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Leonard Cohen veröffentlicht mit "Old Ideas" ein stilles, intensives Meisterwerk.

Foto: Marcel Hartmann/Sygma/Corbis

"Old Ideas" (Sony) ist ab sofort im Handel erhältlich.

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Christian Schachinger war bei der Präsentation in London dabei.

Mit 77 Jahren gilt es, mit seinen Kräften etwas sorgsam umzugehen. Sieben Jahre nach seinem letzten Studioalbum Dear Heather und nach einer triumphalen späten Welttournee, die ihn zwischen 2008 und 2010 weltweit in 247 Städte führte, stellt Leonard Cohen seinen neue Arbeit Old Ideas in Europa lieber nur in Paris und London im Rahmen von noblen Butterfahrten für jene Medien vor, die immer lieb zum Meister waren oder eine entsprechende Schnittmenge zwischen Auflage und Lesern mit Matura als symbolisches Kapital mitbringen. So kommt es, dass der kanadische Poet und Songwriter beim Pressetermin im noblen Londoner Mayfair Hotel zwei, drei Dutzendschaften eingeflogener Journalisten die zehn aktuellen Lieder im Rahmen einer moderierten Hör- und Fragestunde näherbringen müssen will, obwohl er gar nicht mag.

Leonard Cohen: "Speziell die britischer Presse war immer gemein zu mir. Es wurde geschrieben, dass ich nicht singen kann und nur drei Akkorde auf der Gitarre beherrsche. Dabei kann ich fünf."

Na, bitte. Geht doch. Lachen ist die beste Medizin. Sie hilft zwar nicht gegen den Tod, um den es an diesem Abend aufgrund einer gewissen Grundthematik auf dem Album Old Ideas und hier speziell in den Liedern Going Home und Darkness geht. Aber wenn wir schon alle einmal sterben müssen, dann wenigstens mit einem guten Gefühl und sich zärtlich an lebensmüde Akkorde schmiegenden Melodien. Leonard Cohen sagt: "Das sind doch nur Lieder. Wenn wirklich alles schief geht und es im Leben kritisch wird, muss man es mit Alexis Sorbas halten: Raise your glass and stomp your feet."

Betreut wird Cohen, der zeitlebens für das Konzept des sterbenden Schwans, dessen Geschwister "Schönheit und Würde" und ein wenig Sirtaki in Brummbär-Dur und Barry-White-Moll eintrat, dabei von einem Langzeitbewunderer. Moderator Jarvis Cocker, Kopf der britischen Gescheiten-Pop-Band Pulp aus den 1990er-Jahren ("I'm in love with the common people."), hat dabei keinen leichten Stand. Leonard Cohen mag zwar etwas abgelebt auf der kleinen Bühne des hoteleigenen Kinos sitzen. Der ihm eigene, scheinbar hinter altersbedingter Langmut und buddhistischem Argumentationsschabernack versteckte Humor ist allerdings noch immer intakt. Cohen auf die Frage, warum er denn im Greisenalter sein neues Album ausgerechnet mit dem tendenziell starrsinnig wirkenden Titel Old Ideas bedacht habe: "Vielleicht ist dies die älteste Idee: Es gibt keine alten Ideen, nur die eine: Mach weiter!"

Auch auf seinem neuen Album ist Leonard Cohen einem künstlerischen Prinzip treu geblieben, dass erst einmal aus dem Vollen schöpft, um dann unter Berücksichtigung des Faktors Zeit abzuspecken, zu verdichten, die Poesie von ihrem für Cohen funktionslosen Erzählstrang zu befreien: "Es ist ja nicht so, dass ich faul bin, ich habe während der letzten sieben Jahre auch während der Tournee ständig an neuem Material gearbeitet. Der Song Going Home etwa bestand ursprünglich aus an die 80 Strophen. Davon sind sieben übrig geblieben. Bevor ich einen Vers wegwerfe, muss ich ihn erst schreiben." Im auf dem gemütlichen Zischeln eines Swing-Rhythmus aus der Heimorgel beruhenden Going Home grummelt Cohen zu sparsamen Akkorden übrigens die schönen selbsterklärenden Zeilen: "I love to speak with Leonard. He's a sportsman and a sheperd. He's a lazy bastard living in a suit." Und weiter: "He wants to write a love song, an anthem of forgiving, a manual for living with defeat, a cry above the suffering, a sacrifice recovering, but that isn't what I need him to complete."

