Wissenschaftsminister Töchterle, der für die ÖVP in der Regierung sitzt, vermisst bei den Grünen das Bürgerliche. Über eine Antwort zu einem Kanzler Strache muss er lange nachdenken.

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Standard: Sie sind knapp ein Jahr in der Bundesregierung, Sie sind parteilos, Sie wurden von der ÖVP nominiert. Wie wohl fühlen Sie sich im Schoß der ÖVP?

Töchterle: Wenn Sie diese schöne Metapher verwenden, kann ich nur sagen, ich fühle mich gewärmt. Im Ernst: Ich fühle mich sehr wohl. Manchmal wundere ich mich selber, dass ich mich so wohl fühle, das sage ich auch. Ich habe das schon mit einer gewissen Sorge begonnen. Aber wenn man mir schon die Chance bietet, an den Unis und für die Unis und für den tertiären Sektor etwas tun zu können, dann muss ich das annehmen. Meine Befürchtung war, dass das mühselige Geschäft der Politik auch mir die Mühsal vor Augen führen würde. Inzwischen stelle ich fest, ja, es ist teilweise mühselig, aber es ist bisweilen durchaus erfreulich. Ich habe mich - das sage ich ganz ehrlich und wundere mich dabei selber - noch nie dabei ertappt, zu sagen: Wärst du doch Rektor geblieben.

Standard: Das liegt an der Politik oder an der ÖVP?

Töchterle: Die ÖVP nimmt mich sehr gut auf und an. Das sieht man auch nach außen: Es ist klar, dass Wissenschaft und Forschung aus den allgemeinen Sparmaßnahmen weitgehend ausgenommen werden. Das ist ein klares Zeichen, natürlich vor allem der richtigen Einschätzung der Wichtigkeit dieser Bereiche, aber doch auch der persönlichen Akzeptanz.

Standard: Wie weit beherrscht der Kompromiss das politische Tagesgeschäft?

Töchterle: Politik ist klarerweise ihrem Wesen nach auch Kompromiss, vor allem Demokratie ist Kompromiss, sonst wär sie nicht Demokratie. Das ist immer ein Abgleich von verschiedenen Interessen. Das macht es mühsam und manchmal schlecht verkaufbar und manchmal unerfreulich. Die Leute sehnen sich nach Harmonie, was Demokratie nie ist, sie ist immer Diskussion, Auseinandersetzung und Interessenkonflikt. Und die Leute sehnen sich nach klaren Lösungen. Und das ist auch selten der Fall in einer Demokratie. Das ist das Schwierige und die Kunst. Auch der jetzige Blockadediskurs ist letztlich nur eine Variation des generellen Haderns mit der Demokratie. Weil sie eben nie Harmonie und Klarheit ist.

Standard: Das Sparpaket hat die Innenpolitik fest im Griff. Haben Sie den Eindruck, dass etwas weitergeht?

Töchterle: Mir scheint, dass allen klar ist, es muss jetzt einen kräftigen, deutlichen und nachhaltigen Schritt geben. Jetzt geht es noch um die Dimensionen in den einzelnen Bereichen und um das Verhältnis, wie viel auf der Ausgabenseite passiert und wie viel vielleicht doch auf der Einnahmenseite. Ich stelle aber schon fest, dass die Regierung die Themen so diskutiert, wie sie die ÖVP vorgegeben hat. Diese Themenführerschaft muss man der ÖVP zugestehen.

Standard: Wie tun Sie sich mit der SPÖ?

Töchterle: Beim Thema der Studienbeiträge gibt es von der offiziellen und der mir gegenübersitzenden Seite nicht einmal eine Diskussionsbereitschaft. Das kommt nur das klare "Nein, das wollen wir nicht".

Standard: Aber es gab zuletzt auch andere Signale.

Töchterle: Von Gabi Burgstaller gibt es sie schon länger. Aber die offizielle Linie ist die, die mir begegnet. Und das finde ich schon sehr enttäuschend. Ich habe der SPÖ mehrere Möglichkeiten angeboten. Die eine war: Nicht der Staat hebt Beiträge ein, sondern er überlässt es den Unis, ob sie es tun oder nicht. Der Staat würde nach meinem Modell keine Gebühren einheben. Aber die SPÖ will über diese Inhalte nicht reden.

Standard: Sie waren früher für die Grünen politisch aktiv, haben in Tirol für den Landtag kandidiert und sind gegen Johannes Voggenhuber angetreten, als es um den Spitzenkandidaten für die EU-Wahl 1996 ging. Wie geht es Ihnen heute mit den Grünen?

