"Meine Lehrereltern waren extrem humorvoll, ironisch, aber auch schwierig und kontrollierend."

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"Heute werden meine E-Mails noch korrigiert", sagt Bastian Bielendorfer. Der 27-jährige Poetry-Slammer ist ein Lehrerkind. Seine Mutter unterrichtete an seiner Volksschule, sein Vater im Gymnasium. Welche Vor- und Nachteile es hat, in einem Lehrer-Haushalt aufzuwachsen, beschreibt Bielendorfer in seinem Buch "Lehrerkind".

Der Kontakt zu den Eltern war enger als bei anderen Kindern: "Mir wurden selbst die Schweißeinlagen für meine Schuhe in den Unterricht nachgetragen." Warum er zunächst selbst Lehrer werden wollte, dann aber das Studium abgebrochen hat, sagt er im Interview mit derStandard.at.

derStandard.at: Sie schreiben, als Lehrerkind habe man es nicht leicht. Welche Sorgen haben Lehrerkinder, die andere nicht haben?

Bielendorfer: Man steht unter dem dauernden Einfluss seiner pädagogisch orientierten Eltern. Ich hatte noch dazu das Unglück, dass meine Eltern an meinen jeweiligen Schulen unterrichteten. Meine Mutter in der Grundschule, mein Vater im Gymnasium. Ich hatte 365 Tage im Jahr Elternsprechtag. Das war recht anstrengend. Bei mir wurden Privatbriefe korrigiert.

derStandard.at: Sie haben in Ihrem Buch auch einen solchen korrigierten Brief abgedruckt.

Bielendorfer: Das ist die Schrift meines Vaters, auch wenn das keiner glauben will. Er schreibt so kalligrafisch. Das ist echt so.

derStandard.at: Sie schreiben von sozialer Verbannung, und die Mitschüler hätten in Ihnen einen Spitzel gesehen. Wie hat sich das geäußert?

Bielendorfer: Das Buch ist humoristisch angelegt und behandelt meine Jugend aus einer augenzwinkernden Perspektive. Ich erzähle rein subjektiv, was ich so erlebt habe. Es wird oft auf Mobbing heruntergebrochen, aber das war es nicht zwingend. Meine Mitschüler haben mich aber mit einem gewissen Misstrauen betrachtet, weil sie natürlich wussten, dass mein Vater an der Schule ist.

Der Einfluss der Eltern auf die Kinder ist natürlich größer. Vor allem, wenn sie an der eigenen Schule sind. Ich konnte nie schwänzen, konnte keine Klausuren schlecht schreiben. Wenn ich schlechte Noten hatte, wusste es mein Vater innerhalb von zwei Minuten.

derStandard.at: Gibt es nicht auch Vorteile? Wird man von anderen Lehrern besser behandelt?

Bielendorfer: Das ist gleichzeitig aber auch wieder ein Nachteil, weil die Umwelt das sofort wahrnimmt. Mir wurden selbst meine Schweißeinlagen für meine Schuhe in den Unterricht nachgetragen. Weil mein Vater sie gerade dem Lehrer überreicht hatte. Wirklich positive Vorteile habe ich nicht erfahren.

Das Einzige, was vielleicht wirklich ein Vorteil ist, wenn man in einem bildungsorientierten Haushalt aufwächst: dass man viel früher an das Lernen herangeführt wird. Ich bin nicht bildungsfern aufgewachsen, das hat mir meine Schulkarriere sicher teilweise erleichtert. Ich bin aber trotzdem eine Totalniete in allen mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächern.

derStandard.at: Ist für Sie nie ein Schulwechsel in Frage gekommen?

Bielendorfer: Nicht wirklich. Weil die Repressalien nicht so tragisch waren. Es hat meinen Humor und meine Persönlichkeit geformt. Hätte ich die Schule gewechselt, hätte ich das Buch nicht schreiben können.

derStandard.at: Was zeichnet Lehrereltern aus?

