Ulrike Diebold erhielt im Vorjahr als einzige Österreicherin einen ERC-Grant.

Foto: TU Wien

Silke Bühler-Paschen konnte mit dem Preis ein Mikrokelvinlabor aufbauen.

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Das Gerät im Labor von Ulrike Diebold erinnert ein wenig an eine Krake. Röhren führen aus allen Richtungen zu einem eisernen Zylinder, aus dem ein leises Pumpgeräusch dringt. "Das Pumpen kommt von der Erzeugung des Vakuums, das innerhalb der Anlage herrscht", erklärt Diebold, Oberflächenforscherin am Institut für Angewandte Physik der TU Wien.

Das Herzstück des Geräts - es handelt sich um ein Rastertunnelmikroskop - ist jedoch nicht viel größer als ein Fingernagel und passt in eine kleine Schmuckschatulle. Eine winzige Spitze aus Wolframdraht tastet die Oberfläche von Proben ab und zeichnet so die Position jedes einzelnen Atoms auf der jeweiligen Oberfläche auf. Auf dem angeschlossenen Computer wird dieses Abtasten in ein kratzendes Geräusch übersetzt. "Wenn es schön klingt, ist die Spitze in einem guten Zustand", sagt Diebold.

Mithilfe der Rastertunnelmikroskopie erforscht die Physikerin, was sich auf den Oberflächen von Festkörpern, im Speziellen von Metalloxiden, abspielt. Dazu werden Probenblättchen im Vakuum behandelt und mit Molekülen modifiziert, um fundamentale Eigenschaften zu verstehen und Reaktionen zu beobachten. "Die Moleküle tanzen richtig über die Oberfläche", schildert Diebold. Die Erkenntnisse könnten die Entwicklung von selbstreinigenden Oberflächen genauso wie von Halbleitersensoren und künstlichen Hüftgelenken vorantreiben.

Einen großen Schritt vorwärts bedeutet jedenfalls der EU-Förderpreis für exzellente Grundlagenforschung, dotiert mit 2,5 Millionen Euro, den Diebold kürzlich ergattert hat. Als einzige Frau erhielt sie einen der sieben Advanced Grants des Europäischen Forschungsrats (ERC), die 2011 an ForscherInnen in Österreich vergeben wurden. Was die (erste weibliche) TU-Rektorin Sabine Seidler zum Anlass nahm, um am Dienstag gemeinsam mit ERC-Präsidentin Helga Nowotny zu einem "Lab-in" zu laden.

Österreich im ERC-Mittelfeld

In seinem fünfjährigen Bestehen hat der ERC 2500 GrundlagenforscherInnen mit Advanced Grants und Starting Grants gefördert. "Österreich liegt gut im Mittelfeld", stellte Nowotny fest. Nach Angaben des Wissenschaftsfonds FWF gingen zwischen 2007 und 2011 insgesamt 68 ERC-Grants nach Österreich. In der vergangenen Ausschreibungsrunde 2011 wurden 20 an österreichischen Institutionen forschende Wissenschafter mit Advanced und Starting Grants ausgezeichnet, wobei dem FWF zufolge neben Diebold nur der Hydrologe Günter Blöschl tatsächlich aus Österreich stammt.

"Internationalisierung macht sich offenbar bezahlt", sagte Helga Nowotny, die darauf verwies, dass in den erfolgreichsten Einwerberländern - Großbritannien und die Schweiz - ein hoher Anteil der PreisträgerInnen aus anderen Ländern komme. Um den Erfahrungsaustausch mit erfolgreichen Institutionen zu fördern, habe sie im Wissenschaftsministerium eine ERC-Beobachtergruppe angeregt, sagte Nowotny.

Bereits seit 2009 leitet Silke Bühler-Paschen das ERC-Projekt "Quantum Puzzle". Im Vorjahr konnte sie mithilfe eines Advanced Grants das "Vienna Microkelvin Laboratory" am Institut für Festkörperphysik der TU Wien einrichten. Dort untersucht sie Materialien, die am absoluten Nullpunkt von minus 273,15 Grad Celsius einen sogenannten Quanten-Phasenübergang haben, also abrupt ihren Zustand und ihre Eigenschaften ändern. Die dabei auftretenden Phänomen sind mit den herkömmlichen physikalischen Theorien nicht erklärbar.

"Es ist ein völlig absurdes Konzept", sagt Bühler-Paschen. "Wir versuchen, uns diesem exotischen Punkt anzunähern." Dazu dient eine Tieftemperaturanlage, die sich durch dreieinhalb Stockwerke des TU-Gebäudes im vierten Wiener Bezirk zieht. Eingebettet in ein Dämpfungssystem, das minimale Schwingungen des Gebäudes ausgleicht, um jegliche Erwärmung des Geräts auszuschließen, können massive Festkörper, wie etwa ein Sechs-Kilo-Kupferblock auf tiefste Temperaturen im Mikrokelvinbereich gekühlt und analysiert werden.

"Wir wollen die Mechanismen verstehen, wie Supraleitung, also die elektrische Leitung ohne Widerstand, funktioniert", erläutert Bühler-Paschen eines der Anwendungsgebiete. "Wir erhoffen uns bahnbrechende Ergebnisse." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1.2.2012)