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Dass die Isländer schräg drauf sind, wurde hierzulande immer schon vermutet. Nobel gespeist wird etwa im Heizkraftwerk

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Info: Perlan

In einem Restaurant zu speisen, das zwischen Heißwassertanks eingebettet ist, mag nicht sonderlich attraktiv erscheinen. Doch "Perlan", die Perle, ist innerhalb weniger Jahre zu einer der exklusivsten Gourmetadressen in Reykjavík geworden, und zwar nicht trotz, sondern gerade wegen seiner Lage.

Auf dem Hügel Öskjuhlið im Zentrum der isländischen Hauptstadt erhebt sich das Perlan-Ensemble aus sechs mächtigen Edelstahltanks, von denen jeder sechs Millionen Liter Wasser von 87 Grad Celsius fasst, das Ganze von einer gewaltigen Glaskuppel überwölbt. Von verschiedenen Bohrstellen in der Stadt wird das Wasser hierhergepumpt und betreibt von hier aus die Heizungsanlagen der 120.000 Einwohner von Reykjavík. Längst ist der Perlan-Komplex zu einem Wahrzeichen der isländischen Hauptstadt geworden, wie es schon lange die mächtige Hallgrímskirche in der Stadtmitte war.

In fünf Etagen sind die Zwischenräume zwischen den Tanks genutzt, die beiden oberen Etagen beherbergen das Restaurant, wobei die oberste Etage als Drehrestaurant gestaltet ist. So bietet sich ein faszinierender Blick auf die Stadt und die hinter ihr liegenden Gletscher und Berge.

Schon im Februar sind auf Island die Tage länger hell als in Mitteleuropa. Dazu beschert der Golfstrom, der als wundersame Zentralheizung der Natur an Islands Küsten vorbeifließt, der Feuerinsel im Nordmeer ein erstaunlich mildes Klima. Und wenn es doch einmal friert in Reykjavík, braucht niemand beim Einkaufsbummel in der Laugavegur oder der Bankastigu, zwei besonders stark besuchten Einkaufsstraßen, zu befürchten, auf Schnee und Eis auszurutschen. Die Gehsteige sind beheizt mit fast kochend heißem Wasser aus den Perlan-Tanks! Die Heizschlangen, die in den Gehsteigen der wichtigsten Straßen verlegt wurden, sind Bestandteil des mehr als 1200 Kilometer langen Leitungsnetzes, durch das das Heißwasser dieses weltweit einzigartigen Heizungssystems fließt. Diese Art von Heizung hat übrigens zur Folge, dass Reykjavík die einzige Hauptstadt der Welt sein dürfte, in der es keine Rauchfänge auf den Dächern, weil keine Feuerungsanlagen in den Häusern gibt. Entsprechend sauber ist die Luft.

Mehr als 50 Prozent der isländischen Bevölkerung leben heute in Reykjavík, das zu den kleinsten Hauptstädten souveräner Staaten in Europa zählt. Doch die "Rauchbucht", wie der Name zu übersetzen ist, hat nichts Großstädtisches an sich. Es gibt weder einen Bahnhof noch eine Straßenbahn, keine Wolkenkratzer bestimmen die Silhouette der Stadt, deren Häuser immer noch vielfach aus Holz gebaut und bunt angestrichen sind.

Auf einem kleinen Hügel mitten in der Stadt steht das unscheinbare Gebäude, in dem Ministerpräsident und Parlament ihren Sitz haben. Unweit davon findet man das Gästehaus der Regierung, in dem 1986 das historische Treffen zwischen Reagan und Gorbatschow stattfand. Das Rathaus der Stadt steht teilweise auf Pfählen im Tjörnin, einem kleinen See, der als Mittelpunkt Reykjavíks gilt. Ist er im Winter zugefroren, stehen Hunderte von Schwänen, Gänsen und Enten auf seinem Eis und warten darauf, dass die Passanten sie füttern.

Die Mär vom angeblich depressiv durch den Winter dahindämmernden Isländer kann man gleich am ersten Abend in Reykjavík als widerlegt erleben. Auch beim schlechtesten Wetter quillt das Stadtzentrum über von Leben, und das bis spät in der Nacht. Hier macht sich natürlich bemerkbar, dass von donnerstags bis sonntags Bars, Cafés, Diskotheken und Clubs nicht mehr an feste Öffnungszeiten gebunden sind. Erstaunlich viele vor allem junge Leute besuchen abends eins der verschiedenen Theater, die Oper, Konzerte, Kinos oder Kunstausstellungen ehe sie sich ins Nachtleben stürzen.

An Bankastigu, Laugavegur oder dem Lækjatorg füllen sich noch spät am Abend die Restaurants, die Cafés genannten Bars, die Pubs. Und oft ist es dann nur schwer möglich, im "Kaffi Reykjavík", dem "Solon Islandus" oder dem "Café Romance" noch einen Platz zu finden. Fast ein Dutzend Restaurants der Stadt muss zur Spitzenklasse gezählt werden. Schwerpunkt der Küche liegt natürlich auf Fisch, Lamm- und Wildgerichten. Walsteaks, Rentiergeschnetzeltes, Schneehuhn oder Papageientaucher sind ausgemachte Köstlichkeiten. Das "Lækjarbrekka" im Zentrum gilt als beliebtes Ziel romantischer Nostalgiefreunde, das Restaurant im Hotel Borg ist ein elegantes Art-déco-Lokal, und sein Pendant im Hotel Holt wirkt mit den Originalgemälden isländischer Künstler an den Wänden wie eine Galerie. (Christoph Wendt/DER STANDARD/Printausgabe/21.01.2012)