Bielendorfer: Es gibt unterschiedliche Arten. Meine Lehrereltern waren extrem humorvoll, ironisch, aber auch schwierig und kontrollierend. Ich bin jetzt fast 30 Jahre alt, und aus diesem Duktus haben sie nie herausgefunden. Dieses Lehrer-Kind-, Lehrer-Eltern-Verhältnis hat nie geendet. Heute werden meine E-Mails noch korrigiert, heute werde ich noch darauf hingewiesen, was ich zu tun habe. Selbst mein Buch wurde von meinen Eltern korrigiert und auf Rechtschreibung geprüft.

derStandard.at: Die Idee, das Buch zu schreiben, nahm konkrete Formen an, als Sie Gast bei "Wer wird Millionär?" waren. Was ist damals passiert?

Bielendorfer: Was heißt konkreter geworden? Es war die Initialzündung für alles. Ich hatte das Glück, da sitzen zu dürfen und mich intellektuell zu blamieren. Ganz großer Sport war das nicht. Ich habe 32.000 Euro gewonnen. Das ist die Summe, wo die Leute freundlich nicken und sich denken: "Idiot, da hätte man mehr daraus machen können."

derStandard.at: Als Telefonjoker haben Sie Ihren Vater eingesetzt.

Bielendorfer: Er hat sich herrlich pädagogenhaft verhalten, dass es jedem Klischee entsprach. Zuerst ist er nicht ans Telefon gegangen. Als er dann abgehoben hat, warf er mir vor, wie unfähig ich sei, warum ich ihn wegen einer solchen Popelfrage anrufe. Dann hat er sie mit Mutwillen abgetan und aufgelegt – grußlos.

Das war für die Zuschauer sehr unterhaltsam, ich war in dem Moment kurz vorm Aorta-Riss. Aber letztendlich hat es dazu geführt, dass ein Gespräch über Lehrerkinder entstanden ist.

derStandard.at: Der Moderator hat das Thema aufgegriffen?

Bielendorfer: Er hat gefragt, wie das Verhältnis zu meinen Eltern ist, weil er das erheiternd fand, wie sich mein Vater am Telefon verhalten hat. Wir haben drüber gequatscht und anscheinend habe ich mich in der Show so gut geschlagen, zumindest so humorvoll, dass Verlage gesagt haben, schauen wir uns das an, ob er schreiben kann.

Ich war schon längere Zeit in der Poetry-Slam-Szene aktiv und hatte die Idee, das Buch zu schreiben. Aber zu dem Zeitpunkt hatte ich noch keinen Mut, etwas einzureichen. Ich war sicher, dass ich die Enttäuschung einer Ablehnung nicht hätte ertragen können.

derStandard.at: Wie würden Sie das Image der Lehrer beschreiben?

Bielendorfer: Ich finde, es ist viel zu negativ. Auch das Buch ist in keinster Weise ein Lehrerhasser-Buch. Es gab vor einigen Jahren ein Buch, das genau diesen Titel trug. Das fand ich das Allerletzte, weil Lehrer in unserer Gesellschaft viel zu gering angesehen werden. Das hat sich in den letzten 30 Jahren traurigerweise sehr verändert. Früher waren Lehrer Respektspersonen. Heute sind es Menschen, die die fehlende Erziehung innerhalb der Familien aufholen sollen.

Ich habe gesehen, wie meine Eltern oft damit gehadert haben und wie schwierig das für sie war. Es hat mich in meiner Entscheidung gestärkt, dass ich selber kein Lehrer werden möchte. Ich finde, dass das Bild des Lehrers in Deutschland stark verfälscht ist. Es ist nun mal nicht so, dass Lehrer nur zehn Stunden in der Woche arbeiten und dann auf Urlaub fahren. Mein Vater sitzt jeden Tag drei oder vier Stunden nach der Arbeit da und bereitet sich auf den Unterricht vor. Natürlich gibt es immer schwarze Schafe, die das vielleicht nicht erfüllen. Aber ich glaube schon, dass das ein sehr anspruchsvoller und sehr zeit- und emotionsintensiver Job ist.

derStandard.at: Haben es Lehrer heute schwerer als früher?

