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Vermutlich der einzige Ort in Davos, wo man Felbers Thesen mit Begeisterung rezipiert: Protest-Iglu der Occupy-Bewegung vor dem Zentrum des Weltwirtschaftsforums.

Foto: AP/Arnd Wiegmann

Der Zusammenhang von Schulden und Vermögen ist der Schlüssel zum Verständnis und zur Lösung der Euro- und Schuldenkrise, wird aber von den Hütern der Geldordnung beharrlich tabuisiert.

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Die dankenswerter Weise vom Finanzmathematiker Walter Schachermayer an dieser Stelle begonnene Diskussion über den volkswirtschaftlichen Zusammenhang von Schulden und Vermögen ist viel zu wichtig, um sie - wie in der jüngsten Kontroverse zwischen Erhard Glötzl und Franz Hahn - in tautologischen Vexierspielchen und Senftubendrücken enden zu lassen ( "Schuldendebatte extrascharf", 21. 1.). Sie ist vielmehr der Schlüssel zum Verständnis und zur Lösung der Euro- und Schuldenkrise. Deshalb sollte diese Diskussion eigentlich in Davos geführt werden.

Der Kern des Problems: In der gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsrechnung sind die Vermögen und Schulden der drei großen Sektoren - Haushalte, Unternehmen, Staat - immer null. (Es kommen unter ferner liefen noch der Finanzsektor und der Saldo gegenüber dem Ausland hinzu.) Das bedeutet zunächst, dass das Vermögen des einen Sektors nur dann veranlagt werden kann, wenn sich ein oder mehrere andere Sektoren im gleichen Maße (netto) verschulden. Laut einer von manchen verwendeten Faustregel gerät ein Sektor in Überschuldungsgefahr, sobald er mit mehr als 60% des BIP verschuldet ist. Wird diese Schwelle überschritten, droht eine Insolvenzwelle von Unternehmen, Haushalten oder die Staatsinsolvenz. Auf dieses Szenario steuert derzeit die gesamte Eurozone zu. Das bedeutet weiter, dass Privatvermögen im Ausmaß von maximal 180 Prozent des BIP brutto veranlagt werden können, ohne dass es zu Überschuldung, Krise und Insolvenzgefahr in mindestens einem der drei Sektoren kommt. Zur drohenden Insolvenz gibt es drei Alternativen: Veranlagung darüber hinausgehender Vermögen im Ausland (geht nur im Ausnahmefall und ist daher keine Lösung für alle), Hortung zusätzlicher Vermögen unter dem Kopfpolster oder in Sparstrümpfen oder: Besteuerung überschüssiger Vermögen, sodass Schulden und Vermögen 180% des BIP nicht übersteigen. Genau das ist die "Doppelmühle", vor der wir stehen: Entweder wir reduzieren Vermögen und Schulden gleichzeitig - oder wir riskieren massenhafte Privat-, Unternehmens- oder die Staatsinsolvenz. Die drei verstärken sich.

Der einzige nachhaltige Weg zur Verhinderung der Insolvenzwellen unter derzeitigen Systembedingungen ist also der parallele Abbau von öffentlichen Schulden und privaten Vermögen über Steuern. Wie systemisch sinnvoll die Besteuerung privater Vermögen ist, zeigt die Relation zu den Staatsschulden: Die privaten Finanz- und Immobilienvermögen belaufen sich in Italien auf 424% der Staatsschulden, in Deutschland auf 475% und in Österreich auf 675%. Ein Prozent Vermögenssteuer trägt die Staatsschluden in der Eurozone um ungefähr fünf Prozent ab. Nach zehn Jahren wären sie halbiert. Das ist der Weg aus der Eurokrise.

Solche Vorschläge sind noch immer so ungern gesehen, dass sie von der Finanzministerin bis zum Presse-Chefredakteur als "kommunistisch" weggewischt werden. Alternativen werden keine aufgezeigt - nicht am Ballhausplatz, nicht in Brüssel, nicht in Davos. Ich rate den sich der Finanzmathematik Verschließenden, die Kurzstudie "Back to Mesopotamia" der Boston Consulting Group (BCG) zu lesen. In dieser wird vorgeschlagen, die Schuldenlast der drei Sektoren Unternehmen, Haushalte und Staat, in den USA, Großbritannien und der EU auf 60% des BIP (zusammen maximal 180% des BIP) zu drücken, um die Überschuldungssituation zu beenden - das ist zwar schmerzhaft, doch anders könne die Krise nicht gelöst werden. Die Alternativen Staatsinsolvenz, Hyperinflation oder Währungsreform wären weitaus schmerzvoller. Der vorgeschlagene Schuldenschnitt würde in den USA 8,2 Billionen, in GB 1,3 Billionen und in der Eurozone 6,1 Billionen Euro kosten. Die BCG schlägt vor, dass diese Kosten mit einer einmaligen Vermögenssteuer von 26% (USA), 27% (GB) und 34% (Eurozone) auf das private Finanzvermögen beglichen werden sollten.

Der Vorschlag mutet deshalb so radikal an, weil die BCG - nach dem Vorbild Mesopotamiens, wo beim Antritt eines neuen Regenten alle Schulden erlassen wurden - das Problem mit einem Schlag lösen möchte. Das halte ich für einen unnötigen Schock. Sanfter wäre es, die Steuer auf zehn Jahre zu strecken und auf ein Prozent pro Jahr zu begrenzen sowie auf Immobilienvermögen auszuweiten. Zudem sollen nicht alle Haushalte "flat" besteuert werden, sondern nur die Oberschicht, die zwei Drittel des Vermögens besitzt (Schwelle rund 750.000 Euro). 90% der Bevölkerung blieben steuerfrei, weil sie nur ein Drittel besitzen. Laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung haben 50% der Haushalte in Deutschland netto kein Vermögen!

Die Einführung von Vermögenssteuern würde geschätzt ein bis zwei Jahre dauern - zu lang, um den Euro noch zu retten oder zumindest die ersten Staatsinsolvenzen zu verhindern. Um die nötige Zeit zu gewinnen, könnte die EZB die Staatsschulden derjenigen Euro-Staaten garantieren, die sich gemeinsam zu dieser Vermögenssteuer entschließen. Damit hätten ihre Staatsanleihen sofort die AAA-Note und die Zinsen fielen in den Keller. Zudem könnte die EZB in dem Maße, in dem alte Staatsanleihen auslaufen, diese durch zinsfreie Kredite ersetzen. Die Republik Österreich würde sich dadurch jährliche Zinszahlungen in der Höhe von 8,5 Milliarden Euro ersparen. - Das wäre eine sinnvolle Einsparung im Staatshaushalt und eine kostengünstigere Form der Staatsfinanzierung als der Umweg über private Banken. Was diesen nicht gefallen wird. Deshalb sind aus Davos hier auch keine Lösungsvorschläge zu erwarten. Die Art und Weise, wie das Geldsystem geregelt ist, ist - neben der Demokratiefrage - der Kern gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Deshalb wird die herrschende Geldordnung von den Eliten tabuisiert. Die Krise macht den Tabubruch hoffentlich möglich. (Christian Felber, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28./29.1.2012)