Wenn Herr Grabenweger vom besten Lokal spricht, wird es ernst. Der Herr Grabenweger und Frau Schell fliegen schließlich schon einmal rasch zum Lunch ins Noma - und bekommen auch noch gleich einen Tisch. Genau, in dem laut San-Pellegrino-Liste weltbesten Lokal in Kopenhagen, vor Can Roca in Girona und Mugaritz in San Sebastian. Aber Grabenweger bleibt dabei: El Celler de Can Roca ist das beste. Also nichts wie nach Girona. Auch, ja, gerade Dilettanten wie der Fidler können ein kulinarisches Urmeter wie dieses gut brauchen.

Weltreise auf Holz: Wer das vor sich sieht, hat bei einer Schmeck's-Exkursion nach Katalonien schon einiges hinter sich.

  1. Zum Beispiel die Überlegung, ob es ökologisch wie ökonmisch gerade jetzt einen schlanken Fuß macht, von Wien nach Barcelona zu fliegen, um in kaum zwei Tagen zwei Dreisternlokale und einen womöglich doch ziemlich unterbewerteten Einsterner (Alkimia, über das Grabenweger hier schon schwärmte) abzugrasen. Schlanken Fuß vielleicht nicht, aber es nordet schon ganz gut ein, was man sonst so auf den Teller kriegt.
  2. Die Erkenntnis, dass es bei Can Roca nicht reicht, im November für Jänner schnell einmal einen Tisch für vier zu reservieren. Wir haben's dennoch geschafft. Fragen Sie bitte nicht, wie.
  3. Eine kleine Tour durch die Küche, wo 35 bis 40 offenkundig kundige Menschen daran arbeiten, uns glücklich zu machen.
  4. Sich von Herrn Grabenweger überzeugen lassen, dass wir die Weinbegleitung von Josep Roca i Fontané freundlich, aber bestimmt ablehnen und stattdessen die Neigungsgruppe Grabenweger/Hlavicka, mit sachdienlichen Hinweisen Rocas, für ein gutes halbes, dreiviertel Stündchen die drei Bücher durchforsten lassen, die hier die Weinkarte bilden. Worauf wir mit ständig zumindest vier Gläsern vor uns selbst entscheiden dürfen, welcher Gang nun mit Manzanilla, Riesling Spätlese, weißem Burgunder oder einer auch nicht ganz schlechten roten Cuvee aus dem Bierzo am besten funktioniert. Man wächst mit seinen Aufgaben. 
  5. Eine Flasche wirklich ziemlich sensationeller Cava (Gran Juve von Juve Y Camps) stand zum Glück bereit, um das eindrucksvoll stirnensynchronrunzelnde Pow-wow der drei Herren über den Weinkarten mehr als nur pragmatisch zu überbrücken.

Und zum Glück reißt in dieser doch recht langen Zeit die Versorgung nicht ab: Joan Roca i Fontané begrüßt uns, wie passend, mit einer Weltreise auf einem Holzstück. Den Geschmack von Mexiko, von Peru, dem Libanon, Marokko und Südkorea packt er da in kleine Kügelchen. Warum ihm gerade die wichtig sind, habe ich nicht herausgefunden. Bin viel zu beschäftigt mit Staunen, aus dem ich erst einmal ein paar Stunden nicht herauskomme. Staunen, wie schön essen sein kann (das immerhin können Katharina Schells Bilder auch Ihnen vermitteln). Staunen, wie überraschend, abgedreht, fantasievoll, verspielt man Essen basteln kann - und sich dabei doch nicht völlig zu versteigen, dabei doch meist schlüssig und präzise zu bleiben. Sapperlot. Und das war erst der Anfang einer Batterie von Küchengrüßen auf den nächsten Seiten ...

Foto: Katharina Schell

So eine Art Signature Dish bei Rocas: Karamellisierte Oliven, gefüllt mit Anchovis, kommen auf dem Oliven-Bonsai an den Tisch. Und dann geht's erst richtig los mit Grüßen, phew.

