Karl Baier

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STANDARD: Die "New York Times" schreibt: Yoga ruiniert den Körper. Was sagen Sie dazu?

Baier: Die Debatte zeigt, wie sehr Yoga ein soziales Phänomen geworden ist. Massenmedien berichten über gesellschaftliche Booms. Das positive Image von Yoga hat sich über die letzten Jahre aufgebaut. Mittlerweile ist Yoga ei- ne Riesenmaschinerie geworden. Journalisten sehen es jetzt als ihre Aufgabe, diesen Boom zu hinterfragen. Genau das ist passiert.

STANDARD: Was macht die Popularität von Yoga aus?

Baier: Yoga war die Antwort auf Bedürfnisse, die in der modernen urbanen Gesellschaft des Westens vernachlässigt wurden. Ziel ist, sich zu entspannen, sich wohl und stark zu fühlen, ja sogar sexuelle Fitness und spirituelle Gipfelerlebnisse sind Themen – Dinge, nach denen sich viele sehnen.

STANDARD: Stimmt es denn nicht?

Baier: Stress, sitzende Tätigkeit, kaum Bewegung, deshalb körperliche Verspannungen: So erleben sich viele. Die Übungen des Yoga bieten einen Gegenpol. Zur Ruhe kommen, loslassen und trotzdem körperlich fit werden, ohne erst recht wieder Höchstleistung bringen zu müssen. Darüber hinaus bietet Yoga aber auch ein säkularisiertes Heilungsritual an.

STANDARD: Inwiefern?

Baier: Weil auch Spiritualität gefördert wird, der Mensch als ganzheitlich betrachtet wird. Jeder sucht sich im Yoga aus, was er braucht. Wer regelmäßig übt, erlebt die Übergänge als fließend.

STANDARD: Ist Yoga quasi ein Religionsersatz geworden?

Baier: Ja. Es ist eine körperorientierte Form, zu sich und dem Ursprung des Lebens zu kommen. Nur ist der Einstieg im Gegensatz zu Religionen sehr niederschwellig, man kann auch ohne jede spirituelle Neigung einsteigen und Yoga praktizieren, ohne sich für die religiöse Dimension zu interessieren.

STANDARD: Kommt es da auf die Yoga-Richtung an?

Baier: Es gibt viele unterschiedliche Schulen. Das Problem ist, dass sie zueinander im Konkurrenzkampf stehen und sich deshalb ihre Methoden vorwerfen. Ich sehe eine starke Differenzierung unter den körperorientierten Richtungen: Da gibt es die, die Workout anbieten, andere haben eher therapeutischen oder meditativen Charakter, wieder andere machen ihre Stunden zu choreografierten Performances. Alles darf sein, es kommt immer auf das Potenzial eines Menschen an.

STANDARD: Wann passieren Verletzungen?

Baier: Durch Überforderung, Über-Ehrgeiz, mangelnde Selbstwahrnehmung. Vor allem bei Anfängern ist das ein Problem. Im Iyengar-Yoga unterscheiden wir komplizierte und komplexe Übungen. Letztere schauen einfach aus, man kann sie aber ein Leben lang üben und perfektionieren. Zum Beispiel: gerade stehen oder sitzen. Durch Yoga passiert eine Aufrichtung des ganzen Menschen. Wer bucklig mit eingefallenen Schultern dasitzt, hat eine andere Einstellung als jemand, der aufrecht und offen im Leben steht.

STANDARD: Wie wichtig ist der Lehrer?

Baier: Gute Ausbildung und Erfahrung sind entscheidend. Yogalehrer sollten das Know-how haben, ihre Schüler vor Verletzungen zu schützen. (Karin Pollack, DER STANDARD, Printausgabe, 23.1.2012