Bild nicht mehr verfügbar.

Da legst dich nieder.

Foto: APA/AP/Donegan

Bild nicht mehr verfügbar.

Der Moment der Erlösung.

Foto: APA/EPA/Walton

Bild nicht mehr verfügbar.

Zeigte Zähne: Andy Murray.

Foto: APA/EPA/Young

Melbourne - Das Herren-Finale der mit 20,9 Mio. Euro dotierten Australian Open in Melbourne heißt Novak Djokovic gegen Rafael Nadal. Djokovic rang am Freitag in einem spannenden und hochklassigen Fünf-Satz-Thriller den Schotten Andy Murray nach einem 1:2-Satzrückstand und 4:46 Stunden mit 6:3,3:6,6:7(4),6:1,7:5 nieder. Der Titelverteidiger aus Serbien, der im Head-to-Head mit Murray auf 7:4 stellte, trifft nun am Sonntag (9.30 Uhr MEZ/live Eurosport) auf den als Nummer zwei gesetzten Rafael Nadal. Der Spanier hatte bereits am Donnerstag Roger Federer in vier Sätzen ausgeschaltet.

Die lange Reise der Filzkugel

Es war die Finalreprise des letzten Jahres und die Sportwelt durfte sich neuerlich fragen: Kann Andy Murray in einem wichtigen Grand Slam-Spiel einen der Top-Four überwinden? Nun ja, er konnte nicht. Es war eine durchaus persönliche Geschichte für den Schotten, wurde er doch von Djokovic im vergangenen Jahr im Finale ziemlich unspektakulär abgezogen - das war allerdings keine Schande.

Den ersten kleinen Sieg verbuchte  Murray bei der Platzwahl, er entschied sich für Rückschlag. Und bereits in den ersten Games zeichnete sich ab, was an diesem australischen Abend zu erwarten war: Die Filzkugel ging sehr lange auf Reisen - weder Djokovic noch Murray haben ja eine Affinität zum schnellen Punktgewinn. Letzterer hatte bereits im zweiten Game zwei Breakchancen wegzuspielen, das aber mit souveränen, knallharten und langen Schlägen. Das musste Selbstvertrauen bringen.

Murray im ersten Satz zu fehleranfällig

Nach einer Viertelstunde, einem ersten Murray'schen Netzangriff in die Maschen und einem Doppelfehler, macht der Serbe den ersten Satz auf: 3:1. Das vierte Rad am Weltranglisten-Wagen ließ sich aber nicht lumpen, wollte nicht ohne Umweg auf die Verliererstraße einbiegen: Murray erlief einen zu mutigen Djokovic-Stopp und zermürbte diesen anschließend in einer langen Rallye bis die Vorhand-Ecke frei war, Re-Break. Was natürlich nichts hilft, wenn das folgende Aufschlagspiel zu Null hergeschenkt wird und in der Folge alles für den Serben rennen sollte: Ein Ass, ein sensationeller Passierball nach einem zu kurz geratenen Angriffsball Murrays (Achtung, Rarität!) und ein böser Netzroller, ließen Djokovic tief Luft holen. 

Bei den Vorhand-Crossduellen zeigte sich die ganze bewunderswerte Solidität des Novak Djokovic - er blieb cool und servierte den ersten Satz aus: 6:3. Und schon war der Herausforderer im Eck: Murray machte zehn Punkte weniger (23 zu 33), ärgerte sich über 20 unerzwungene Fehler, auf seinen ersten Aufschlag konnte er sich nur teilweise verlassen (60 Prozent).

Konter im zweiten Satz

Den nächsten Stoß setzte gleich wieder der Serbe mit einem schmerzlichen Break zu Beginn des zweiten Satzes (ein Lehrstück moderner Tennis-Psychologie): einem Doppelfehler folgte der Ärger über ein gar nicht gnädiges Hawk-Eye und eine misslungene Backhand. Murray spielte nun wiedermal gegen sich selbst und überließ Djokovic ein leichtes Game: 0:2. Aber auch das ist Andy Murray: Einem Knaller-Aufschlag mit 210 km/h durch die Mitte folgte kurz darauf ein gelungener Smash. Kaum ein Spieler auf der Tour beherrscht den aggressiven Punktschlag mit der Rückhand als Antwort auf einen hohen Topspin so gut wie der schottische Duracell-Hase. Dieser Spezialschlag funktioniert in alle Richtungen. So auch im heiß umkämpften vierten Game. Zwölf Minuten sollte dieses dauern, und Murray kämpfte beherzt. Und pardauz: Sogar der Serbe begann, gelegentlich den Ball ins Out zu schießen. Oder einen Stopball ins Netz zu setzen. Nach mehreren Breakchancen war Murray wieder im Geschäft und sein Service verbessert: Nach einem lockeren Aufschlag gelang dem Schotten das nächste Break zum 4:2.

