Humorvoll wie konsumkritisch: Claes Oldenburg und sein softes "Floor Cone", 1963

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Wien - Demokratisch und hierarchielos, das war die Kunst der 1960er-Jahre: Andy Warhols überdimensionierte Brillo Boxes (1964) etwa, sie standen auf dem Boden. Auf den Sockel, den erhebenden Kunstmacher, wurde gepfiffen, Alltag und Warenwelt in Kunst umgeformt und aus den schnöden Museen an andere Orte, etwa die Straße, transferiert. Gleichzeitig strebte Urbanes in die elitären Kunsträume. Inzwischen ist die Pop-Art in die Jahre gekommen und hat quasi als etablierte, betagte alte Dame, wieder auf dem Sockel Platz genommen.

So auch die Arbeiten von einem ihrer Hauptvertreter: dem inzwischen 83-jährigen Claes Oldenburg. Seine Store Objects, die in Gips getränkten und mit Lack bemalten Musselin-Fetzen - Torten Kleider oder Zigarettenpackerln darstellend - waren freilich auch in Zeiten ihrer Entstehung auf Regalen und in Vitrinen präsentiert, schließlich stellten sie Objekte der Warenwelt dar. Das neuerliche Erklimmen der Sockel hat aber nun andere Gründe: "Damit die Besucher den heiklen Kunststücken nicht so nahe kommen", erklärte Mumok-Direktorin Karola Kraus. Die millionenteure Mini-Retrospektive Claes Oldenburg. The Sixties wird danach u. a. ins Museum Ludwig in Köln, ins Guggenheim Bilbao und ins New Yorker Moma weiterwandern.

Obwohl die Podeste sich angenehm zurücknehmen, mit ihrer Schieflage die grundsätzliche Sockelfrage quasi zu kommentieren scheinen, denkt man darüber nach. Über seine Soft Sculptures sagte Claes Oldenburg im Standard-Interview: "Das größte Problem ist, das die meisten Menschen, die eine besitzen, sie nicht verändern. Aber sie sollten es tun, sie schütteln, drehen, wenden, aufstellen, niederdrücken." Der Besucher darf nicht. Aber spielt wenigstens das Mumok damit?

Die 1960er-Jahre waren für Claes Oldenburg eine schaffensreiche, intensive Zeit. Ihre Ende beschrieb er als Auseinanderfallen, etwa mit Ereignissen wie den Attentaten auf Martin Luther King und Bobby Kennedy. Seine Sechziger endeten mit der Trennung von seiner ersten Frau Patty Mucha - das Mouse Museum entstand: ein Verwahrungsort von Splittern des Lebens, von Alltäglichem und überflüssigem Tand oder auch dem, was, sobald es zerbrochen ist, im Mist landet.

Auch für Kurator Achim Hochdörfer symbolisiert das Mouse Museum den Abschluss eines Jahrzehnts: Das über die Sammlung Ludwig ins Mumok geratene Pop-Art-Werk markiert den Endpunkt seiner Ausstellungsidee; Oldenburg zu überzeugen habe Ausdauer benötigt. Nun kann das Mumok aber mit der Schau glänzen.

Oldenburgs Sixties vom Endpunkt her - dem Mouse Museum also - zu beginnen, geht auch: Da kann man von der Liebe zu den kleinen Dingen über die weichen und überdimensionierten Objekte bis in die Street- und Store-Welt hinabgleiten. Rostige Nägel und Stahlbetonklumpen, Getränkedosenverschlüsse und Wachstropfen hat er im Mouse Museum wie steinzeitliche Werkzeuge in Volkskundlichen oder Mineralien in Naturhistorischen Museen arrangiert. Dazwischen ein Handschuh, der an Mickeys weiße Pfote erinnert. Man entwickelt Demut vor dem Einfachen. Ein moralisierender Kontrast vor den versammelten Relikten des Plastikzeitalters, vom Kunststoffobst bis zum Kitschkugelschreiber.

Existenzialistische Pop-Art

Mit der Marke Pop-Art ließ sich in den vergangenen Jahrzehnten eine Menge Geld machen; selbst wenn Oldenburg, im Gegensatz zu den Pop-Titanen Warhol und Lichtenstein, weit abgeschlagen ist. (Auktionsrekord 2009 für Typewriter Eraser von 1976: 1,9 Millionen Dollar). Inzwischen ist die Pop-Art derart kommerzialisiert und breitgetreten, dass man die Größen jener Zeit scheinbar vom Makel des Labels befreien muss: Man dürfe Oldenburg nicht auf das Klischee der Pop-Art reduzieren, sagt Hochdörfer; nicht auf Pop-Stereotype wie die distanzierte, coole Sicht auf die visuelle (Alltags-)Kultur oder ihr sexualisierter Blick. Oldenburgs Version sei viel "existenzialistischer", eine "vermenschlichte Pop-Art".

Vermenschlicht: Der Gedanke kommt im Saal mit Oldenburgs weichen Objekten wieder in den Sinn. Neben Soft-Telefon, Soft-Lichtschaltern und den labbrigen Pommes baumeln auch drei Stromstecker von der Decke. Wie sehr Oldenburg diese amerikanischen "Stöpsel" vermenschlicht hat, macht erst die großformatige Zeichnung daneben sichtbar: Auf Nude with Electric Plug posiert eine Nackte mit Stecker, schiebt, den Betrachter fixierend, ihre Finger in seine Löcher.

Eine Sexualisierung von Alltagsobjekten, die man Oldenburg, so wie den Börseneingang in Form eines Mieders - mit dem Zugang im Schritt - als Augenzwinkern durchgehen lässt.  (Anne Katrin Feßler  / DER STANDARD, Printausgabe, 3.2.2012)