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Für OECD-Chef José Ángel Gurría sind Angela Merkels Aussagen "nicht ermutigend".

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Standard: Können die Probleme in der Eurozone gelöst werden?

Gurría: Ja, das können sie. Die Lösungen hängen miteinander zusammen. Was bisher gefehlt hat, ist politischer Wille, um die Lösungen umzusetzen. Zuerst muss man Griechenland fixieren, das ist wie ein Virus, der eine Ansteckung bewirkt hat. Das muss beendet werden, hoffentlich an diesem Wochenende. Und zweitens, man muss eine Brandschutzmauer bauen.

Standard: Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat am Mittwoch in Davos gesagt, Deutschland will dafür nicht mehr Geld hergeben.

Gurría: Wir haben Signale bekommen, dass sie ihre Position nicht sehr stark verändert hat. Das ist nicht ermutigend. Schlussendlich muss das gemacht werden. Aber das braucht Zeit, es verursacht Schmerzen und Kosten. Drittens, man muss die Banken stabilisieren. Die Bankenkapitalisierung ist noch nicht abgeschlossen. Viertens, man muss die Budgets in den Griff kriegen. Aber auch in Sparzeiten muss man Spielraum lassen, etwa um die häufig über 40 Prozent liegende Jugendarbeitslosigkeit und Ungleichgewichte zu bekämpfen. Denn das sind Molotowcocktails.

Standard: Was hat Vorrang?

Gurría: Nach den zuvor genannten aktuellen Problemen muss man sich mittel- und langfristig wieder den Strukturfragen zuwenden: Bildung, Innovation, grünes Wachstum, Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, Telekommunikationsfragen. Da gibt es aber ein Problem: Das braucht Zeit. Und Politiker wollen schnelle Lösungen. Aber genau diese Fragen halten das Wachstum am Laufen.

Standard: Zurück zur Brandschutzmauer: Glauben Sie, dass sich Merkel noch bewegen wird?

Gurría: Schlussendlich werden die Bedingungen von anderen Staaten gestellt. Italien, Spanien, die tun was. Sie (Merkel; Anm.) ist willens und bewirkt, dass sich die Menschen in die richtige Richtung bewegen. Österreich diskutiert auch eine Schuldenbremse. Das macht Sinn, und alle haben gesehen, was geschieht, wenn man das nicht macht. Österreich ist im Klub der Virtuosen. Das Problem ist: Sind die Österreicher, Deutschen, Niederländer bereit, Schecks zu unterzeichnen, um die Italiener, die Griechen, die Portugiesen zu retten, wenn die keine Anstrengungen unternehmen? Man kann verstehen, dass sie nicht dazu bereit sind, gerade wenn sie selbst den Gürtel enger schnallen müssen, wenn die anderen nicht ihre Budgets einschränken.

Standard: Sehen Sie genug Anstrengungen in diesen Ländern?

Gurría: Ja, ich sehe diese Anstrengungen in Griechenland, Spanien, Italien, Portugal und Irland. Die einzige Sache, vor der ich Angst habe, ist Geschwindigkeit. Wenn die Deutschen sagen, wir sind zufrieden, wollen sie dann darauf warten, dass sich die Ergebnisse einstellen? Das ist eine andere Zeitdimension. Die Brandschutzmauer muss aber jetzt gebaut werden.

Standard: Der Internationale Währungsfonds erwartet für die Eurozone heuer eine "milde Rezession". Sie auch?

Gurría: Ja, es wird ganz sicher keine Wiederholung von 2009 geben. Die Länder der Eurozone werden sich beim Wachstum rund um null bewegen. (Alexandra Föderl-Schmid, DER STANDARD, Printausgabe, 27.1.2012)