Töchterle: Sehr unterschiedlich. Mit den Grünen, mit denen ich jetzt zu tun habe, das ist Wissenschaftssprecher Kurt Grünewald, das sind die Grünen in der ÖH und das ist natürlich Eva Glawischnig, mit denen geht es mir ziemlich schlecht.

Standard: Was ist denn passiert?

Töchterle: Ich bin einfach maßlos enttäuscht über diese reflexartige, unreflektierte und manchmal polemische bis böswillige Reaktion, die ich bei den Grünen erfahre. Wie Glawischnig auf den Erfolg betreffend Euratom reagiert hat, das war erschütternd. Sonst schimpfen viele auf den Boulevard, kritisieren ihn als oberflächlich und überzeichnend, aber diese Reaktion von Eva Glawischnig, das war schlechter als jeder Boulevard. Oder Kurt Grünewald. Wenn ich mir seine Reaktionen auf meine politische Aktivität anschaue, bin ich genauso erschüttert. Da kenn ich den Menschen manchmal nicht mehr, mit dem ich immer wieder auch gute und konstruktive Gespräche geführt habe. Das habe ich ihm auch gesagt. Ich halte das einfach nur für polemisch. Bei der ÖH ist es das Gleiche.

Standard: Lässt sich das nicht mit dem Flachgang der Tagespolitik erklären?

Töchterle: Ich erkläre es mir mit dem Reflex von Oppositionsparteien: Beißt die Regierung. Aber konstruktiv ist das nicht. Ich bin enttäuscht von den Grünen. Wenngleich ich sagen muss, dass sie in der Bundespolitik für mich in vielen Bereichen ohnedies nie politische Heimat waren. Ich war ökologisch gesinnt und habe bei den Tiroler Grünen, vor allem in der Person des Georg Willi, jemanden gefunden, mit dem ich gut konnte. Aber auch bei anderen, die ideologisch weiter links standen, habe ich viel Verständnis und Akzeptanz gefunden.

Standard: Willi ist Chef der Tiroler Grünen, er ist zuletzt als Nachfolger von Glawischnig ins Gespräch gekommen. Trauen Sie ihm das zu?

Töchterle: In meinen Augen ist er ein bürgerlicher Grüner. In Tirol hat er die beiden Fraktionen zusammengeführt. Mit seinem Charme, seinem klugen Auftreten und mit seiner sehr ausgewogenen Art ist es ihm gelungen, die Grünbewegung in Tirol zu einen. Ich fürchte, dass sich Willi in Wien sehr schwer tun würde. Was er in Tirol geschafft hat, sehr unterschiedliche Strömungen unter einem Dach zu halten, das würde ihm in Wien ungleich schwerer fallen. Bundespolitisch scheinen mir die Grünen den bürgerlichen Bereich nicht sehr abzudecken. Wenn Glawischnig sagt, Faymann soll jetzt endlich zeigen, dass er rund vier Milliarden über Steuern bringt, dann muss ich sagen: Die überholt ihn ja weit links.

Standard: Sie sind bei einer Partei angedockt, die auch mit der FPÖ eine Koalition auf Bundesebene eingegangen ist. Wie geht es Ihnen mit dieser Option?

Töchterle: Grundsätzlich finde ich schon, dass man über eine Partei, die es in Umfragen auf fast 30 Prozent Wähler bringt, nicht sagen kann: Das sind für mich Unberührbare, mit denen darf man nie und nimmer. Ich weiß natürlich, dass die FPÖ einen rechten Rand hat, der extrem störend ist. Mit dem muss man seine Schwierigkeiten haben. Aber die pauschale Ausgrenzung einer Partei mit fast 30 Prozent Wählern halte ich auch für problematisch.

Standard: Stünden Sie in einer schwarz-blauen Koalition als Minister zur Verfügung?

Töchterle: Das ist schon eine komplexe Option.

Standard: Mit einem Vizekanzler Strache? Vielleicht sogar mit einem Kanzler Strache?

Töchterle: Sie machen es mir gerade einfacher, die Frage zu beantworten, wenn Sie das so formulieren.

Standard: Ihre Antwort darauf?

Töchterle: Eben weil es so komplex ist, tu ich mir mit der Antwort schwer. Ich bin gegen eine Totalausgrenzung der FPÖ. Aber mit einem Kanzler Strache, so wie ich ihn jetzt erlebe habe: Das ist keine denkbare Vorstellung für mich. (Michael Völker, DER STANDARD, Printausgabe, 1.2.2012)