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Die Menschen in Industrieländern essen durchschnittlich 80 Kilogramm Fleisch pro Kopf und Jahr.

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Ein Mensch verbraucht pro Tag etwa zwei bis vier Liter Trinkwasser. Ungefähr das Tausendfache wird für seinen Nahrungsmittelkonsum gebraucht. Fleisch verbraucht dabei am meisten Wasser.

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90 Prozent der globalen Sojaernte werden an Nutztiere verfüttert.

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Bis zur Mitte des Jahrhunderts wird sich die globale Fleischproduktion, ausgehend vom Jahr 2000, nochmals verdoppelt haben.

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Gesunde Ernährung sollte kein Privileg von Gutverdienern sein, meint Martin Schlatzer.

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Der Ernährungswissenschafter Martin Schlatzer beschäftigt sich in seinem Buch "Tierproduktion und Klimawandel" mit den Auswirkungen des kontinuierlich wachsenden Fleischkonsums auf Umwelt, Klima und Wirtschaft. Im derStandard.at-Interview erklärt er, warum eine pflanzliche Ernährung sozial gerechter ist, Vegetarier nicht dem "Essen der Fleischesser das Essen wegessen" und Oberösterreich ein Pionier unter den Bundesländern ist.

derStandard.at: Es hungern fast eine Milliarde Menschen. Sie sprechen in Ihrem Buch von der Verantwortung, die Konsumenten in reicheren gegenüber ärmeren Ländern haben. Würde eine pflanzlicher orientierte Ernährung den Druck auf die ärmere Weltbevölkerung reduzieren?

Martin Schlatzer: Ja, eine Reduzierung des Fleischkonsums könnte global einen wesentlichen Beitrag zur Verringerung der hungernden und armutsgefährdeten Menschen leisten, sowohl kurz- als auch langfristig. Die Entwaldung, die größtenteils auf die Fleischproduktion zurückgeht, könnte vermindert werden und Flächen und Gebiete, die einst indigenen Bevölkerungen zur Deckung ihrer grundlegenden Bedürfnisse dienten, zurückgegeben werden. Sowohl Umwelt- als auch soziale Kosten wurden vonseiten der Industrieländer bislang oft ins Ausland verlagert.

Hierbei spielen aber viele Faktoren mit wie die Welthandelspolitik, Lebensmittelspekulationen, ethnische Konflikte und Unruhen sowie die ohnehin prekäre Versorgungslage in vielen Ländern des globalen Südens betreffend Nahrungsmittel, Wasser und Medizin. Anzumerken ist aber, dass es sich um ein Verteilungsproblem und nicht um ein Ressourcenproblem handelt. Man könnte problemlos zehn Milliarden Menschen ernähren. Der steigende Fleischkonsum ist vor allem dafür verantwortlich, dass verhältnismäßig große Anbauflächen für die Tierproduktion lukriert werden müssen, da ein Rind oder Schwein viel mehr Getreide benötigt als ein Mensch.

derStandard.at: Wie sieht die Entwicklung beim Fleischkonsum weltweit aus?

Schlatzer: Es besteht ein deutlicher Trend zu einem höheren Fleischkonsum, vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern. In Industrieländern, wo es noch immer Steigerungen gibt, beträgt er mit rund 80 Kilo das 2,5-Fache des Fleischverzehrs in Entwicklungsländern.

Bis 2050 wird sich die globale Fleischproduktion, ausgehend vom Jahr 2000, nochmals verdoppelt haben. Eigentlich müssten aber, gemäß internationalen Expertisen, die negativen Konsequenzen des Tierproduktionssektors bereits jetzt halbiert werden, was eine deutliche Änderung des Ernährungsverhaltens bedeutet.

derStandard.at: In Ihrem Buch weisen Sie auf die rasante Entwicklung in China hin. Wohin geht dort der Trend?

Schlatzer: In China leben 1,33 Milliarden Menschen. Hier kann man sehen, dass der Fleischkonsum äußerst stark zugenommen hat. Innerhalb von 25 Jahren hat er sich von 15 auf 60 Kilogramm pro Person und Jahr vervierfacht. Eine derart rapide Zunahme hat es so eigentlich in keinem anderen Land gegeben, nur Brasilien ist noch annähernd vergleichbar.

derStandard.at: Ein Angstbild, das auch von populistischen Politikern herangezogen wird ...

