Czypionka: "Wegen der Alterung der Bevölkerung wird es in zehn Jahren so oder so mehr Spitalspersonal geben - Ärzte müssen sich um ihre Jobs überhaupt keine Sorgen machen."

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STANDARD: Die Regierung will 1,8 Milliarden in fünf Jahren einsparen, indem der Anstieg der Spitalskosten mit dem Wirtschaftswachstum begrenzt wird. Realistisch?

Czypionka: Machbar ist das, allerdings nicht gleichmäßig auf alle Jahre verteilt. Ich weiß, die Finanzministerin braucht kurzfristige Einsparungen - doch ehe ein Spital kostengünstiger arbeiten kann, muss man erst Geld in den Umbau investieren. Ziel muss sein, mehr Effizienz zu schaffen, damit die gleichen Aufgaben mit geringerem Input erfüllt werden: mit weniger Medikamenten, weniger Geräten, weniger Personal.

STANDARD: Also Personalabbau?

Czypionka: Nein. Wegen der Alterung der Bevölkerung wird es in zehn Jahren so oder so mehr Spitalspersonal geben - Ärzte müssen sich um ihre Jobs überhaupt keine Sorgen machen. Es geht allerdings darum, diesen Anstieg und die damit verbundenen Kosten zu dämpfen.

STANDARD: Wie könnte das gehen?

Czypionka: Erstens können die Spitäler selbst ihre Abläufe vereinfachen und optimieren. Man kann die ganze Bürokratie ja live miterleben: Bei Visiten wird ein ganzer Tross von Ärzten und Schwestern aufgehalten, nur weil irgendein Röntgenformular auszufüllen ist. Es gibt hunderte solcher Beispiele, wo Sand im Getriebe ist.

STANDARD: Wo ist noch Potenzial?

Czypionka: Viel Geld sparen lässt sich auch bei den Investitionen. Nicht jedes Krankenhaus muss die gleiche Leistung anbieten. Das eine verfügt dann eben - Hausnummer - über einen Nierensteinzertrümmerer, das andere über irgendein anderes Gerät. Und schließlich muss das Gesamtsystem so geändert werden, dass die Leute gar nicht im Spital landen. Das wird momentan übersehen.

STANDARD: Zum Beispiel?

Czypionka: Ein typischer Fall sind Diabetiker. Diese Krankheit ließe sich gut in mit entsprechendem Pflegepersonal ausgestatteten Arztpraxen behandeln, um gravierende Spätfolgen zu vermeiden. Hohe Behandlungskosten könnten so gespart werden. Doch stattdessen wird zugeschaut und zugewartet, bis die Patienten im Spital landen.

STANDARD: Warum ist das so?

Czypionka: Einerseits ist es ein Kulturproblem, zumal die traditionelle Praxis mit einem einzelnen Arzt immer noch das landläufig angestrebte Modell ist. Andererseits scheitert es auch daran, dass es keine Finanzierung aus einer Hand gibt. Die Sozialversicherung argumentiert zum Beispiel, sie könne den niedergelassenen Bereich - das Angebot der Haus- und Fachärzte - nicht ausbauen, weil sie selbst sparen müsse ...

STANDARD: ... weshalb die Leute dann ins Spital ausweichen.

Czypionka: Genau. Die Kunst wird deshalb sein, so zu sparen, dass die Kosten nicht einfach nur verschoben werden. Eigentlich sollte das Geld dorthin fließen, wo es dem Patienten am meisten nützt. Doch das gewährleistet unser System nicht. Die Sozialversicherung kümmert sich um den niedergelassenen Bereich, die Länder um die Spitäler - wo die Patienten sind, ist für beide Seiten sekundär. Wird dieses Problem nicht gelöst, werden noch viele Bemühungen scheitern.

STANDARD: Spräche irgendetwas außer der heimischen Realverfassung dagegen, dass eine zentrale Stelle Geld aus einem zentralen Topf in jene Einrichtungen verteilt, wo es am klügsten angelegt ist?

Czypionka: Dass es so sein sollte, bezweifelt kaum jemand, da rennen Sie bei allen offene Türen ein. Die Geister scheiden sich an der Frage, wer diese zentrale Stelle sein soll. Nicht nur die Realverfassung, auch die echte Verfassung schreibt eben eine Verteilung der Kompetenzen vor. Davon will niemand runtersteigen. Über den Strukturplan für Gesundheit versucht man nun, mehr Abstimmung zu erreichen - schauen wir einmal, wie viel davon übrigbleibt. Im Ernstfall können die Länder immer noch sagen: "Ihr sperrt uns dieses Spital nicht zu!"

STANDARD: Sehr optimistisch klingen Sie nicht gerade.

Czypionka: Die Experten sagen ja auch schon seit zehn Jahren das Gleiche. Jetzt, wo der Hut brennt, spüren die Länder den Druck allerdings immer stärker, zumal das Familiensilber allmählich dahinschmilzt. Es gibt ambitionierte Reformpläne in Oberösterreich, Wien und der Steiermark. Das Ganze passiert nur eben um zehn bis 20 Jahre zu spät. (Gerald John, DER STANDARD, Printausgabe, 31.1.2012)