Dringend gesucht ist ein Ausstiegsszenario, das alle das Gesicht wahren lässt.

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Der Westen und der Iran spielen ein gefährliches Spiel. Der Iran hat gedroht, die Straße von Hormus zu sperren, und die USA davor gewarnt, einen Flugzeugträger zurück in den Persischen Golf zu schicken. Die USA haben darauf, wie zu erwarten, mit der Aussage reagiert, ihre Flugzeugträger könnten und würden überall patrouillieren, wo dies zur Förderung der Freiheit der Meere erforderlich sei.

Vielleicht kennen Sie das Spiel "Chicken". Dabei fahren zwei Autos mit Höchstgeschwindigkeit aufeinander zu; entweder einer der beiden Fahrer kriegt es mit der Angst zu tun und schert aus (und ist dann ein "Chicken", das heißt Feigling), oder beide kollidieren und gehen in Flammen auf. Die Staatengemeinschaft kann nicht tatenlos abwarten, wie dieses Spiel in dieser für die weltweite Energieversorgung lebenswichtigen Region ausgeht. Es ist Zeit, dass sich Dritte einschalten und helfen, Lösungen herbeizuführen, die es dem Iran erlauben, sein Gesicht zu wahren und zugleich seinen Bestand an angereichertem Uran deutlich und glaubwürdig zu reduzieren.

Wir wissen nicht, ob der Iran plant, den Weg der Produktion einer Atomwaffe bis zum Ende zu gehen. Aber das Land verstößt klar gegen seine Verpflichtungen gemäß dem Atomwaffensperrvertrag. Seine anhaltende Missachtung dieser Verpflichtungen ist dabei, den gesamten Nahen Osten zu destabilisieren - mit ernsten Auswirkungen auf die globale Sicherheit.

Zwar könnte man die iranische Regierung wohl vom Einsatz einer Atomwaffe abhalten, doch ist es durchaus möglich, dass der Preis eines über Atomwaffen verfügenden Iran ein regionales Wettrüsten wäre - mit einer nuklearen Aufrüstung Saudi-Arabiens, möglicherweise gefolgt von der Türkei und Ägypten, ein Schreckensszenario in einer Region, die weltweit die Ölpreise bestimmt.

Der Versuch, den Iran durch stetig verschärfte Sanktionen zum Einlenken zu zwingen, hat nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht. Obwohl man die wirtschaftliche Schlinge immer weiter zugezogen hat, sind viele Atomexperten überzeugt, dass der Iran sehr nah vor der Anreicherung einer zum Bau einer Atombombe ausreichenden Menge Urans steht.

Aber wie sonst können USA, EU und Vereinte Nationen klarmachen, dass die "internationale Gemeinschaft" meint, was sie sagt? Die Logik ist schon zwingend; nur lässt der gegenwärtige Kurs der iranischen Regierung keine andere Möglichkeit zu, als entweder öffentlich klein beizugeben, was sie nicht tun wird, oder ihre Provokationen zu verstärken. Welche Regierung will schließlich als Feigling dastehen?

In den USA hat der führende Präsidentschaftskandidat der Republikaner, Mitt Romney, kürzlich erklärt: "Wenn ihr mich zum Präsidenten wählt, wird der Iran keine Atomwaffen haben." Rick Santorum sagte, dass er "Luftschläge anordnen" würde, falls "klar würde, dass (der Iran) Atomwaffen bekäme". Daher ist dies nicht der Zeitpunkt für Präsident Barack Obama, nachzugeben.

Mehr Angst als Provokation

Die iranische Politik ist sehr viel schwerer einzuschätzen. Im Machtkampf zwischen Präsident Mahmud Ahmadi-Nejad und dem Obersten Führer Ali Khamenei dürften beide eher versuchen, den anderen durch ostentative Härte auszustechen, als Zugeständnisse gegenüber dem Westen vorzuschlagen. Zudem weisen viele iranische Analytiker darauf hin, dass Khamenei und sein innerer Kreis überzeugt sind, dass sich die USA auf einen Regimewechsel versteift haben - und bereit sind, Gewalt einzusetzen. Daher sollte man die iranischen Raketentests, die Drohungen, die Straße von Hormus zu sperren, und Ankündigungen über nukleare Fortschritte eher als Abschreckungsversuche denn als Provokationen auffassen.

Es ist Zeit, dass sich kühlere Köpfe mit einer Strategie durchsetzen, die dem Iran hilft, einen Schritt zurück zu tun. Die zentralen Akteure sind Brasilien und die Türkei, deren Regierungen bereits im Mai 2011 eine zeitlich schlecht abgestimmte Übereinkunft mit dem Iran aushandelten, laut der das Land 1.200 Kilo schwach angereichertes Uran an die Türkei abgeben und im Gegenzug 1.200 Kilo mittelstark angereichertes Uran für medizinische Forschungszwecke in einem Teheraner Reaktor erhalten sollte.

Diese Übereinkunft zerbrach schnell, doch es könnte Zeit sein, einen neuen Versuch zu wagen. Eine neue Übereinkunft müsste vermutlich über den im Mai 2011 vorgeschlagenen Tausch hinausgehen, aber es gibt andere Möglichkeiten. Man könnte die Gleichung um Ägypten und Katar erweitern und die UNO hinzuziehen, um als Schirmherrin einer regionalen Nuklearbrennstoffbank zu fungieren, zu der der Iran den ersten Beitrag leisten würde. Man könnte Südkorea (einen wichtigen Kunden von iranischem Öl) und Russland einbeziehen und beginnen, die Möglichkeiten einer globalen Brennstoffbank zu erkunden. Und man könnte dafür sorgen, dass alle Länder in der Region die Grundregeln der Freiheit der Meere bestätigen - auf eine Weise, die es ihnen erlaubt, zu behaupten, sie seien in ihrem Handeln bestätigt worden.

Wo der politische Wille besteht, der anderen Seite ausreichend Spielraum zu lassen, um eine Einigung zu erreichen, lassen sich kreative Lösungen finden. Aber Diplomaten wissen, dass Krieg der Demütigung vorzuziehen sein kann; darum ist Gesichtswahrung genauso wichtig wie die Drohung mit Gewalt - und darum sollten sich andere Länder einschalten und für den Spielraum sorgen, den beide Seiten brauchen, um einen Frontalzusammenstoß zu vermeiden. (DER STANDARD, Printausgabe, 24.1.2012)