Schlatzer: Aufgrund der Tatsache, dass China die höchste Einwohnerzahl hat, wirken sich hier Lebensstiländerungen im Vergleich zu kleineren Ländern klarerweise stärker aus. Es gilt hier jedoch schon zu differenzieren und nicht zu schnell mit einem Urteil bei der Hand zu sein, da der Fleischkonsum pro Person in Schwellenländern wie China klar unter dem Niveau der Industrieländer liegt.

Tatsache ist, dass der jährliche Pro-Kopf-Konsum der Entwicklungsländer selbst 2050 noch immer lediglich die Hälfte der Industrieländer ausmachen wird.

Wenn es um konkrete Maßnahmen geht, sollte nach dem Verursacherprinzip gehandelt werden und primär diejenigen Länder Verantwortung übernehmen, die beispielsweise im Falle des Klimawandels die meisten Treibhausgase bis dato produziert haben. Das sind vor allem Nordamerika und Europa. Asien zieht aber langsam nach.

derStandard.at: In ihrem Buch beschreiben Sie das Phänomen, dass genau dort, wo die Urbanisierung schnell vorangeht und das individuelle Einkommen wächst, auch der Fleischkonsum zunimmt. Wird der Fleischkonsum von der ärmeren Weltbevölkerung vielleicht, ähnlich wie in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg, als Zeichen von Reichtum und als Statussymbol gesehen?

Schlatzer: Viele Menschen in den Schwellenländern dürften mit dem Lebensstil von Nordamerika und Europa etwas Positives verbinden, der natürlich auch durch Großkonzerne und Werbung in die Länder gebracht wird.

Es ist schon abzulesen, dass sich vor allem mit dem steigenden Fleischverzehr eine Doppelbelastung für ärmere Regionen ergibt. Neben bereits existierendem Hunger und Mangelernährung halten Zivilisationskrankheiten wie koronare Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bestimmte Krebsarten und Diabetes mellitus 2, die bislang nur in Industrieländern stark verbreitet waren, immer deutlicher in Entwicklungs- und Schwellenländern Einzug.

derStandard.at: Ist es mit den räumlichen Ressourcen auf der Erde überhaupt noch möglich, den global ansteigenden Fleischkonsum aufrechtzuerhalten?

Schlatzer: Mittel- bis langfristig sehr schwierig. Wenn die Menschen in Entwicklungsländern denselben Fleischkonsum hätten wie in den westlichen Ländern, bräuchten wir wahrscheinlich um zwei Drittel mehr Flächen, primär für den Anbau von Futtermitteln. Der Druck auf die Anbauflächen wird größer, denn mehr Menschen benötigen auch mehr Wohnflächen sowie Straßen, und einen bestimmten Teil nehmen auch die Sektoren Industrie und Energie ein.

Große Teile der globalen Getreide- und Sojaernte werden zudem an Tiere verfüttert, womit ein direktes Einsparungspotenzial gegeben ist. Durch eine weitere Steigerung des globalen Fleischkonsums würde der Druck auf die Ernährungssicherung deutlich erhöht werden, da für die Produktion von einem Kilo Fleisch prinzipiell circa fünf bis 15 Kilo Futtermittel benötigt werden.

Laut Einschätzungen von Olivier De Schutter, dem Sonderberichterstatter der UNO für das Recht auf Nahrung, würden voraussichtlich bis 2050 jährlich fast 1,5 Milliarden Tonnen Getreide für Futtermittel verwendet werden. Diese Menge wäre genug, um den Kalorienbedarf von 4,5 Milliarden Menschen zu decken.

derStandard.at: Wenig Bewusstsein gibt es noch im Bereich Wasserverbrauch. Der Konsument weiß relativ wenig darüber, wie viel die Produktion seiner Lebensmittel verbraucht. Wäre hier eine weitere Lebensmittelkennzeichnung sinnvoll?

Schlatzer: Wir verbrauchen pro Tag etwa zwei bis vier Liter Trinkwasser. Ungefähr das Tausendfache wird jeden Tag für unseren Nahrungsmittelkonsum gebraucht. Fleisch verbraucht dabei am meisten Wasser. Man kann grob sagen, dass tierische Produkte das Dreifache von pflanzlichen benötigen. Die Landwirtschafts- und Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) stellte fest, dass die zunehmende Tierhaltung ein Schlüsselfaktor für den steigenden Wasserbedarf sein wird.