Bielendorfer: Die Schüler und gewisse Strukturen innerhalb der Schule haben sich verändert. Ich würde schon sagen, dass die Bereitschaft der Schüler zur Widerwehr und auch ihr Selbstbewusstsein stark gestiegen sind. Viele Eltern bringen ihren Kindern bei: "Lass dir nichts gefallen." Deswegen glaube ich schon, dass die Lehrer es etwas schwieriger haben als früher. Aber ich bin kein Befürworter der Prügelpolitik der 50er- und 60er-Jahre.

derStandard.at: Sie wollten zunächst selbst auch Lehrer werden – warum haben Sie sich dann doch dagegen entschieden?

Bielendorfer: Das ist ordentlich schiefgegangen. Ich habe nach sechs Semestern Lehramtsstudium meine ersten didaktischen Erfahrungen machen dürfen, die ich gleich so umfassend versiebt habe, dass für mich klar war, dass ich den Beruf 40 Jahre körperlich und nervlich nicht aushalten würde.

derStandard.at: Welche Voraussetzungen braucht man, um ein guter Lehrer zu werden?

Bielendorfer: Letztendlich wirklich Interesse an Didaktik und am Menschen. Es ist ein Job, in dem man permanent mit jungen Menschen zu tun hat. Ich glaube, das Wichtigste ist, dass man seine Begeisterung, sein Feuer dafür nicht verliert, Menschen etwas beibringen zu wollen. Natürlich braucht man rhetorische Fähigkeiten. Ich habe so viele Lehrer in meiner Schulzeit kennengelernt, denen genau das abging, und dadurch wurden auch die Schulstunden zur Qual. Die Lehrer, die rhetorisch gut drauf waren, die habe ich auch in Erinnerung behalten.

derStandard.at: Worauf muss bei der Lehrerausbildung wert gelegt werden?

Bielendorfer: Ich habe sechs Semester lang Deutsch studiert und die ersten Semester damit verbracht, irgendwelche altdeutschen Gedichte zu entschlüsseln. Es wird kein Wert auf Didaktik und Beibringen gelegt. Wir wurden dann irgendwann nach einem Kurzseminar vor eine Klasse gestellt und sollten unterrichten.

Ich glaube, dass die Lehrerausbildung sehr viel mehr an der wirklichen Lehrertätigkeit orientiert sein sollte. Zum Beispiel lernen GrundschullehrerInnen höhere Algebra, die sie nie wieder brauchen werden, anstatt die Zeit dafür zu verwenden, sich wirklich mit Kindern zu beschäftigen.

derStandard.at: Didaktik ist wichtiger als Wissen?

Bielendorfer: Das ist sehr kurzgefasst. Es heißt nicht, dass wir verblödete Halbpädagogen in den Beruf schießen sollten. Ich bin der Meinung, dass ein Gleichgewicht herrschen sollte. Natürlich ist Didaktik wichtig. Was hat man von all dem Wissen von Lehrern, wenn sie es nicht vermitteln können?

derStandard.at: Ihre Eltern haben Ihnen ja auch davon abgeraten, Lehrer zu werden. Üben sie ihren Beruf dennoch mit Leidenschaft aus?

Bielendorfer: Mein Vater ist Vollblutlehrer. Bedauerlicherweise endet diese Ära nächste Woche, da ist nämlich sein letzter Schultag. Ich glaube, dass er da sehr gemischte Gefühle hat. Auf der einen Seite freut er sich auf seinen Ruhestand, auf der anderen Seite ist er so gerne Pädagoge, dass er gar nicht anders kann. Ich mache mich schon darauf gefasst, dass alles, was ich tue, korrigiert wird, weil er sonst keinen hat.

derStandard.at: Was haben Ihre Eltern zur Buchveröffentlichung gesagt?

Bielendorfer: Sie haben eine Menge Humor, deshalb waren sie glücklich darüber. Natürlich freuen sie sich über den Erfolg. (Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 25.1.2012)