Gewissenhafter Staatsdiener, der sich nicht in die Karten schauen lässt: Der große Gary Oldman ist aufgrund seiner Rolle in "Dame, König, As, Spion" endlich für einen Oscar nominiert.

Foto: EMW

Wien - Am Weihnachtsfest ist die Stimmung bereits ausgelassen. Die Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes MI6 brechen wie beim Faschingsfest aus ihren sonst so unflexiblen Rollen aus. Einer unter ihnen hat sich zum Santa-Claus-Kostüm eine Lenin-Maske übergezogen, was die anderen spontan dazu motiviert, voll Inbrunst die sowjetische Nationalhymne zu singen. Agent George Smiley, überkorrekter Held aus Tinker Tailor Soldier Spy / Dame, König, As, Spion hält sich zurück. Prompt wird er zum Zeugen, wie seine Frau einen anderen Mann küsst.

Eine der bemerkenswertesten Szenen aus Tomas Alfredsons ambitionierter Neuverfilmung von John le Carrés Spionageroman: Indem sie das Spiegelverhältnis der sich feindschaftlich gegenüberstehenden Mächte als Karneval zuspitzt - und ein Motiv des persönlichen Betrugs einführt -, legt sie einen Moment lang den sonst so unterkühlt gezeigten Wahnwitz dieser Arbeitswelt offen. Denn ganz im Unterschied zum dekorativen Glamour eines James Bond führt dieser Film in eine erstarrte, bleierne, von mechanischen Abläufen bestimmte Institution, deren Hermetik Alfredson und sein Kameramann Hoyte van Hoytema noch betonen. Die Einstellungen sind oft eingerahmt, von Gittern durchzogen, die Farben bilden eine eindrucksvoll matte Palette aus Grau-, Gelb- und Brauntönen.

Treuer Diener seines Herrn

Am Beginn der 1970er, zu einem Zeitpunkt, als der Kalte Krieg schon wie eine nicht hinterfragbare Realität erscheinen muss, steht der MI6 unter Verdacht. Ein in Budapest ermordeter Agent hat die Politik gegen den "Circus" aufgebracht. Noch schlimmer jedoch wiegt, dass sich in den eigenen Reihen ein Maulwurf des KGB befinden soll. Um den Spion aufzuspüren, wird der in den Ruhestand versetzte George Smiley wieder aktiviert - der treue Diener seines Exchefs Control (John Hurt) ist der Prototyp des Agenten als gewissenhafter Routinier, der sich nicht ins Blatt schauen lässt. Ein Leben lang jagt er seinen sowjetischen Antagonisten Karla.

In der BBC-TV-Serie von 1979 hatte Alec Guinness sieben Folgen lang Zeit, um sich durch die komplexen Zusammenhänge dieses Falls zu arbeiten. Der Schwede Alfredson bewältigt le Carrés voluminöses Buch in etwas mehr als zwei Stunden, indem er die Handlung äußerst elliptisch arrangiert und durch knapp gehaltene Clues dem Zuschauer Konfrontation abfordert. Ähnlich wie in seinem gefeierten Vampir-/Jugenddrama, So finster die Nacht, interessiert er sich weniger für die dramatischen Möglichkeiten des Genres als für Atmosphären, Befindlichkeiten und Lebensumstände, die dieses mit sich führt.

Mit Gary Oldman, der für diesen Part das erste Mal Oscar-nominiert ist, hat er einen Darsteller zur Seite, der es mühelos schafft, einen dunklen Raum auch vollkommen bewegungslos mit Aura aufzuladen. Sein Smiley ist ein unendlich schweigsamer Mann, dessen Blick unlesbar hinter dicken, reflektierenden Brillengläsern ruht. Die Redlichkeit sieht man schon an der aufrechten Haltung, mit der er sein Schwimmtraining absolviert, dennoch bleibt er undurchsichtig (und mit ihm auch ein wenig der in Ausstattungsdetails schwelgende Film) sowie von einer stillen Schwermut begleitet.

Die einzige lichte Passage in Tinker Tailor Soldier Spy gehört einem Agenten, der sich in Istanbul verliebt. Suspense stellt sich nur sporadisch ein, etwa bei einem Diebstahl im eigenen Hauptquartier. Alfredson geht es um anderes, er erzählt vom langsamen Verfall eines Systems, dem Geheimnisse, Betrug und Verrat zur Natur geworden sind. So gleichen die Figuren alle ein wenig dem verzweifelten Vogel, der sich in einer der bizarreren Szenen des Films in einem Kamin verfangen hat. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD - Printausgabe, 2. Februar 2012)