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John Chambers, Leiter der Staaten-Bonitäten bei S&P: "Kaum Schlagzeilen" hätte man vor 2008 gemacht.

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Die Zinsaufschläge ("Spreads") von portugiesischen oder griechischen Staatsanleihen auf deutsche Schuldtitel waren jahrelang minimal.

Grafik: Standard and Poors

Die Lohnkosten stiegen nur in Deutschland nicht himmelwärts.

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Vor allem Spanien kämpfte mit einem großen Leistungsbilanzdefizit.

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Die Ratingagenturen stehen im Kreuzfeuer der Kritik. In vielerlei Hinsicht sind sie aber den Anlegern zuvorgekommen. Gemessen an den Ratings mussten Italien, Portugal und Griechenland in den Boomjahren vor der Krise viel zu niedrige Zinsen zahlen. Neben den Schulden heißt das Credo damals wie heute: In einer Währungsunion rächen sich große Produktivitätsunterschiede. Ohne entsprechende Fiskal- und Lohnpolitik wirkt der Euro wie eine Brennlinse, die das "survival of the fittest" befördert und die Peripherieländer durchfallen lässt.

Den Euro gibt es seit 1999, seit 2002 wird damit gezahlt. Bis 2008, also ganze neun Jahre, haben sich die Zinsen auf Staatsanleihen kaum unterschieden. Italien zahlte kaum mehr Zinsen als Deutschland. Eine Art "Eurobonds", wie man sie sich wünschen würde. Niedriges Zinsniveau für alle. Heute freilich muss Italien doppelt so hohe Zinsen auf frisch geliehenes Geld leisten wie damals. Deutsche Schuldpapiere hingegen werfen so wenig ab wie je zuvor. Sogar Negativzinsen machen die Runde. Bildlich gesprochen hat die Brennlinse Euro bei den Kernländern ein (Export-) Feuer entfacht, während die Peripherieländer im Regen stehen.

Der Grund, warum die Finanzierung von Krisenländern verunmöglicht wurde, ist eine große Produktivitätskluft. Während in Deutschland die Arbeitskosten über Jahre praktisch unverändert blieben, stiegen sie in den Krisenländern Griechenland, Portugal und Irland, aber auch in Spanien und Italien eklatant an. Zudem fährt Exportweltmeister Deutschland einen gewaltigen Außenhandelsüberschuss nach dem anderen ein, während in den Peripherieländern die Einfuhren die Ausfuhren bei weitem übersteigen.

Ratings sahen Markt voraus

Die Ratingagenturen rühmen sich nun damit, dass ihre Ratings der Jahre 2004-2008 viel kritischer als der Markt gewesen wären. Die Anleger hätten jahrelang die Herabstufungen von Italien, Portugal und Griechenland ignoriert, meint John Chambers, der beim weltweit größten Bonitätsprüfer Standard and Poors (S&P) jenem Komitee vorsteht, das weltweit für Staatsanleihen-Ratings verantwortlich zeichnet. "Kaum Schlagzeilen" hätte das damals hervorgerufen, so Chambers in einer Rede, die er auf einer Konferenz der chinesischen Mediengruppe Daixin im November letzten Jahres in Peking gehalten hat. Erst mit dem Aufkommen der Finanzkrise 2008 wäre der Markt vorsichtiger geworden, die Angst hätte die (Schuldenre-) Finanzierung dieser Staaten immer teurer gemacht und zu dem geführt, was jetzt als Schuldenkrise benannt wird.

In der Tat stufte S&P Italien schon 2004 auf die viertbeste Note AA- ab. Vor dem Abstufungsreigen der letzten Jahre ging es 2006 um eine weitere Stufe hinunter. Auch bei Portugal war man vorsichtiger als die Anleger. 2005 wurde das Land auf die sechstbeste Note A herabgestuft. Das gilt zwar noch als sichere Anlage, die Zinsaufschläge auf die maßgeblichen deutschen Staatsanleihen hätten aber viel höher sein müssen. Nur bei Spanien sah man die Immobilienblase nicht voraus und wertete erst in Krisenzeiten ab. Mit der Krise kamen dann die hohen Zinsen - und in Kombination mit den schlechten Wirtschaftsaussichten werteten die Ratingagenturen weiter kräftig ab.