Foto: Katharina Schell

Tintenfisch, mutiert: Ein kleiner Apero kommt als pinkfarbenes Bällchen, schon wieder ein Klassiker, Camparikugel mit Grapefruit. Hier Calamar "adaptiert", ich hab' mir Krokant notiert.

Foto: Katharina Schell

Multiple Zucchini-Persönlichkeit in vier, fünf Aggregatzuständen auf einem Löffel - so spannend kann die Cousine der Gurke sein. Die, ja, danke dem sailor who eats only fish heads and tails, zur Familie der Kürbisse gehört.

Foto: Katharina Schell

Gut im Training steht das Personal dank Bonbon von der schwarzen Trüffel - ungemein schön und gut und ungemein schweres Gebinde.

Foto: Katharina Schell

Auf den Punkt gebracht: Das Bonbon von der schwarzen Trüffel, diesmal allein auf weiter Flur und kurz bevor Frau Schell es erlegte. Und wo wir schon beim Thema sind, gleich noch ...

Foto: Katharina Schell

... ein Mini-Trüffelbrioche. Hach!

Foto: Katharina Schell

Grüner Salat heißt der erste quasi reguläre Gang. Oliveneis, Tomatenwasser, und naturgemäß durfte auch die Gurke ihre natürliche Form nicht behalten; Avocado, Limette, Melone, Chartreuse, Sauerampfer, Shiso (Schwarznessel, google ich nach), Tarragon, Rucola, Sauerklee spielen mit im nur auf den ersten Blick etwas billig wirkenden Schüsserl, das uns ganz am Ende noch einmal im Unterholz begegnen wird, dann aber in Rot. Hier erst einmal: wow.

Foto: Katharina Schell

Total am Sand: Ich tat mir da schon ein bisschen schwer, den Seeigel zu identifizieren unter Kürbis, Süßkartoffel, Quitte, Khaki, Mandarine, Steinpilz und "destilliertem Sand", "Sand" von Kürbiskernen, von Steinpilz und von Walnüssen. Okay, ich hätt' mir ohne Beipacktext auch schwergetan, all diese Ingredienzen zu identifizieren. 

Yin und Yang: Bevor wir uns gleich noch einmal an den Strand begeben, gibt's noch rasch Auster mit Sherry (Palo cortado, um genau zu sein), mit fermentiertem Knoblauch und einem Knoblaucheiskugerl zu Yin und Yang modelliert - das Bild ging leider verschütt.

Foto: Katharina Schell

Gestrandete Riesengarnele, quasi: Gamba-Pulver, Seetang-Püree, ein Felsen aus Sepia-Biskuit, knusprige Gamba-Füße (offenbar groß in Mode, gab's am Vorabend auch bei Frau Ruscalleda, und das zu Recht). 

Ein bisschen selbst basteln heißt's bei der Seezunge, wenn ich "meunière" richtig übersetzte, "Müllerin-Art", und doch vom Holzkohlengrill: den Fischstreifen mit einem knusprigen Streifen Haut selbst belegen und nach Möglichkeit mit dem Bett aus Milchhaut aufgabeln. Nein, ich schreib' jetzt nicht nach jedem Gang Wow! Auch wenn ich's gern täte.

Foto: Katharina Schell

Schaum vorm Darm: Ach ja, da war ja noch die nicht minder spannende Kabeljau-Brandade mit geschmorten Därmen desselben, Kabeljau-Schaum, Olivenölsuppe, Schalotten, Thymian, Chili und Honig.

Foto: Katharina Schell

Schöne Sauerei: So sieht ein iberisches Milchferkel aus, wenn Joan Roca es unter Zuhilfenahme von Riesling neu zusammensetzt. Eine Blanquette, sagt er, bei der eine Infusion von Schweinefüßen eine tragende Rolle spielt, aber auch eine Terrine von Mango und Trüffel, Knoblauch und Rüben, Konzentrat von der Orange und Safran.

