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Doppel-Mario: EZB-Chef Draghi (l.) finanziert Italiens Banken, die das Geld in die Kassen von Premier Monti weiterleiten.

Foto: EPA/Olivier Hoslet

Das Aufatmen ist groß, seit die Europäische Zentralbank (EZB) das Geldsystem der Währungsunion mit dreijähriger Liquidität versorgt. Die Banken reichten die billigen Kredite dankend an die Staaten weiter, wodurch sich die Finanzierung der Schuldenstaaten in den letzten Wochen deutlich entspannt hat. Doch risikolos sind die Operationen nicht. Bei der jüngsten Auktion schnappten sich allein die drei größten Geldhäuser Italiens, UniCredit, Intesa und Monte dei Paschi di Siena, 50 Milliarden Euro.

Die Transfers hinterlassen tiefe Spuren im Innenverhältnis der Währungsunion: Die Ausleihungen an Banken in den schwächeren Ländern steigen ständig, die stärkeren Staaten finanzieren die Kredite über ihre Zentralbanken innerhalb des Eurosystems. Diese internen Salden werden im Zahlungssystem "Target2" erfasst.

Mit den neuen Injektionen steht Italiens Zentralbank, die dezentral die Gelder an die Banken des Landes vergibt, nun mit 191 Milliarden Euro bei der EZB in der Kreide. Im August 2011 waren es noch 57 Milliarden. Auf 151 Milliarden Euro mehr als verdoppelt hat sich der negative Saldo der spanischen Zentralbank gegenüber dem Eurosystem. Dazu kommen weiterhin hohe Verbindlichkeiten der aufgefangenen Staaten Griechenland, Irland und Portugal.

Diese vom Münchner Ifo-Institut für den Standard erhobenen Daten zeigen klar, wer die Defizite finanziert:Wie bisher weist Deutschland mit 463 Milliarden Euro die mit Abstand höchsten Forderungen auf. Neu ist, dass die niederländische Zentralbank mit 145 Milliarden zum Großgläubiger aufstieg. Die zusätzlichen Ausleihungen Italiens wurden - vereinfacht gesagt - von Den Haag finanziert. Österreich hält seinen Saldo seit Jahren mit rund 30 Milliarden Euro Minus konstant.

Noch mehr Munition

Die Interpretation der Zahlen ist nicht unumstritten. Kein Zweifel besteht daran, dass die Ausleihungen der EZBein Risiko darstellen und ein Ausfall einer Notenbank auf das gesamte Eurosystem durchschlagen würde. Eine Auffangaktion würde nach dem Kapitalschlüssel der einzelnen Staaten an der Zentralbank erfolgen, meint die Deutsche Bundesbank. Ifo-Experte Timo Wollmershäuser meint hingegen, dass Deutschland und die Niederlande im Falle einer Insolvenz oder eines Euro-Austritts eines Schuldners auf ihren Forderungen sitzenbleiben würden.

Unabhängig davon dürfte die EZB ihr Waffenarsenal noch nicht ausgeschöpft haben. Sollten neue Schockwellen die Währungsunion erfassen, werden zusätzliche Interventionen der Notenbank erwartet. Dass sich die Frankfurter Währungshüter dann wieder stärker der Staatsfinanzierung widmen dürften, hängt mit dem Fiskalpakt zusammen, den 26 EU-Partner (ohne Großbritannien) gerade endverhandeln und der beim Finanzministertreffen am Dienstag abgesegnet werden soll.

Die stärkere und rechtlich verbindliche Budgetkonsolidierung wird als Auflage von EZB-Präsident Mario Draghi gesehen, die ihm eine Ausweitung der Ankäufe staatlicher Schuldverschreibungen ermöglicht. Dieser "unausgesprochene Konsens" , wie es ein Experte in Brüssel formuliert, könne von der EZBmit dem Ziel der Finanzmarktstabilität argumentiert werden.

Beim Fiskalpakt verpflichten sich die Mitglieder, das Defizit auf 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu begrenzen und die Schulden in Richtung 60 Prozent abzubauen. Das Abkommen sieht bei Verstößen Strafen von 0,1 Prozent des BIP vor, was Österreich rund 300 Millionen Euro kosten würde. Ebenfalls vorgesehen sind Schuldenbremsen, wobei diese nun doch nicht verpflichtend in der Verfassung verankert werden müssen. Von einer Verwässerung sprechen Verhandler dennoch nicht, weil manche Länder nur fundamentale Prinzipien in ihre Grundgesetze aufnehmen, andere - wie Großbritannien - über gar keine geschriebene Verfassung verfügen.

Kommission im Abseits

Im Unterschied zu früheren Vorlagen kann das Höchstgericht nur von einem Mitgliedsstaat angerufen werden, nicht aber von der EU-Kommission. Als Kernelement des dem Standard vorliegenden Entwurfs gilt, dass ein Verfahren gegen einen Budgetsünder nur mit qualifizierter Mehrheit abgeschmettert werden kann.

Trotz der zuletzt erzielten Fortschritte wird noch heftig um Details gerungen. Frankreich etwa soll laut Verhandlern Probleme mit der Einbindung des Europäischen Gerichtshofs haben. Mehrere Staaten sind gegen Geldstrafen. Italien wiederum wehrt sich gegen die Einleitung eines Verfahrens wegen des Schulden-Kriteriums. Bewegung gibt es auch bei der Finanztransaktionssteuer. Um die gesamte EUins Boot zu holen, plädiert Deutschlands Wirtschaftsminister Philipp Rösler für eine Börsenumsatzsteuer. Ein Regierungssprecher in Berlin reagiert positiv. (Andreas Schnauder, DER STANDARD, Printausgabe, 23.1.2012)