Den Begriff "Greißlersterben" kenne ich schon seit den 1980er Jahren, kommt mir vor. Ganz tot ist das Gewerbe aber noch nicht. Hie und da sind in Wien ein paar Geschäftslokale von dem Phänomen verschont geblieben.

Das von Rosa Hudec in der Fünfhauser Tautenhayngasse ist keines davon. Mit der Besitzerin ging auch ihr Kleinunternehmen in Ruhestand, und nur mehr der Schriftzug "Milch" blieb übrig.

Es sei schade, sagt eine Anrainerin, dass Frau Hudec ihr Geschäft nicht mehr betreibt. Allerdings sei es seit der Schließung auch ruhiger geworden, weil früher oft Betrunkene mit ihren Hunden vor dem Haus gelärmt hätten.

Foto: Michael Matzenberger/derStandard.at

Auch ein paar Häuser weiter in der Pilgerimgasse sind die Schotten dicht. Der Kaufmann Otto Skach hatte es einmal.

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Äußerlich sieht auch das Geschäft von Renée Ott in Wien-Neubau nicht unbedingt vital aus. 

Die Greißlerin, Jahrgang 1927, selbst ist aber umtriebig und schließt ihren Laden in der Neustiftgasse seit 50 Jahren täglich auf - sieben Tage in der Woche, werktags von halb fünf Uhr in der Früh bis acht Uhr am Abend.

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"Die sterben alle weg", sagt Frau Ott über ihre Stammkunden. Es werde immer schwieriger, mit der Konkurrenz der Supermärkte zu überleben: "Billa, Penny, Spar und Zielpunkt, die sind jetzt alle schon im Grätzel."

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Dass die meisten Menschen in ihrem Alter schon 20 oder 30 Jahre in Pension sind, quittiert Frau Ott mit einem Lächeln. Und dass die Jüngeren noch Pensionen haben werden wie jetzt, bezweifelt sie überhaupt. Vielleicht werde es bald eine pauschale Einheitspension für alle geben, wie in der Schweiz.

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In der Burggasse im siebenten Wiener Gemeindebezirk betreibt Heinrich Höller seit 1990 eine Greißlerei. Er hat sie von seinem Vater übernommen. Ein Lebensmittelhändler war aber schon im Haus, kurz nachdem es Anfang des 20. Jahrhunderts erbaut wurde. Damals war er einer von über hundert Nahversorgern im Bezirk.

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Einer seiner Freunde, der vagabundierende Kulturwissenschaftler Roland Girtler, habe ihn auf ein Verzeichnis aus dem Jahr 1846 hingewiesen, das mir Höller in der Auslage zeigt. Darin sind jene Artikel aufgeführt, die "dem Victualien-Händler zur Führung erlaubt sind". Unter anderem "rothe Rüben, alle Gattungen des frischen oder geräucherten Stechviehfleisches, Sägespäne, Schuhwichse und Hanf".

Ob damals auch Backwaren verkauft wurden, ist nicht überliefert. 2011, nachdem in der U-Bahn-Station Volkstheater eine Bäckereifiliale eröffnet hat, sei jedenfalls die Hälfte seines Mehlspeisenabsatzes weggebrochen, erzählt Heinrich Höller.

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Sein Feinkostgeschäft kann er nur mehr mit - wenn auch geringem - Ertrag führen, weil er selbst zubereitete Speisen in sein Sortiment aufgenommen hat, die er bei Bedarf aufwärmt. In der Küche hinter dem Ladengeschäft schöpft mir Höller Nudeln mit Hühnerfleisch aus dem Wok, und sie sind unbedingt empfehlenswert.

Auch wenn es finanziell manchmal knapp wird, hat Heinrich Höller seinen Schmäh noch nicht verloren. Verglichen mit der Anonymität an Supermarktkassen ist es wohl genau das, was seine Kunden an ihm schätzen. Viele von ihnen spricht er mit Vornamen an und lässt sie bis zum Monatsende anschreiben.

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Als reiner Gemischtwarenladen wäre auch Peter Ottendorfers Geschäft in der Haberlgasse in Wien-Ottakring nicht profitabel. Dank eines Kaffeehauses im Nachbargebäude und eines Catering-Dienstes für Spitäler und Heime kann der frühere Vorsitzende des Wiener Feinkostrings sogar Mitarbeiterinnen anstellen. Im Geschäft stapeln sich die Pappschachteln für das auszuliefernde Essen.

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Kurz bevor ich gehe, steckt der Chef ein Paar belegte Brötchen zum Kosten in das Sackerl mit meinen Einkäufen. Und ein Büchlein, in dem es um die Geschichte der Greißlerei in Wien geht - mit Beispielen aus seiner Familie. Ich zahle mit einem Zehner und sage "Stimmt schon". Peter Ottendorfer gibt mir auf den Cent genau heraus und beharrt: "Strenge Rechnung, gute Freunde." (Michael Matzenberger, derStandard.at, 14.3.2012)

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