Christiane von Poelnitz gibt Schimmelpfennig gegenüber Schiller den Vorzug. Von Poelnitz, 40, geboren in Oberfranken, wechselte 2004 vom Hamburger Schauspielhaus ans Burgtheater, wo sie zu einer der exponiertesten Darstellerinnen zeitgenössischer Dramatik wurde. Sie war bisher viermal für den Nestroy-Preis nominiert.

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Wie sie dem gerecht wird, erfuhr Margarete Affenzeller.

Standard: "Das fliegende Kind" handelt davon, dass ein Vater sein Kind mit dem Auto totfährt. Während große Dramen meist in Kausalitäten gebettet sind, mit Rache oder Schuld zu tun haben, passiert diese Katastrophe hier ohne Grund oder Logik, es ist einfach Zufall.

Von Poelnitz: Und genau das ist das Schrecklichste, was einem zustoßen kann: eine Katastrophe, für die es keine Erklärung gibt, die wahllos zuschlägt. Dass es den Eltern zu diesem Zeitpunkt an Aufmerksamkeit mangeln würde, weil sie beide Liebesaffären haben, ist überhaupt nicht der Punkt: Der Text urteilt also nicht moralisch, das Schreckliche passiert einfach.

Standard: Das funktioniert nicht mit Identifikation, nehme ich an, aber wie macht man es dann?

Von Poelnitz: Das ist ein so schreckliches Thema, dass man dem gar nicht gerecht werden kann. Ich denke, dass die Aufführung im besten Sinne gläsern wird, das wäre mein Instinkt für den Abend. Dass er vielmehr noch einer Geschichte dienlich ist. Das mag ich an Schimmelpfennig-Stücken, dass da zunächst die Leute alle da sind, und einen diese Konstellation dann in eine bestimmte Form zwingt. Im Vergleich zu anderen seiner Stücke ist das hier das purste, es gibt keine Figuren, in die man sich verkriechen kann.

Standard: Der Text mutet manchmal an wie ein Drehbuch ...

Von Poelnitz: ... das ist ganz richtig. Diese filmisch sich darüberlegenden Stimmungen, die gewisse Tonlage machen auch die Inszenierung aus. Sie ist noch zurückgenommener oder reduzierter als Der goldene Drache.

Standard: Es verschmelzen Figurenrede und Szenenangaben - ein klassisch postdramatischer Text.

Von Poelnitz: Ja, das Antihierarchische an Roland Schimmelpfennigs Probenarbeit drückt sich schon im Text aus. Die Figuren haben eine klare Gleichwertigkeit. Es werden beispielsweise die Sätze der Mutter einmal von der "Frau um die vierzig", einmal von der "Frau um die fünfzig" und auch von der "Frau um die sechzig" gesprochen. Das verrückt Perspektiven und verhindert eine Identifikation.

Standard: Sie spielen nun zum bereits siebten Mal in einem Schimmelpfennig-Stück. Was gefällt Ihnen daran?

Von Poelnitz: Ich verstehe diese Stücke einfach. Ich habe beim Lesen sofort einen klaren Instinkt, wie ich die Sätze sprechen muss, was sie mir handwerklich abfordern. Die Stücke sind durchscheinend, in der Methodik des Textes, sehr filigran. Ein gewisser umgangssprachlicher Ton funktioniert da nicht. Da kann man nichts wegsprechen. Jedes Satzzeichen hat seine Bedeutung. Diese Genauigkeit mag ich.

Standard: Solche Figuren stülpt man sich nicht über wie Garderobe; sie sind nicht deckungsgleich mit jeweils einem Schauspieler. Das entspricht ganz Ihrem Spielstil. Liegen Ihnen diese "Rollen" mehr als etwa eine Prinzessin Eboli in "Don Carlos"?

Von Poelnitz: Ja, das kann man so sagen, wobei ich aber auch jede Figur der klassischen Theaterliteratur postdramatisch angehen würde. Das ist einfach meine Sozialisation, so bin ich geprägt. Wenn man mich fragt, Schiller oder Schimmelpfennig, dann eindeutig Schimmelpfennig.

Standard: Sie räumen mit der Annahme auf, im postdramatischen Theater gebe es keine "Einfühlung": Sie spielen sehr emotional.

Von Poelnitz: Ja, sehr. Ich will immer, dass auch die Leute in Klosterneuburg noch verstehen, was ich meine (lacht).

Standard: Allein schon durch Ihre körperliche Spannung erzeugen Sie auf der Bühne Präsenz. Wie wichtig ist da Sport?

Von Poelnitz: Körperliche Spannung im Spiel ist mir sehr wichtig, ich könnte gar nicht anders. Aber ich muss sagen, ich mache keinerlei Sport. Meine Muskeln kommen allein vom Einkaufen und Kinder-Herumtragen.

Standard: Okay, aber Sie waren in Ihrer Jugend Rennkajakfahrerin. Wie sind Sie darauf gekommen?

Von Poelnitz: Ich war vom Anblick der Viererkajakfahrer ganz besessen, von diesem gemeinschaftlichen, schnellen Nach-vorn-Zischen. Das Rudern lag mir nicht, das führt einen ja rückwärts. Jeder ist in dem Kajakboot für etwas zuständig, auf dem hintersten Platz sitzt der Kräftigste, das war meiner. Ich hab das sehr ernsthaft betrieben mit Kurzhanteltraining in der Früh, Laufen und Langhanteltraining am Nachmittag.

Standard: Sie waren in den letzten sechs Jahren viermal für den Nestroy-Preis nominiert, haben ihn aber noch nicht bekommen. Sind Sie also der "Robert de Niro des Burgtheaters", der auf den Hauptrollen-Oscar auch länger warten musste?

Von Poelnitz: Das wäre mir eine Ehre. Robert de Niro ist einer der großartigsten Schauspieler, die es gibt. Man könnte auch sagen, ich bin der "Raging Bull" des Burgtheaters. Bisher hatte ich beim Nestroy immer unschlagbare Konkurrenz: Kirsten Dene oder Sunnyi Melles. Meine Töchter sagen mittlerweile: Streng dich mehr an! Ich werde ihn wohl erst für das Lebenswerk kriegen (lacht).
(DER STANDARD, Printausgabe, 4./5.2.2012)