Die Beichtwarnung für St. Stephan kann zurückgenommen werden.

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Zu meinem letzten Blogeintrag (Beichtwarnung für St. Stephan) erreichte mich folgende Nachricht der Erzdiözese Wien, die ich gerne in vollem Wortlaut wiedergebe:

"Sie haben zweifellos Recht, wenn Sie auf die sensible Natur der Beichte hinweisen. Daher hat die Dompfarre - ebenso wie die diözesane Expertenkommission - den von ihnen geschilderten Missbrauchs-Verdachtsfall sorgfältig geprüft, ehe sie dem betreffenden Priester die Fortsetzung seiner Tätigkeit als Beichtvater gestattet hat. Dabei wurde auch berücksichtigt, dass die Vorwürfe sehr lange Zeit zurückliegen und dass es sich eben nicht um Vorwürfe der Pädophilie (also Missbrauch von vorpubertären Kindern - mit hoher Rückfallswahrscheinlichkeit) gehandelt hat. Obwohl es keinerlei Beschwerden über die Beichttätigkeit des Priesters gegeben hat, hat er nun mit der Dompfarre vereinbart, vom Beichtdienst abzusehen, um niemandem ein Ärgernis zu geben."

Nehmen wir das Ergebnis: Es wurde im Sinne des Opferschutzes reagiert. Die Beichtwarnung für St. Stephan kann daher zurückgenommen werden.

Grundsätzlich bleiben aber Fragen offen. Die Erklärung geht nämlich davon aus (oder lese ich das falsch?), dass der Rückzug des Priesters eigentlich nicht notwendig gewesen wäre. Eine Maßnahme nur wegen der lästigen Medien? Warum war dann aber - wie im letzten Blogeintrag gefragt - im konkreten Fall ein Rücktritt als Pfarrer angezeigt, wenn ein Beichtdienst verantwortbar scheint?

Eine weitere Besonderheit: Während die Vorgaben Roms (Rundschreiben der Glaubenskongregation vom 3. Mai 2011) und auch die Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz (vom 23.8.2010) einheitlich den sexuellen Missbrauch von Jugendlichen (unter 18 Jahren) ansprechen und Täter in diesem Bereich immer von künftiger Jugendarbeit ausschließen, schränken die Österreichischen Leitlinien häufig auf pädophile Übergriffe ein, die als Taten gegen vorpubertäre Jugendliche definiert werden. Damit ist der Opferschutz viel schwächer ausgestaltet.

Auch versucht die Deutsche Bischofskonferenz die Lücke für nicht aufgeklärte Fälle ausdrücklich zu schließen. Zum einen sollen Gutachten zur Klärung des Sachverhaltes auch dann erstellt werden, wenn die Fälle verjährt sind. Zum anderen werden die Einschränkungen der Dienstausübung in gleicher Weise vorgenommen, wenn eine letzte Klärung nicht möglich ist, aber "tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, die die Annahme eines sexuellen Missbrauches an Minderjährigen rechtfertigen".

Genau hier setzt auch das neue Handbuch "Sexueller Missbrauch in Organisationen" an, das der Wiener Dom-Verlag vergangene Woche vorstellte. Wichtige Passagen aus der Kathpress-Meldung über die Meinung der Herausgeber lauten so:

"Die kirchliche Umsetzung beschlossener Präventionsmaßnahmen gegen sexuellen Missbrauch in den eigenen Reihen muss nach Meinung der Autoren (...) verbessert werden." Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Erzdiözese Wien heißt es, "übliche Standards der Qualitätssicherung würden bislang noch zu selten umgesetzt (...)".

Werden keine klaren Konsequenzen gezogen, so die Autoren, "hat dies unausweichlich zur Folge, dass Missbrauch bagatellisiert wird und die Gruppe einen täterorientierten Weg einschlägt".

Diese Stellungnahme der Buchherausgeber, unter ihnen immerhin der geistliche Assistent des Pastoralamtes der Erzdiözese Wien, und die eingangs zitierte Erklärung der Pressestelle desselben Hauses sprechen eine sehr unterschiedliche Sprache. Kaum zu glauben, dass sie keine 24 Stunden auseinander liegen. Offensichtlich ist für die tatsächliche Kursbestimmung der Erzdiözese noch sehr viel zu tun.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Verantwortung der Päpste und des Vatikans am internationalen Missbrauchsskandal geklärt werden muss. Der derzeitige Papst hat bisher lediglich zur Schuld einzelner Priester und Bischöfe Stellung genommen. Zu den Vorgängen innerhalb der vatikanischen Mauern fand er kein Wort. Benedikts beharrliches Schweigen dazu macht ihn als Papst unglaubwürdig. (derStandard.at, 23.1.2012)