Natürlich wird auch an diesem Abend der alte, als Frage getarnte Ratschlag seines Zen-Meisters zu hören sein, der ein wenig in Richtung katholische Sündenvergebung und Karl Valentin kippt: "Leonard, bist du dir auch wirklich sicher, dass du das Falsche machst?! Das klingt jetzt leicht, aber ich kann leider nur mit den Talenten arbeiten, die mir mitgegeben wurden. Ich habe keine nennenswerten großen 'Ideen'. Ich kritzle Notizbuch um Notizbuch voll und hoffe, dass etwas Relevantes dabei ist. Wo andere am Büffet stehen und sich die Teller vollschaufeln, nage ich an einem Stück Knochen herum." Seinen Rainer Maria Rilke ("Wer spricht von Siegen? Überstehn ist alles.") hat Cohen jedenfalls schon früh verinnerlicht: "Success is survival."

Die Zukunft liegt dunkel vor uns

Cohen hat zwar seit den 1960er-Jahren herauf gut 21 Millionen Alben verkauft. Mit Ausnahme seines Heimatlandes hat er allerdings trotz der sensiblen Alltime-Einbrat-Klassiker Suzanne und So Long, Marianne oder zünftigerem Material wie Don't Go Home With A Hard-On vom sträflich unterschätzten Album Death Of A Ladies' Man keine Hits aufzuweisen. Seine heute vielleicht bekanntesten Lieder, The Future und Hallelujah, verdanken ihren Status der Verwendung als Soundtrack für den Serienkillerfilm Natural Born Killers, einer Coverversion von Jeff Buckley für die Weltjugend um die 40 sowie dem Einsatz im Animations-Blockbuster Shrek.

Seinem alten Sager, dass niemand auf die Apokalypse warten müsse, da die Bombe schon lange hochgegangen sei, kann er heute angesichts der ökonomischen Weltkrise nur einen eigenen Songtitel hinzufügen: "Everybody Knows". Auf Old Ideas bringt Leonard Cohen übrigens sein alten Liedes The Future ("I've seen the future, baby: It is murder.") aus dem Jahr 1992 zu einem galligen Abschluss: "I thought the past would last me, but the darkness got that too." Leonard Cohen verbrachte den Rest der 1990er-Jahre in einem Zen-Kloster in den kalifornischen Bergen. Er litt an einer klinischen Depression. Alkohol, Drogen, Medikamente, diverse Flirts mit nicht ganz standesgemäßen Glaubensrichtungen wie Scientology konnten nicht mehr helfen.

Als er geläutert vom Berg herabstieg, fand Cohen heraus, dass seine Managerin während seiner Abwesenheit beinahe alle seine Ersparnisse durchgebracht hatte. Unter anderem auch deshalb begann er wieder Alben wie die ihm Gegensatz zur einstigen künstlerischen Hochblüte in den 1970er- und 1980er-Jahren nicht ganz so gelungenen Arbeiten Ten New Songs (2001) und Dear Heather (2004) einzuspielen. Der Erfolg seiner Welttournee 2008 bis 2010 kam dementsprechend unerwartet, war aber wohl auch finanziell notwendig, obwohl Cohen zugibt, es nicht unbedingt darauf angelegt zu haben, im betagten Alter Haus und Hof in Los Angeles zu verlassen: "Vor der Tournee fühlte ich mich wie Ronald Reagan. Er glaubte, ein Schauspieler zu sein, der einen Präsidenten spielt. Ich versuchte mich daran zu erinnern, dass ich einmal Sänger war."

Die Grabesstimme, mit der Cohen nun auch auf den zehn Liedern von Old Ideas zwischen gewohnt himmlischen Frauenchören und edlen Beserljazz-, Boogierock- und Alleinunterhalterorgelklängen herumwühlt, um die gemeinsamen Unterschiede als Ähnlichkeiten des Sakralen mit dem Profanen offenzulegen. verdankt sich übrigens einer simplen Tatsache: "Als ich vor Kurzem mit dem Rauchen aufhörte, dachte ich, dass ich gesanglich ins Sopranfach wechseln würde, aber das Gegenteil ist der Fall." Die Wirkung einer tiefen Stimme auf die Damenwelt (Barry White!) dürfte das allerdings kaum abträglich sein, oder? Leonard Cohen: "Das ist sehr freundlich, dass Sie das vermuten. In meinen Alter ist dies allerdings unangebracht."

Bevor der arme Mann schließlich von einer Heerschar ausgewachsener Journalistenkollegen drangsaliert wird, die sich alle gemeinsam mit ihm im Sinne von "Ich und die Cheopspyramide" fotoblitzen lassen wollen, die Frage, auf was er denn im Laufe seiner Karriere am meisten stolz gewesen sei. Leonard Cohen: "Ich habe im Vorjahr gemeinsam mit Chuck Berry den amerikanischen PEN-Preis für Verdienste um die Lyrik bekommen. Roll over Beethoven and tell Tschaikowsky the news! Ich würde gern so schreiben können wie Chuck Berry."    (DER STANDARD, Printausgabe, 27.1.2012)