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In der Zeitschrift "juridikum" stellte Nina Eckstein vor kurzem die Frage, ob der Feminismus auch Männer ansprechen soll. Ich möchte an diese Thematik anknüpfen und die Frage ein wenig umdrehen: Kann ein Mann genauso Feminist sein wie eine Frau?

Männer nicht ausschließen

Feminismus kann viele Bedeutungen haben. Auf der einen Seite ist Feminismus ein politisches Unterfangen, eine Ideologie – Feminismus kann aber auch als identitätsstiftendes und Selbstbewusstsein spendendes Moment empfunden werden.

Pragmatisch gesehen macht es wenig Sinn, Männer von einem politischen Feminismus auszuschließen; 50 Prozent der Gesellschaft von der Transformation derselben fernzuhalten erscheint wenig zielführend. Wenn Feminismus eine Gleichstellung von Mann und Frau anstrebt, heißt das nicht nur, dass Frauen in traditionell männliche (Macht-)Sphären eindringen müssen; Männer müssen auch bereit sein, Aufgaben zu übernehmen, die bisher als typisch weiblich galten. Ein Beispiel dafür ist die Elternkarenz: Erst wenn auch Väter sich beteiligen – und aktiv angesprochen und einbezogen werden -, kann das zu einer Entlastung der Mütter und somit zu einer gerechten Aufteilung der Kindererziehungszeiten führen.

Ein wenig komplexer wird es, wenn Feminismus als Teil einer (weiblichen) Identität begriffen wird; etwa indem er Frauen ein neues Selbstverständnis zur Hinterfragung und Brechung traditioneller Strukturen vermittelt. Dieses Verständnis ist eng verknüpft mit der Annahme, dass viele Frauen ähnliche Erfahrungen teilen oder zumindest vergleichbaren (Diskriminierungs-)Situationen ausgesetzt sind. Männer – als automatisch nicht Betroffene oder sogar als Teil des Problems – stehen hier per definitionem auf der anderen Seite.

Vorerst klingt das alles ja recht einleuchtend: Patriarchale Sozialisierung hat eben einen Einfluss auf unsere Persönlichkeit und unsere Handlungsweisen; die Begünstigten des Systems – sprich: die Männer – können oft individuell auch gar nichts dafür. Dennoch können sie die gesellschaftlichen Strukturen nicht eigenmächtig überwinden, ob sie wollen oder nicht.

Authentisches Frausein – authentisches Mannsein

VertreterInnen eines postmodernen Feminismus würden eventuell erwidern, dass sich in diesem Konzept ein gewisser Essenzialismus verstecke. Im Endeffekt werde hier ja eine authentische weibliche Erfahrung suggeriert, die ein Mann nicht teilen könne – egal ob das jetzt auf die Biologie oder auf die Sozialisierung geschoben werde. Und in einer Zeit, in der Gender-Stereotype systematisch aufgebrochen werden und ein "authentisches Frausein" genauso hinterfragt gehört wie ein "authentisches Mannsein", habe so eine Ansicht keinen Platz mehr.

Dagegen könnte vorgebracht werden, dass es ja nicht darum gehe, dass sich Frauen aufgrund eines metaphysischen "Frauseins" zusammenrotten sollten; dennoch gäbe es etwas, das die Gruppe der Frauen von der der Männer unterscheidet: und zwar das Risiko, aufgrund des Geschlechts diskriminiert zu werden. Dabei gehe es womöglich gar nicht so sehr um die Empfindung der Diskriminierten als vielmehr um die Motivation der Diskriminierenden. Frauen bilden also eine Art Schicksalsgemeinschaft, in der die einzelnen Mitglieder vor allem dadurch verbunden sind, dass sie ähnlichen Gefahren ausgesetzt sind.

Gibt es "neutral" überhaupt?

Aber selbst dieses Konzept ist nicht gar so einleuchtend, wie es auf den ersten Blick scheint. Was ist denn als Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu verstehen? Und sind tatsächlich nur Frauen die Leidtragenden?

Zunächst wird hier das Risiko der Diskriminierung mit dem Frausein verbunden – und zwar nicht mit "weiblichen Verhaltensweisen" (Gender), sondern tatsächlich mit dem biologischen Geschlecht (Sex). Denn selbst wenn ein (sagen wir, heterosexueller) Mann behaupten würde, er fühle sich persönlich von sexistischen Ansichten betroffen, würde ihm mit Verweis auf sein Geschlecht die Möglichkeit, ein Diskriminierungsopfer zu sein, – und damit oft auch die Fähigkeit zur Betroffenheit – abgesprochen. Denn wie soll ein Mann verstehen, wie es sich etwa für eine Frau anfühlt, in der U-Bahn betatscht zu werden?

