Soap & Skin: Mit einem Bein in der Tradition Franz Schuberts verwurzelt, produziert sie große Kunst auf der Gefühlsorgel.

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Ihre Musik stürzt einen in Verzweiflung, damit es einem nachher besser geht.

Wien - Selbstverständlich hat ihre speziell zu Hause in Österreich wechselvolle Rezeptionsgeschichte auch mit einer immer noch unterschiedlichen Rezeption männlicher und weiblicher Kunst zu tun. Daran wird auch das neue Album von Anja Plaschg alias Soap & Skin wenig ändern. Immerhin macht es offensichtlich einen erheblichen Unterschied, ob nun eine Frau scheinbar ihr Innerstes nach außen stülpt oder ein Mann.

Nehmen wir als Beispiel ein klassisches, deshalb als Referenz gewähltes Modell, Nick Cave und PJ Harvey. Beide verfolgen ähnliche Ziele, graben tief in der Musikgeschichte, finden im Blues eine Grundgestimmtheit. Und sie legen es im Rahmen nach Katharsis schielender Liveshows darauf an, inneren Leidensdruck energetisch, mit weit aufgerissenen Augen und gestischer Lawinenüberlebenstechnik abzubauen. Cave als männlichem Part wird diesbezüglich allerdings gewöhnlich "Intensität" oder "Wahrhaftigkeit" unterstellt, PJ Harvey steht, wenn schon nicht als "hysterisch", so doch als neurotisch überzogen da, als emotional überlastete Gewitterziege, die mit ihrem Gefühlshaushalt nicht zurechtkommt.

Schon vor drei Jahren, als mit Lovesong For Vacuum das erste Album der medial als mindestens "verschlossen" geltenden Musikerin aus der Steiermark erschien, tat man sich mit einer gelassen unternommenen künstlerischen Einschätzung der damals 17-/18-jährigen Plaschg schwer. Zum einen fußen ihre immer spröden, manchmal wuchtigen Klavierballaden recht fest in der Tradition Franz Schuberts. Sie werden mit Laptopelektronik angereichert, die vor allem auf sperrigen, in seinem rhythmischen Grundgefüge krachenden britischen Techno der 1990er-Jahre viel verweist.

Damals wie heute anlässlich des anstehenden Erscheinens ihres zweiten Albums Narrow werden Diskussionen auftauchen, die jetzt schon - darf man sagen: humorvoll? - am Albumtitel festgemacht werden. Auch der Begleit-essay des Radiojournalisten und Plaschg-Mentors Fritz Ostermayer spricht von jenem Distanz-Nähe-Problem, das vor allem auf eines verweist: Künstler sollten sich nach dem "Tod des Autors" wie der damit verbundenen Unmöglichkeit von "Authentizität" nicht zu sehr darauf kaprizieren, sich selbst nahetreten zu wollen. Immerhin gilt ja etwaige individuelle Identität schon seit Philip K. Dicks berühmter Frage in Blade Runner, ob denn Androiden von elektrischen Schafen träumen würden, als veritables Konstrukt.

Soap & Skin holt das Beste aus diesem Dilemma. Mit Chor und Streichquartett hat die Musik heute eine noch größere Dringlichkeit. Das Eröffnungslied Vater etwa geht als Eloge auf Plaschgs 2009 verstorbenen Vater trotz einfachster Intensitätseffekte wie Guillotinensounds aus dem Computer und symphonischer Steigerung als große Kunst auf der Gefühlsorgel durch: "Ich frage dich, wann kommst du wieder heim?"

Ein überzeugendes Beispiel für Pop als Seelentröster, der einen erst in die Verzweiflung stürzen muss, damit es einem danach besser gehen kann, ist auch eine Brechung des sentimentalen französischen Diskotheken-Hits Voyage, Voyage von 1986. Wirklich großartig wird es in Deathmental. Die Kombination aus explosivem Todesmetall und implosivem geistigem Durchdrehen erfährt eine beklemmende Umsetzung als rein elektronisch generierter Track.

Man könnte sich Deathmental heute so auch von den einstigen slowenischen Semiologiezersetzern Laibach vorstellen - so diese nicht als Attraktion auf Gothic-Festivals durch Osteuropa tingeln würden, wo sie als Rammstein für Arme rezipiert werden. Insofern macht Anja Plaschg als Soap & Skin ihre Sache beängstigend gut. (Christian Schachinger, DER STANDARD - Printausgabe, 28./29. Jänner 2012)