Vor drei Jahren feierte das World Wide Web seinen 20. Geburtstag. Angetrieben von einigen enthusiastischen Menschen fand innerhalb von wenigen Jahren eine Revolution statt, die nicht jeder verstehen konnte: Menschen vernetzten sich, tauschten Informationen und Unterhaltung aus, das meiste davon kostenlos - etwas, das wohl den Grundsätzen der älteren Generationen widersprach. Vielleicht steht die aktuelle Politik genau deswegen den Problemen im Netz so ratlos gegenüber.

Dass der Computer in den 1990er-Jahren langsam Einzug in die meisten Haushalte Österreichs fand, musste für die Parteien anfangs unangenehm gewesen sein. Während es früher reichte, einige Fernsehsender und eine Handvoll Zeitungen zu beobachten, gab es plötzlich hunderte Medien, private Standpunkte konnten wesentlich weiter als über den eigenen Stammtisch verbreitet werden. Dass die Politik besorgt war, merkte man schnell, als die ersten netzpolitischen Aussagen auftauchten: Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein.

Kompetenz, wo Kompetenz benötigt wird

Fast 25 Jahre World Wide Web, fast 45 Jahre Internet. Und nach wie vor wird Politik hauptsächlich mit Beschränkungen gemacht. Anstatt früh auf diese vorhersehbare Evolution des Wirtschaftssystems zu reagieren und beispielsweise den Breitbandausbau am Land zu fokussieren, wurden hier in Österreich kaum Entscheidungen getroffen. Informatik-HTLs laufen nach wie vor unter der Überschrift "Schulversuch". Könnte ja sein, dass das ganze Internet wieder verschwindet.

Währenddessen reagierten junge Staaten wie Estland vorbildlich - das Land hat das Recht des Bürgers auf einen Internetanschluss gesetzlich verankert. Das Problem in Österreich: Auf solche Entwicklungen kann man nur eingehen, wenn man eine Ahnung hat, wie solche Systeme funktionieren und wofür man sie verwenden kann. So würde das Lesen einiger Fachliteratur reichen, um zu verstehen, dass DNS-Sperren absolut wirkungslos sind. Menschen, die der Gesellschaft Schaden anrichten wollen - und das wird stets als Argument für Beschränkungen verkauft -, können diese Sperren innerhalb von wenigen Minuten komplett problemlos umgehen. Trotzdem werden diese Stoppschild-Sperren nach wie vor von einigen politischen Richtungen vehement gefordert.

Anti-Counterfeiting Trade Agreement

Während sich Österreich mit DNS-Sperren und Vorratsdatenspeicherung beschäftigt, verhandelt die EU international über den nächsten großen Schritt Richtung Einschränkung: ACTA, das Anti-Counterfeiting Trade Agreement, soll internationale Standards bei Urheberrechtsverletzungen festlegen. In der EU wurde darüber in einer nichtöffentlichen Sitzung im Agrar- und Fischereirat beraten, und ACTA wurde beschlossen. Dort versammelt sich offenbar die informationstechnologische Kompetenz der EU.

Stop Online Piracy Act

Doch sind nicht nur Österreich und die EU betroffen: Als in den Vereinigten Staaten vor kurzem im Senat über SOPA (Stop Online Piracy Act, ein Gesetz zur Ermöglichung von Internetsperren) diskutiert wurden, reagierten mehrere Senatoren mit der Aussage, dass sie eigentlich gar nicht wissen, worum es geht. Man sollte lieber zuerst einige "Nerds" (O-Ton) befragen. Diese Geringschätzung hat System, und diese Geringschätzung der Informatik wird langsam zum Problem für das System.

Der vierte Stand schläft

Doch das Problem ist nicht nur in der Politik vorhanden. Auch die etablierten Medien standen Anfangs vor großen Problemen, wie sie auf das World Wide Web reagieren sollten. Selbst heute versuchen große Medien wie die "New York Times", das Prinzip des freien Informationsaustauschs zu umgehen, um sich hinter (meist schlecht implementierten) Paywalls zu verstecken. Es ist nicht überraschend, dass das in den seltensten Fällen Erfolg hat.

Was aber noch viel schlimmer ist: Vor wenigen Tagen fand eine einmalige Aktion statt. Hunderte Großfirmen, Privatleute, Organisationen und Medien kämpften gemeinsam gegen den US-amerikanischen SOPA-Entwurf. Die englische Wikipedia wurde gesperrt, Google änderte sein Logo, Facebook wies darauf hin, und selbst diverse Pornoseiten beteiligten sich an der Aktion. Über dieses einmalige Ereignis wurde im ORF in der "Zeit im Bild" ganze sieben Sekunden lang berichtet. Zum Vergleich: Der Beitrag über den neuen Muppet-Kinofilm bekam die zehnfache Sendezeit. Selbst in Zeitungen wurde die Aktion fast ausschließlich auf diverse Technik-Seiten ausgelagert, obwohl es sich hier natürlich eigentlich um ein politisches Thema handelt.

Wenn die Medien und die Politik sich nicht bald darauf besinnen, diesem Thema mehr Zeit und Aufmerksamkeit zu widmen, kann es niemanden wundern, dass Organisationen wie Anonymous weiterhin mit Attacken auf Regierungswebseiten auf die Thematik hinweisen müssen. Das Internet ist ein einmaliges, freies System. Und wird sollten alles dafür tun, dass das auch so bleibt. (Leser-Kommentar, Lukas Linemayr, derStandard.at, 25.1.2012)