Als Orientierung für den Konsumenten wären Kennzeichnungen durchaus positiv, aber wichtig ist, dass eine nachhaltige, gesunde und ethische Ernährung kein Privileg von Gutverdienern sein sollte. Es ist auch die Herausforderung eines Staates, einem Preisdumping entgegenzuwirken und die lokale sowie regionale Landwirtschaft zu stärken sowie auch die Bäuerinnen und Bauern gerecht zu entlohnen.

derStandard.at: Immer wieder werden auch im derStandard.at-Forum Veganer und Vegetarier wegen ihrer sojareichen Ernährung mit der Abholzung der Regenwälder für Anbauflächen in Zusammenhang gebracht ...

Schlatzer: (lacht) Ich weiß, das sind beliebte Behauptungen, aber ganz einfach zu widerlegen. 90 Prozent der globalen Sojaernte werden an Nutztiere verfüttert. Beim Getreide sind es 40 Prozent. Für den Großteil der bisherigen Entwaldungen im Amazonas ist die Tierproduktion – und hierbei vor allem für den Konsum von Fleisch – verantwortlich.

Als die BSE-Krise ausgebrochen ist, hat die Europäische Union die Fütterung mit Tiermehl verboten. Dieses billige Futtermittel musste schlagartig durch Soja ersetzt werden. Die Hauptlieferanten für die gesamte EU sind Argentinien, Brasilien und Nordamerika. Pro Jahr werden über 30 Millionen Tonnen importiert.

derStandard.at: Laut Ihrem Buch werden 18 Prozent der Treibhausgase von der Tierproduktion verursacht. Wie müssen wir unseren Konsum verändern? Oder ist hier auch die Politik gefordert?

Schlatzer: Das geht Hand in Hand. Aufklärung ist sehr wichtig. Gemäß der FAO trägt die Nutztierhaltung mehr zur Klimaerwärmung bei als der gesamte weltweite Verkehr. Ein bewusster Konsument sollte also vor allem auf einen geringen Fleischkonsum achten, aber auch auf biologische sowie regionale, saisonale und fair gehandelte Lebensmittel.

Vor allem eine vegetarische oder auch vegane Ernährung kann einen wesentlichen individuellen Beitrag zur Verbesserung der Klima- und Umweltbilanz, aber auch zur eigenen Gesundheit leisten. So stellte die ADA (Amerikanische Gesellschaft für Ernährung, Anm.) in ihrem Positionspapier klar, dass eine vegetarische und vegane Ernährungsweise für jegliche Altersgruppe gesund ist und einen gesundheitlichen Nutzen für die Prävention und Behandlung bestimmter Krankheiten haben dürfte.

Politisch gesehen könnte man schon etwas machen: Verhältnismäßig gesehen ist Gemüse, vor allem biologisch erzeugtes, im Gegensatz zu Fleisch sehr teuer. Das ist nicht förderlich. Die tatsächlichen Kosten für Klima, Ressourcen und Böden sollten generell berücksichtigt werden, damit der wahre Preis von Lebensmitteln widergespiegelt wird.

derStandard.at: In einigen Ländern gibt es bereits Initiativen, zumindest an einem Tag der Woche auf Fleisch zu verzichten. Woher stammt die Idee des Veggie Day?

Schlatzer: Der Veggie Day wurde in Gent zum ersten Mal initiiert: Kantinen und Restaurants wurden geschult, wie man pflanzlich kocht, und auch Schulen werden versorgt. Es gibt sogar einen Stadtplan, in dem vegetarische Lokale eingezeichnet sind.

Die Stadt Gent macht das für die Gesundheit der Stadtbewohner und für die Umwelt. Mittlerweile gibt es auch in Bremen und Baltimore einen Veggie Day. Das Land Oberösterreich hat erst kürzlich einen entsprechenden Tag eingeführt.

Ein Veggie Day ist ein wichtiges Zeichen. Ich bin sehr positiv eingestellt und sehe vor allem bei jungen Menschen einen starken Trend zu einer vegetarischen Ernährungsweise. Vor allem die Wiener Lokalszene bietet ein umfangreiches Angebot an vegetarischen und veganen Köstlichkeiten an. Eine pflanzenbetonte Ernährung bedeutet Genuss und Lebensfreude und bestimmt keinen Verzicht. (derStandard.at, 8.2.2012)