Was statistisch bis dahin für Murray sprach: Mehr als 50 Prozent der kurzen Ballwechsel gingen auf sein Punktekonto. Djokovic konnte den Vorwärtsdrang des Gegners aber leicht bremsen, entschied den Fight um das siebente Spiel für sich - und das obwohl Murray mit einem Ass, einem Stopp und einem sensationell erlaufenen Lob aufwarten konnte. Es wurde schwer geschuftet. Djokovic operierte vermehrt mit dem Slice, und beim Stand von 15:30 bei Aufschlag des Serben wurden die Laktat-Werte getestet. In einer endlos langen Rallye setzte Murray nach einer Killer-Vorhand seines Kontrahenten in höchster Not einen Flugball hinten ins Eck und sicherte sich in Folge nach einem Djokovic-Fehler das Break zum 5:3. Das Spiel wurde an der Zweistunden-Marke offiziell zum Drama, Djokovic war giftig und hatte selbst sogleich Breakchancen. Murray wehrte sich aber famos und Djokovic atmete schwer und stützte sich nach einem Ballwechsel in der Länge eines Kurzfilms erstmals am Schläger ab. Nach einer wuchtigen Rückhand war Murray endgültig im Spiel: Game, set, Murray. 6:3.

Zuerst der Jammer, dann die Coolness

Der Schotte wirkte zu diesem Zeitpunkt fitter und fokussierter. Das längste Game des Spiels (Beginn dritter Satz) dauerte 15 Minuten und Djokovic machte erstmals einen müden Eindruck, ließ den Kopf da und dort hängen. Und ist natürlich einer der besten Schauspieler auf der ATP-Tour. Ein Break holte er sich postwendend zurück,  quälte sich trotz Mängel auf der Vorhandseite zur 3:2-Führung und schrie sich den Gedankenstau aus seinem Unterbewusstsein und aus seinem Leib. Murray war trotzdem der bessere Spieler, hatte schon 29 Winner produziert und konnte sich nach Flüchtigkeitsfehlern auch mit zweiten Aufschlägen und ein bisschen mehr Risiko absetzen.

Djokovic ging bestimmt mehr Meter als Murray, der zunehmend von der Mitte des Platzes agierte, Druck machte und variierte - allein das Scoreboard zeigt ein anderes Ergebnis. Bei 4:5 und dem ersten Satzball Djokovics, zimmerte Murray eine Cross-Vorhand auf die Linie und ließ seinen Kontrahenten erstaunt zurück. In der zweiten brenzligen Situation ließ er einen Stop aus dem Handgelenk rollen und rettete sich nach drei Stunden zum Ausgleich, 5:5. Dass er wie so oft in der Vergangenheit das Risiko scheute, konnte man dem Briten diesmal nicht vorwerfen. Den Satz hatte er schon der Tasche, auch weil ein zögerlicher Djokovic seinen teils deftigen Angriffsschlägen nicht ans Netz hinterherging. Und doch kämpfte sich die quirlige Nummer eins mit einem Re-Break in den Tie-Break. Und auch dort war alles ausgeglichen, was denn sonst? Bis Murray mit einem Ass zuschlug. 4:3, 5:3, ein Vorhand-Schuss zum 6:3 und kurz darauf der Satzgewinn. 3:6, 6:3, 7:6.

Entscheidung im fünften Satz

Djokovic ging aber innerlich nicht in Tränen unter, sondern breakte Murray in der Fortsetzung sogleich einmal. Was den vierten Durchgang relativ bald zu einer Formalsache machte. Der bedrängte Titelverteidiger zog schnell auf 3:0 davon und sein Gegenüber ließ gewähren, kaum eine halbe Stunde dauerten die sieben Games. Die Ausfahrt hieß fünfter Satz. Im Finale dieser unvergesslichen Partie diktierte Djokovic die Ballwechsel, Murray verschuf sich aber etwas Luft mit starken Aufschlägen. Und plötzlich sahen die Zuschauer wieder den leidenden Novak Djokovic. Und Weltklasse-Tennis. Murray lockte Djokovic mit dem Stop, der spielt auf den Körper des Schotten, der sich nur mit einem Lob zu helfen wußte. Djokovic seinerseits überlobte Murray, der den Ball erlief - und zuschauen durfte, wie Djokovic ausgepumpt riskierte und den Ball ins Out beförderte.

Beim Stand von 2:1 für den Serben musste sich Murray heftig gegen eine Abnahme seines Aufschlags wehren, die beiden schenkten sich jetzt reinen Wein ein. Djokovic schlug harte Return-Winner, lauerte und setzte nach einem vergebenen Passierball einen Meilenstein in diesem Match: Break zum 4:2. Und dann war Murray wieder Beifahrer und Djokovic der derzeit beste Tennisspieler dieser Welt. Beim Stand von 5:3 für den Serben, wäre grundsätzlich kein Pfifferling mehr auf Murray zu setzen gewesen, doch abermals gelang ihm das Rebreak, ehe er doch noch mit 5:7 im letzten Satz als Verlierer vom Platz ging. (derStandard.at; 27. Jänner 2012)