Das haben wir alles schon einmal gehabt: Die Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) treffen im Iran ein; Teheran sichert treuherzig seine Kooperationsbereitschaft dabei zu, alle ausständigen Fragen zu klären; die "westlichen Diplomaten", die nicht zitiert werden wollen und immer aus denselben Ländern stammen, äußern sich pessimistisch; und die "unabhängigen Experten" , die sehr oft aus Anti-Iran-Lobbying-Kreisen kommen (was in den Medien nicht dazugesagt wird), kritisieren, dass die IAEO dem Iran wieder einen Zeitgewinn verschafft.

Nicht dass Letztere in dieser Beziehung unrecht hätten. Die Frage ist nur, wozu dieser Zeitgewinn dient: bereits konkret zum Bau einer Bombe, wie diese Experten entgegen den Ansichten der Geheimdienste (auch des israelischen) sagen, oder beim technologischen Sprung nach vorn, der den Iran den kompletten Nuklearbrennstoffzyklus meistern lässt. Und dass der Iran nebenbei an allen technischen Aspekten zu Nuklearwaffen forscht und arbeitet oder zumindest geforscht und gearbeitet hat, daran besteht auch wenig Zweifel.

Vielen Kommentatoren - und Konsumenten dieser Kommentare - sind diese Unterschiede natürlich egal, auch wenn sie rechtlich und politisch relevant sind. Aber während von der Bombe geredet wird, schafft es der Iran meisterhaft, das abzusichern, was er in den vergangenen Jahren erreicht hat: eine trotz interner technischer Schwierigkeiten und von außen kommender Cyberwar-Angriffe an Schwung gewinnende Urananreicherung. Genau diese Anreicherung ist ja der Inhalt der Uno-Sicherheitsratsresolutionen, deren Umsetzung vom Iran immer wieder eingefordert wird. Teheran soll sein Urananreicherungsprogramm suspendieren, nach dem Willen der Iran-Falken überhaupt für immer aufgeben.

Darauf wird gepocht, wenn man einem Vertreter der Iran-Antagonisten ein Mikrofon unter die Nase hält oder auch dem Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Auch wenn niemand mehr daran glaubt. In Wahrheit hat sich die Diskussion längst weiterbewegt, nämlich zur Frage: Wie kann die Überwachung von Irans Urananreicherungsprogramm so gestärkt werden, dass ein Militärwaffenprogramm ausgeschlossen werden kann? Einen großen Schritt weiter geht die Diskussion um die Frage, wie mit einem Iran umzugehen sei, der die Fähigkeit hat, Atomwaffen zu bauen, oder, noch weiter, solche gebaut hat. Und welche Auswirkungen das auf andere Länder in der Region haben wird.

An einen Militärschlag als Lösung glaubt eigentlich keiner der wirklich unabhängigen Experten. Die Kosten-Nutzen-Rechnung geht einfach nicht auf. Abgesehen davon, dass der militärische Erfolg ungewiss wäre, werden die asymmetrischen Methoden, mit denen der Iran zurückschlagen könnte, aktuell als gefährlicher eingestuft als die noch nicht existierende Bombe.

Die Militärschlagsdrohung ist das wirksamste Mittel, die internationale Gemeinschaft auf Sanktionen, die in Richtung totale wirtschaftliche Isolation des Iran gehen, einzuschwören. Gleichzeitig wird die IAEO die Erfahrungen aus den - erfolgreichen, schon vergessen? - Irak-Inspektionen aus den 1990er-Jahren dazu benützen, einen Überwachungsplan für Irans Atomindustrie zu entwerfen. Teheran hat viel zu gewinnen, wenn es da mitmacht - unter anderem die Akzeptanz seines Anreicherungsprogramms. (DER STANDARD, Printausgabe, 30.1.2012)