Schmerzhafte Rückschau auf den Krieg: Simon Wielands Dokumentation "Heil Hitler - Die Russen kommen".

Foto: Thimfilm

Wien - Archivaufnahmen zeigen eine jubelnde Menschenmasse, die auf das Kommen ihres Helden wartet. Sekunden später fährt ein schwarzer Mercedes die Straße entlang: Hitler. Alle heben den rechten Arm. Schnitt zur nächsten Einstellung: "Mir hat schon der Arm wehgetan vom Hitlergruß", erzählt eine Seniorin in der Gegenwart.

Der Filmemacher Simon Wieland, der selbst aus dem Weinviertel kommt, hat in die Jahre gekommene Männer und Frauen aus dem ländlichen Osten Österreichs zum Thema Hitler, Krieg und die Russen befragt. Seinen Dokumentarfilm Heil Hitler - Die Russen kommen hat er in dreizehn Kapitel aufgeteilt, der emotionale Höhepunkt wird zum Schluss erreicht.

Die Männer und Frauen begleiten die Kamera zu den Orten des Geschehens: vom Bunker, der sie vor Bombenangriffen geschützt hat, bis zum Garten des Nachbarn, in dem tote Soldaten lagen.

Wieland beginnt seinen Film mit dem Einzug der Deutschen in Österreich. Die befragten Zeitzeugen waren noch Kinder, als Hitler einmarschierte und ihnen Arbeit versprach. Die Euphorie hielt nicht lange an. "Die Leute haben geglaubt, sie kriegen eine Arbeit, dabei haben sie einrücken müssen - das war die Arbeit", erzählt ein zerbrechlich wirkender Mann. Fast naiv berichten einige über ihre Zeit in der Hitlerjugend, wo sie auch Opfer von Missbrauch wurden.

Zu Tode getrampelt

Das "plötzliche" Verschwinden von jüdischen Nachbarn ist nicht unbemerkt geblieben - ob diese nun freiwillig geflüchtet oder mitgenommen wurden, wissen die Befragten nicht. Sehr bewegt erzählt eine Seniorin von einem jüdischen Jungen, der vom "Ober-Nazi des Dorfes" totgetrampelt wurde, weil er um Brot bettelte. Wieland schneidet wiederholt Archivmaterial zwischen Szenen, um den Erinnerungen damit mehr Ausdruck zu verleihen.

Weniger als die Hälfte des Filmes ist den Deutschen gewidmet, den eigentlichen Fokus hat Wieland auf die Russen gesetzt - aber dies eröffnet noch keine neue Perspektive auf die Zeit. Die Angst vor den Russen hat sich in ländlichen Teilen Österreichs bis heute gehalten. Zur TV-Dokumentation unterscheidet sich der Film zumindest in einem Punkt: Es gibt keine körperlose, scheinbar objektive Stimme, welche Fakten auflistet. Jedes Detail, jede Geschichte kommt von den Zeitzeugen selbst. Musik wird nur sporadisch eingesetzt.

Die Kamera ist ein unauffälliger Beobachter, ein "Traumfänger" im übertragenen Sinne, der eine Collage aus Memoiren bildet. Eine der eindringlichsten Szenen kommt spät im Film: Einige Frauen erzählen, wie sie von russischen Soldaten vergewaltigt wurden. Ihre Hoffnung, von den Russen befreit zu werden, sollte nur teilweise erfüllt werden. Die Rote Armee vertrieb zwar die Deutschen, aber die Soldaten plünderten die Häuser der Österreicher, nahmen mit, was ihnen gefiel.

Intim erzählen die Frauen nun von ihren Überlebenstricks. Manche haben sich versteckt; andere wiederum haben sich als alte Omas verkleidet, um unattraktiv auf die Soldaten zu wirken. Einigen hat dies geholfen, viele wurden aber Opfer der systematischen Vergewaltigung. (Muhamed Beganovic  / DER STANDARD, Printausgabe, 4./5.2.2012)