Foto: Katharina Schell

Quintessenz des Fisches: Rotbarbe, gefüllt mit einer Paté ihrer Leber, Butter und Anis-aromatisierten Kräutern (wenn ich das jetzt richtig verstanden und/oder notiert habe), auf Krebsensud mit Orangen- und Safran-Gnocchi.

Foto: Katharina Schell

Tatar! Tatar! Tatar! Tatar! (Beef mal vier): Kann man Besseres mit rohem Fleisch anstellen? Das Beef Tatar, in einer Reihe vier Bissen, vier Geschmäcker. Fragen Sie mich jetzt bitte nicht, was wo. Ich kann nur noch, und das auch nur dank Spickzettel, referieren, was außer Fleisch sonst eine Rolle spielte, auf dass ich an dieser Stelle nicht nur einmal sehnsüchtig seufze: Da hätten wir ein Kompott aus Paradeisern, Kapern und Zitrone; eine Haselnuss-Praline. Sauce Bernaise. Oloroso-Sherry-Rosine. Schnittlauchbutter. Sezuan-Pfeffer und Pimentón de la Vera (herkunftsgeschütztes Gewürzpulver aus der Extremadura), geräucherter Paprika und Curry. Senfeis, und was für eines. Senfblätter. Und Babyzwiebel mit Essig. Klingt doch eigentlich ganz einfach, oder?

Foto: Katharina Schell

Lamm. Mit den schönsten gegrillten Paradeisern und Paprika ever. Yeah.

Foto: Katharina Schell

Taube Leber: Wildtaubenleber, mit gewohntem Understatement vom Chef beschrieben "mit Zwiebel, karamellisierten Haselnüssen, Curry und Wacholderbeeren". Man könnte auch einfach sagen: ein Traum. Danke!

Foto: Katharina Schell

Ein Mann sieht Orange: An dieser Stelle tritt der dritte Bruder auf den Plan. Patissier Jordi Roca i Fontané. Da verweigert auch der Fidler kein einziges Dessert. Schon gar nicht, wenn's auch als früherer Gang durchgegangen wäre wie "Colourology" in Orange - von Orange, Mandarine, Eigelb, Passionsfrucht und Karotte.

Foto: Katharina Schell

Hier flippt der Fidler endgültig aus vor Glück: Nach 15 Jahren ist sein Sauermilchsorbet auf dem Pogusch geschlagen. Schafmilcheis. Mit Topfenschaum, Milchkaramell, Schafmilchjoghurt. Nur die "Milchwolke" war mir zu süß und zu knapp an der Zuckerwatte. Aber wer ist schon perfekt?

Foto: Katharina Schell

Unterholz nennt Jordi Roca dieses Dessert aus roter Rübe, Schokolade, Mandarine, Tonkabohne, Kakao und, da war das japanische Sesamblatt wieder, Shiso. Unterholz? Irgendwie erdig. Wunderbar. Dass ich noch über Nachspeisen schwärme! Bin verstört. Nein, das liegt nicht allein an der ...

Foto: Katharina Schell

... selbst gezimmerten Weinbegleitung, da bin ich ganz sicher.

Foto: Katharina Schell

Wer noch kann: Petits Fours. Gar nicht klein. Ich passe - was die übrigen Expeditionsteilnehmer zu begeistern scheint. 

Könnte bitte jemand rasch das Beamen erfinden?

PS: Demnächst in diesem Kino: Warum es goldrichtig war, sich vom Alkimia über Sant Pol de Mar nach Girona vorzuarbeiten. Und warum man dennoch bei Carme Ruscalleda auch nicht ganz schlecht isst. Bleiben Sie dran.

PPS: Den Link zum Lokal sollte ich nicht vergessen:
El Celler de Can Roca / Girona / Katalonien
Großes Menü 145 Euro, mit Wein, Wasser, Kaffee, Digestif pro Kopf 242,50 Euro. Wie sagte Herr Hlavicka nach der Abrechnung dieses Wochenendes? "Sehr gut angelegtes Geld."

Foto: Katharina Schell