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SMS-Schreiben lässt die Rechtschreibkenntnisse verkümmern, meinen viele. Eine Studie kommt zu einem anderen Ergebnis.

Foto: reuters/LEHTIKUVA

"jo fein aber jetzt tusas dann mal mitn posten", "u sowas in der prüfungszeit! :-D", "ois guade!!": Das sind ein paar Auszüge aus Kommentaren, Pinnwandeinträgen und Statusmeldungen auf Facebook. In neuen Medien wird auf Groß- und Kleinschreibung, Satzzeichen und Rechtschreibung generell wenig Rücksicht genommen. Wie eine Studie ergeben hat, hängen die Rechtschreibkenntnisse der Jugend allerdings nicht mit den neuen Medien zusammen. Auch dass die Rechtschreibkenntnisse generell abnehmen, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. 

"Fetzenliteratur"

Schlechte Rechtschreibkenntnisse sind in den Schlagzeilen der Tageszeitungen immer wieder ein Thema. So haben die orthografischen Kenntnisse von Polizei-Anwärtern dazu geführt, dass die Volkshochschule in Vorarlberg einen Kurs im Rechtschreiben als Vorbereitung für die Prüfung anbietet. Selbst Maturanten, die Lehrer werden wollen, haben Probleme, die Prüfung für das Studium zu bestehen, weil sie zu schlecht rechtschreiben. Der Vorsitzende des Rechtschreibrates in Deutschland hat für das Problem eine einfache Lösung parat: Die "Fetzenliteratur" auf Twitter und in SMS bedroht nach Ansicht von Hans Zehetmair die Sprachkompetenz junger Leute. 

Nicht nur Jugendliche betroffen

So simpel ist es nicht. Grundsätzlich falsch sei die These deshalb, weil Twitter vor allem von Erwachsenen und nicht von Jugendlichen genutzt werde, sagt Christa Dürscheid von der Universität Zürich, die sich vor allem mit neuen Medien und deren Auswirkungen auf die deutsche Sprache beschäftigt. "Wahrscheinlich hat Zehetmair vor allem SMS gemeint und nicht genau gewusst, wovon er da spricht", sagt sie im Gespräch mit derStandard.at. Doch auch bei SMS würden Erwachsene und nicht nur Jugendliche Abkürzungen verwenden, um sich Tippaufwand zu ersparen.

Alltagskommunikation

"Wenn Zehetmair jetzt sagt, das ist Fetzenliteratur, muss man sagen, dass das gar keine Literatur ist. Das ist Alltagskommunikation", führt Dürscheid aus. Wie man schreibt und ob man die Regeln der Rechtschreibung beachtet, hängt demnach vor allem damit zusammen, ob es sich um einen formellen Text handelt oder ob man mit einer vertrauten Person kommuniziert. "Informeller Text ist oft an eine vertraute Person gerichtet, und da kann man davon ausgehen, dass eine gewisse Toleranz da ist. Wenn eine Nachricht über das Handy kommt, dann ist die auch unter bestimmten Bedingungen geschrieben. Das heißt, man ist selbst auch toleranter gegenüber Fehlern und es passiert einem selbst auch eher, dass man Fehler macht", erklärt die Sprachwissenschaftlerin.

Kein Zusammenhang mit neuen Medien

In einer Studie hat Dürscheid untersucht, ob Jugendliche zwischen dieser Alltagskommunikation und formellen Texten unterscheiden können. Das Ergebnis: Sie können. "Wir haben Texte, die Schüler in ihrer Freizeit in den neuen Medien verfasst haben, mit solchen Texten verglichen, wie sie in der Schule geschrieben werden müssen. Wir konnten feststellen, dass Merkmale, die für die neuen Medien typisch sind - also Kleinschreibung, Abkürzungen, Smileys -, verschwindend gering sind." Einen Zusammenhang zwischen schlechten Rechtschreibkenntnissen und neuen Medien gibt es dieser Studie zufolge also nicht. 

