Auf der Suche nach dem richtigen Weg für Amerikas Außenpolitik im Umgang mit der Herausforderung der demokratisch legitimierten Führungsrolle islamistischer Parteien als Folge der Arabischen Revolution.

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Einige Nachrichten der letzten Woche haben deutlich gemacht, mit welchen Herausforderungen Amerikas Politik gegenüber den islamistischen Parteien konfrontiert ist, die sich als frühe Nutznießer der Aufstände in den arabischen Ländern entpuppten. Da war zunächst der Bericht über das Treffen zwischen dem stellvertretenden Außenminister Bill Burns und dem Vorsitzenden der Muslimbruderschaft Muhammad Morsi am 11. Jänner, bei dem Morsi erklärte, dass seine Partei "an die Wichtigkeit der US-ägyptischen Beziehungen glaube", nur müssten sie "ausgeglichen sein".

Zwei Tage später erschien ein Report des Middle-East-Media-Research-Instituts, über jüngste Eintragungen auf der Website der Bruderschaft. Darin hieß es, dass die Seite Artikel mit antisemitischen Motiven enthalte, einschließlich Holocaust-Leugnung und abwertenden Beschreibungen des "jüdischen Charakters" . Darunter fänden sich auch Mordaufrufe gegen Zionisten und Lobpreisungen des Terroranschlags auf die israelische Botschaft in Kairo vom 9. Seotember 2011- den ein Beitrag gar als "Meilenstein der ägyptischen Revolution" bezeichnete.

Und dann war da noch die Nachricht über Naguib Sawiris - ägyptischer Medienmogul, koptischer Christ und Mitgründer einer der neuen säkularen ägyptischen Parteien -, der der Religionsverhöhnung angeklagt wurde, weil er im vergangenen Juni Bilder von Mickey Mouse mit Vollbart und Minnie Mouse mit Burka zeigte.

Es gibt zwei Arten, diese Meldungen zu lesen: Die eine ist, dass die Bruderschaft und andere Islamisten die naiven Ausländer austrickst, indem sie sie mit Worten füttern, die sie hören wollen. Die andere ist, dass die Islamisten nie damit gerechnet haben, eine dominierende Rolle im neuen Parlament einzunehmen und dass sie nun austesten, wie sie ihre Ideologie mit all ihren neuen Verantwortlichkeiten auf einen Nenner bringen können.

Meiner Ansicht nach trifft beides zu. Wir sollten das Aufkommen der islamistischen Parteien weder mit lässigen Happy-Talk abtun (à la "Ich bin ihnen begegnet, sie scheinen alle in Ordnung zu sein" ), noch in Determinismus verfallen ("Lest nur was, was sie auf Arabisch sagen; natürlich haben sie einen Geheimplan zur Machtergreifung" ).

Liebe Happy-Talk-Abteilung, bitte erzählt mir nicht, dass die türkische AKP beweist, dass niemand eine demokratische Machtübernahme der Islamisten fürchten muss. Es gibt vieles, was ich an der AKP bewundere - und die jüngste Äußerung des texanischen Gouverneurs Rick Perry, dass die AKP eine "islamistische Terroristenpartei" sei, ist erschreckend dumm. Aber ich will die AKP als harmonische Verbindung von Islam und Demokratie erst dann anerkennen, wenn ich sehe, wie sie auf Machtverlust reagiert. Das ist der wirkliche Prüfstein. Im Übrigen sitzen derzeit laut einem Bericht des Economist an die 76 Journalisten in der Türkei hinter Gittern - mehr als in China und die meisten unter Terrorverdacht ...

Amerikas Politik muss auf der Einsicht beruhen, dass islamistische Parteien, wie andere Parteien auch, Moderate, Zentristen und Hardliner umfasst. Und welcher Flügel sich in der Regierungsarbeit durchsetzt, ist nach wie vor eine offene Frage. Unsere Haltung gegenüber den Islamisten sollte daher verbindlich, besonnen und geduldig sein - und signalisieren: "Wir glauben an freie und faire Wahlen, an Menschenrechte, freie Marktwirtschaft, zivile Kontrolle der Militärs, religiöse Toleranz und den ägyptisch-israelischen Friedensvertrag - und wir bieten jedem Beistand an, der diese Prinzipien akzeptiert."

Ägypten ist nicht der Iran, sowenig die Muslimbrüder eine islamische Version christlicher Demokraten sind. Da ist ein evolutionärer Prozess im Gange, und die beste Möglichkeit für uns, davon zu profitieren, ist, deutlich zu machen, dass wir mit den Islamisten grundsatztreu umgehen - ebenso wie mit der ägyptischen Armee. Denn auch die ist erst auf der Suche nach ihrer Rolle in diesem neuen Ägypten - und nach einem Ausgleich zwischen dem Wunsch, ihre ökonomischen Interessen zu schützen, jegliche Verfolgung für die Tötung von Demonstranten abzuwenden und ihren Status als Wächter der ägyptischen säkularen Tradition aufrechtzuerhalten. Zu hoffen wäre, dass die Armee eine ähnlich konstruktive Rolle spielt wie einst die türkische - als Geburtshelfer und Beschützer einer schrittweisen demokratischen Transformation - und nicht zu einer Kopie der pakistanischen Armee wird, die sich in einen räuberischen Exekutor einer aggressiven Außenpolitik verwandelt hat, um ihr riesiges Budget zu rechtfertigen. - Kurz gesagt: Die Tage, in denen sich unser Umgang mit Ägypten auf einen Anruf bei einem Mann beschränkte, sind vorbei. Wir müssen uns auf eine Situation einstellen, die gegenüber einer Vielzahl von Playern höchstes diplomatisches Fingerspitzengefühl erfordert - und das sieben Tage die Woche. (DER STANDARD, Printausgabe, 25.1.2012)