermögen. In weiteren Bereichen wie Immobilien noch einmal rund 200 Milliarden Euro. In Österreich ist das viel komplizierter. Hier gibt es die starke Position der Orden, die ein Wirtschaftsfaktor sind etwa als Großgrundbesitzer mit Elektrizitätswerk, Weinbergen. Da gibt es 15 Mönche, und den Rest machen kluge weltliche Manager. Und alles ist steuerfrei! Die Kirche ist in beinahe allen wirtschaftlichen Bereichen zu Hause, außer Bestattungen und Bordelle. Egal ob ein Orden oder der bischöfliche Stuhl: Kirchliches Vermögen ist ein einheitliches Vermögen aufgrund gemeinsamer Zielsetzung. Und sie ist da sehr klug vernetzt. Die Kirche weiß, dass sie in der Kommunikation einer Gesellschaft präsent bleiben muss. Auf das Private begrenzt zu werden fürchtet sie wie der Teufel das Weihwasser.

Standard: Ist dieses Vernetztsein denn das eigentliche Vermögen der Kirchen?

Frerk: Ja, sie erscheint als ein selbstloser Brückenbauer und ist dadurch angesehener. Denn anscheinend bemerkt niemand, wie dann die konservativen Politiker und die Wirtschaftsunternehmen durch die geöffneten Tore gehen können. (Saskia Jungnikl, DER STANDARD, Printausgabe, 6.2.2012, Langfassung)