Rechtschreibleistungen sinken

Das beweist allerdings noch nicht, dass die Rechtschreibkenntnisse generell nicht doch abnehmen. Laut Reinhard Kargl, Leiter des Lese- und Rechtschreibinstitutes in Graz, gibt es Studien, denen zufolge Testpersonen heute schlechter rechtschreiben als in den 1970er-Jahren. "Während die Intelligenz meist um ein paar Prozentpunkte steigt, sinken die Leistungen in der Rechtschreibung", so Kargl. Ein Grund dafür könne sein, dass in Schulen manchmal die Rechtschreibung nicht mehr so wichtig genommen werde. "In der Schule gilt oft, dass es wichtiger ist, dass die Schüler gut schreiben können und intelligent sind. Trotzdem ist es in der Schul- und der Berufswahl immer noch so, dass sehr viel von der Rechtschreibleistung abhängt", erklärt er.

Zu wenig Zeit in der Schule

Ein Faktor, der bei schlechten Rechtschreibkenntnissen mitspiele, sei auch, dass weniger Zeit darauf verwendet werde, die Grundfertigkeiten abzusichern. Zudem seien die Anforderungen an die Schüler beim Lesen und Schreiben stark gestiegen. "Im beruflichen Umfeld ist es heutzutage so, dass jeder mit Lesen und Schreiben konfrontiert wird", sagt Kargl.

Mehr Personen müssen rechtschreiben können

Kann man also sagen, dass die Rechtschreibkenntnisse vielleicht gar nicht schlechter geworden sind, sondern einfach von mehr Personen gute Rechtschreibung gefordert wird? "Da steckt sicher eine Wahrheit drinnen. Das wiederum würde aber nicht erklären, warum Österreich im Vergleich zu anderen Ländern hier besonders schlecht abschneidet", so Kargl. Auch die schlechter werdenden Ergebnissen, die Lehrer- und Polizei-Anwärter bei Prüfungen erbringen, könnten so erklärt werden. "Da ist die Frage, ob die Leute wirklich schlechter geworden sind oder ob sich einfach mehr Leute anmelden. Das hat sich alles sehr stark verändert, auch durch die Soziodemografie, die dahintersteckt", meint Kargl.

"Heilige Kuh" Groß- und Kleinschreibung

Lösen könnte man das Problem vieler Rechtschreibfehler möglicherweise durch eine Vereinfachung der Regeln. Christa Dürscheid von der Universität Zürich dazu: "Ein Argument dafür wäre, dass die Kinder, die die Rechtschreibung lernen, es dann viel einfacher haben." Sie glaubt aber nicht daran, dass "in den nächsten 50 Jahren" an der Groß- und Kleinschreibung gerüttelt wird. "Das ist eine heilige Kuh", so Dürscheid.

"Es wäre eben viel einfacher, wenn man alle Substantive kleinschreiben würde. Aber wir Alt-Schreiber haben diese Regeln verinnerlicht, da sind wir alle sehr konservativ. Das Schreiben ist eine Art der Identität. Das hat man gelernt, da möchte man die Rechtschreibung in dieser Art und Weise bewahren", erklärt sie die tiefe Abwehr gegen Änderungen der Rechtschreibregeln.

Rechtschreibung als Statussymbol

Dass die Rechtschreibung und deren Reform auch an Stammtischen und in Internetforen heftig diskutiert werden, erklärt die Sprachwissenschaftlerin auch damit, dass Rechtschreibung für viele ein Ausdruck von Bildung ist. "Wer viele Schreibfehler macht, hat eine mangelnde Bildung" - das sei eine Korrelation, die oft gemacht werde. Kargl erklärt die ablehnende Haltung gegenüber Rechtschreibreformen ebenfalls damit, dass sie ein "Bildungsstatussymbol" sei: "Ob ich ein exzellenter Mathematiker bin oder ein sehr gutes Fachwissen habe, zeigt sich erst auf den zweiten Blick." (Lisa Aigner, derStandard.at, 26.1.2012)