Ohne einen solchen Übergriff verharmlosen zu wollen, sollten wir vorschnelle exklusive Kategorien mit Skepsis betrachten, denn a) nicht jede Frau wird im Laufe ihres Lebens in der U-Bahn belästigt; b) unterschiedliche Frauen verarbeiten diese Erfahrung auf sehr verschiedene Weise – während es für einige eine traumatische Verletzung ihrer Würde bedeutet, ist es für andere vielleicht lediglich eine lästige Störung -, und c) auch Männer werden manchmal in der U-Bahn belästigt; und auch da empfinden das manche eventuell als nicht so tragisch, während andere sich tiefgreifend verletzt fühlen. Mit wem hat also eine Frau, die einer sexuellen Belästigung ausgesetzt war, mehr gemeinsam – mit einer anderen Frau, der nichts Vergleichbares passiert ist – oder mit einem Mann, der ebenfalls eine derartige Erfahrung machen musste? Auch wenn ohne Zweifel Frauen wesentlich öfter derartigen Übergriffen ausgesetzt sind als Männer – ist das Grund genug, jeden Mann per se, nur aufgrund seines Geschlechts, als nicht betroffen zu definieren?

Katherine Franke von der Columbia Law School etwa weist darauf hin, dass das Unrecht einer Diskriminierung nicht nur am (biologischen) Geschlecht anknüpfen dürfe. Vielmehr handle es sich auch dann um eine Diskriminierung, wenn jemand aufgrund seiner Verhaltensweisen unfair behandelt werde. Ein Beispiel dafür wäre etwa ein Mann, der von seinen Arbeitskollegen gemobbt wird, weil er sich "weibisch" verhält.

Ein Bub mit pink lackierten Nägeln? Niemals!

Außerdem hat die Ungleichbehandlung der Geschlechter Auswirkungen weit über konkrete Diskriminierungs-Situationen hinaus. Dominanzfeminismus-Ikone Catharine MacKinnon hat argumentiert, dass Situationen, die wir als "neutral" empfinden, oft stark geprägt sind von unsichtbaren männlichen Dominanzstrukturen. Im Kampf gegen diese Strukturen scheinen die Seiten klar verteilt – die Unterdrückten (ergo die Frauen) gegen die Machterhalter (ergo die Männer). Aber fühlen sich tatsächlich alle Männer von diesen unsichtbaren Prämissen ermächtigt? Genau wie Frauen sind auch Männer im Netz patriarchaler Erwartungen gefangen. Dass dadurch auch die persönliche Entfaltung eines Mannes beschränkt werden kann, zeigt der Fall von Jenna Lyons, Creative Director der US-Kaufhauskette J. Crew, die in einer Annonce bei einem entspannenden Nachmittag mit ihrem jungen Sohn abgelichtet wurde. Die Annonce zog einen Mediensturm der Entrüstung nach sich: Der Bub hatte pink lackierte Zehennägel. Darf ein Bub denn das?

Die Essenzialismus-Falle

Jedes Bild von Weiblichkeit, das eine Frau als sozial kompetent, aber wenig durchsetzungsfähig zeichnet, wird durch ein Bild komplementiert, das einen Mann als ehrgeizig, aber wenig einfühlsam karikiert. Insofern hat MacKinnon wohl recht, wenn sie die Gesellschaft von patriarchalen Mustern durchzogen sieht; aber daraus folgt nicht notwendigerweise eine Formulierung des Geschlechterkampfs als "Frauen gegen Männer". Auch viele Männer haben ein Problem mit dem Patriarchat. Wenn wir das Geschlecht einer Person mit ihren vermeintlichen Absichten oder einer automatischen Parteiergreifung für die eine oder andere Seite verknüpfen, tappen wir schon wieder in die Essenzialismus-Falle.

Wenn Feminismus als Hinterfragung von herrschenden Gender-Strukturen definiert wird – dann steht Feminismus als Identität jeder und jedem zu, die oder der das Bedürfnis hat, zur Aufbrechung simplifizierter Narrative beizutragen. Auch Männer haben allen Grund, sich betroffen zu fühlen. Whoever wants to dance at the revolution – welcome! (Marion Guerrero, derStandard.at, 24.1.2012)