Benedict Wells, "Fast genial". € 20,50 / 336 Seiten. Diogenes, Zürich 2012

Foto: Diogenes

Manche Bücher machen es nahezu unmöglich, ihren Autor außer Acht zu lassen. Der aktuelle Roman von Benedict Wells gehört in diese Kategorie.

Wells ist Jahrgang 1984, sein Debüt Becks letzter Sommer machte ihn 2008 zum jüngsten Autor bei Diogenes, mit Fast genial legt er nun innerhalb weniger Jahre seinen dritten Roman vor. Der Wunderkindstempel ist da schnell gezückt, entsprechen- de Aufmerksamkeit gesichert. Francis Dean, der jugendliche Protagonist von Fast genial, steht indessen zunächst keineswegs unter Genieverdacht. In einem Trailerpark in New Jersey harrt er, der Vater unbekannt, die Mutter ein psychisches Wrack, einer unvermeidbar scheinenden Zukunft mit schlechten Jobs und erhöhtem Cholesterinspiegel. Die Enthüllung aus einem verfrüht geschriebenen Abschiedsbrief seiner Mutter erfüllt ihn jedoch mit neuem Optimismus. Francis ist das Produkt einer mittlerweile geschlossenen Samenbank der Genies und damit potenziell höchstbegabt.

Kurzerhand macht sich das Superhirn in spe auf den Weg nach Kalifornien, um seinen Vater zu suchen und seine Lebensperspektive besser einordnen zu können. Begleitet wird er von dem Nerd Grover, der auch das Auto für die Reise beisteuert, sowie der labilen Anne-May. Diese hat Francis zwar eben erst kennengelernt, ihre sexuelle Ausstrahlung reicht aber für ein Rückbankticket. Es ist eine spannende Geschichte, die Wells präsentiert, noch dazu eine, die auf wahren Begebenheiten beruht. Die besagte Samenbank hat es tatsächlich geben, die Vitae einiger aus ihr hervorgegangen Kinder sind gut dokumentiert.

Für Wells sind diese Episode aus der Historie wissenschaftlicher Misserfolge und der damit verbundene Themenkomplex um Herkunft und Determination zudem wohl auch von persönlichem Interesse. Nicht nur als sich schon in jüngsten Jahren explizit zum Schreiben berufen Fühlender, sondern ebenso als Enkel des Reichsjugendführers Baldur von Schirach und somit als Spross einer in letzten Jahren literarisch sehr erfolgreichen Familie mit dunkler Vergangenheit.

Leider bleibt in Fast genial jedoch nicht nur die Möglichkeit einer tiefer gehenden Auseinandersetzung mit Fragen der genetischen Bestimmung oder der wissenschaftlichen Ethik auf der Strecke. Dem ganzen Roman mangelt es an einer Tiefe.

Wenn Francis in seinen leeren Spind starrt oder einen Ball in stiller Verzweiflung immer wieder gegen die Wohnwagenwand wirft, ruft Wells Szenen in Erinnerung, die man bereits in unzähligen High-School-Filmen gesehen hat, die das im Roman gezeigte Amerika jedoch nur noch stärker als eine papierne Kulisse für wandelnde Klischees erscheinen lassen. Das ist umso ärgerlicher, als Wells zu den realen Hintergründen auch einen Plot ersonnen hat, der durchaus mitzureißen vermag. Es steht damit außer Zweifel, dass der junge Autor flott schreiben kann. Für den nächsten Roman sollte er sich aber vielleicht ein wenig mehr Zeit gönnen. (Dorian Waller, DER STANDARD/ALBUM - Printausgabe, 28. Jänner 2012)