Die Satirezeitung Uykusuz porträtiert Regierungschef Tayyip Erdogan mit der "beyaz bere". Die weiße Mütze ist ein Kennzeichen der Ultranationalisten und wurde auch von Ogün Samast getragen, als er 2007 auf Hrant Dink feuerte und ihn tötete.

Foto: Uykusuz

Bevor Ankara seine Strafexpedition Richtung Frankreich in Marsch setzt, noch ein Blick auf die große innenpolitische Debatte in der Türkei: Die türkische Regierung hat verärgert auf das Urteil im Hrant-Dink-Prozess von vergangener Woche reagiert und weiß sich einig mit dem Teil der Intellektuellen und Bürgerrechtler im Land, die demonstrieren gingen und eine Neuverhandlung erwarten, um die Auftraggeber dieses politischen Mordes zu enthüllen. 18mal Freispruch in der Mordfrage, eine Haftstrafe für den Beschaffer der Mordwaffe und die Einschätzung des Gerichts, dass es keinen Komplott und keinen großen Plan gegeben habe, lassen den türkischen Regierungschef Tayyip Erdogan gleichwohl komisch aussehen, so entschied die Satirezeitung Uykusuz. Sie zeigte auf ihrer Titelseite einen Erdogan mit einer Kopfbedeckung, die auf den ersten Blick an einen ausgehöhlten Kürbis erinnert.

Der Gastronomiekenner würde das Gemüse unschwer als "Türkenturban“ oder auch "Bischofsmütze“ identifizieren, der sich schmackhaft füllen und im Ofen schmoren lässt. In Wahrheit aber geht die Karikatur von Erdogan mit der Kopfbedeckung in eine ganz andere Richtung. Ogün Samast, der Teenager aus Trabzon, trug eine weiße Mütze, als er vor fünf Jahren – am 19. Jänner 2007 – in Istanbul auf Hrant Dink feuerte und ihn tötete. Der "beyaz bere“, die weiße Mütze, ist ein Kennzeichen der Ultranationalisten und der einst militant antikommunistischen, weit rechts stehenden „Kontraguerilla“, die sich in den 1970er-Jahren in der türkischen Armee und im Geheimdienst formierte und als Teil der nebulösen "Gladio“-Organisation in den NATO-Staaten galt.

Erdogan im Kostüm des Mörders zu zeigen und ihn sagen zu lassen: "Steht mir gut, was!“, ist also ziemlich starker Tobak. Die Erklärung dafür liefert Uykusuz auch auf der Titelseite: Die AKP-Regierung hat jenen Gouverneur von Istanbul, der Hrant Dink einst bedroht haben und ihn vor weiteren kritischen Artikeln gewarnt haben soll, zum Abgeordneten gemacht – es handelt sich um Muammer Güler. Sie hat auch jenen Polizeichef zum Gouverneur gemacht, der erklärte, hinter dem Dink-Mord stünde keine Geheimorganisation, es gäbe nur ein "nationalistisches Gefühl“. Erdogan und seine Regierung würden also jene befördern und entlasten, die in diesen Mord verwickelt sein, behauptet die Satirezeitung.

Wie verwoben der Mordfall Dink mit den angeblichen Umsturzplänen und Destabilisierungsversuchen von Armeekreisen und mit dem Eigenleben der Polizei ist, zeigt ein sehr interessantes Interview, das die Europäische Stabilitätsinitative (ESI) in Istanbul vergangenen Herbst mit dem Anwalt Orhan Kemal Cengiz führte. Cengiz stellt in dem Interview, das in drei Teilen auf YouTube zu sehen ist, seine Theorie über den Grund der steckengebliebenen Ermittlungen im Mordfall Dink vor. Die offensichtliche Verstrickung von Polizei (Innenministerium) und Gendarmerie (Teil der Armee) in den Mord werde nicht aufgedeckt, weil die türkische Polizei mauert. Der Geheimdienst der Polizei wusste von dem Mordplan der Gendarmerie und beobachtete den – illegalen – Geheimdienst der Gendarmerie. Das soll nicht an den Tag kommen:

(Minute 09:40) "This illegal branch of gendarmery prepared the groundwork, but also police intelligence put a blind eye on everything. It is impossible for them to not see that an ultranationalist group tried to penetrate a handfull of protestants community whose activities were so closely watched. This is impossible. How can we test my theory? After the Malatya massacre police stopped in Samsun similar murders, were prevented, in Izmir, in Diyarbakir, in Mersin. My theory is that police intelligence was watching was the illegal gendarmery intelligence was doing. They knew everything but they were not concerned with it because they were also under the influence of this huge nationalist propaganda. … In Hrant Dink and Malatya case is the involvement of the police by not acting on intelligence. They have their own shame on the hands.“ (derStandard.at, 24.1.2012)