Sage einer noch, die Zeit heilt alle Wunden. 40 Jahre nach dem Ausschluss von Karl Schranz von den Olympischen Winterspielen in Sapporo ist die Sportlerseele noch immer tief verletzt. "Dass es eine unwahrscheinliche Ungerechtigkeit war", spürte der 74-jährige Schranz in Sport am Sonntag. Seinen Reflexen ließ der "Gerechtigkeitsfanatiker" freien Lauf: Österreich sei ein kleines Land und "erfolgreich gewesen im Sport nach dem Krieg". Daran habe sich "Österreich aufgebaut. Wir sind wirklich ein kleines Land." Angesichts des Ausschlusses habe "sich der Österreicher geärgert".

Die ORF-Inszenierung und eine auf dem Opfermythos beruhende nationale Identität taten das ihrige, und so wurde der Triumphmarsch des Karl Schranz zum Déjà-vu. "Ja, die Wiener", habe er sich gedacht. "Das gefällt mir."

Friede und Versöhnung liegen nicht in der Natur des Österreichers. Dass Annemarie Pröll Kot im Kuvert zugesandt bekam, Funktionärskinder drangsaliert wurden, findet Schranz heute "peinlich". Ein ÖOC-Mitglied hingegen habe "einen irrsinnigen Blödsinn gemacht", indem er für Ausschluss plädierte: Der Mob wollte sein Heim anzünden.

Schnee von gestern ist das nicht unbedingt. Alle Jahre wieder regt sich der Volkszorn bei Sportlerleid. ORF und Boulevard peitschen wie zuletzt im Fall von Marcel Hirscher derart ein, dass es brodelt und pfeift im Zielraum. Dass diese Form der Instinktmoderation völlig überholt ist, beklagen Athleten immer wieder.

Am Ende steht Schulterzucken - oder, um es mit Karl Schranz auszudrücken: "Sicher hätte man das eine oder andere nicht sagen müssen, aber: C'est la vie, wie der Franzose sagt." (Doris Priesching, DER STANDARD; Printausgabe, 31.1.2012)