Günstige Staatsfinanzierung birgt hohes Risiko

Die öffentlichen Schulden sind für die Ratingagenturen dabei nicht einmal prioritär. Sie fürchten vor allem die Verschuldung der Banken. Die Kreditinstitute haben sich in den letzten Jahren nämlich nicht nur mit den - so oft für die Krise haftbar gemachten - verbrieften Immobilienkrediten vollgesogen. Sondern eben just auch mit den Staatsanleihen der Krisenländer. S&P-Analyst Chambers führt dabei einen Punkt ins Treffen, der viel damit zu tun hat, wie sich die Krise ausgebreitet hat: Staatsanleihen werden nicht mit Eigenkapital hinterlegt. Sie werden gesetzlich als risikolose Bummelbahn im Finanzjahrmarkt eingestuft, sicherer als jeder Unternehmenskredit. "Das spielte eine Anreiz stiftende Rolle bei der Staatenfinanzierung", betonte Chambers. Und selbst wenn die Staatsanleihen auf dem freien Markt - Schuldpapiere können wie Aktien weiterverkauft werden - radikal verloren haben, tauchten diese in den Bankbilanzen in der Regel mit dem vollen Nominalwert auf. Das galt vor allem für die langjährigen Staatstitel.

Im Laufe der letzten Jahre haben sich die im Englischen "Sovereigns" genannten Papiere von der Bummelbahn zur Achterbahn ohne Gurtpflicht entwickelt. Was aber nichts daran ändert, dass eine Fahrt von den Regulatoren noch immer als sicher eingestuft wird. Beim Kauf von Staatspapieren minderer Qualität - zum Beispiel portugiesische - muss in Deutschland immer noch kein Eigenkapital unterlegt werden. Dazu kommt die große Liquidität im Markt. Die europäische Zentralbank pumpte in den letzten Monaten hunderte Milliarden Euro in das Geldsystem. Doch die Banken denken nicht daran, ihre Kreditvergabe an die Privatwirtschaft im gleichen Ausmaß zu steigern. Der Anreiz ist zu groß, in die nicht zu besichernden Staatsanleihen zu investieren. Aber: Die Staaten scheuen davon zurück, diesen Stimulus wegzunehmen. Es würde bedeuten, sich die eigene Refinanzierung zu verteuern. Eine "negative Feedback-Spirale" sieht Chambers in der Eurozone daraus emporwachsen.

Gemeinsam oder einsam

Das Herz der Krise bleiben für Chambers aber die Produktivitätsunterschiede innerhalb der Union. In Krisenzeiten würden die Anleger auf die produktivsten Länder, nicht auf die sparsamsten setzen. So hat Deutschland weit mehr Schulden als Spanien, aber eben auch eine viel wettbewerbsfähigere Wirtschaft. Die Anleger wüssten, dass in einem Binnenmarkt wie der Eurozone keiner seine Währung abwerten kann, dass die entwickelteste Ökonomie immer gewinnt, dass die Exportstaaten verkaufen - bis kein Geld mehr da ist. Dazu kommt, dass die EZB keine Staaten direkt finanziert.

Wenn es die Eurozone in dieser Form weiter geben soll, führt für Chambers kein Weg an einer Fiskalunion und einer neuen Arbeitsmarktpolitik vorbei. Er rechnet mit sinkenden Nominallöhnen - nicht nur, aber vor allem in den Krisenstaaten. So habe Irland seine Lohnstückkosten in den letzten drei Jahren um 15 Prozent drücken müssen. Für Chambers führt an diesen harten Einschnitten kein Weg vorbei: "Wir glauben, dass diese Schritte auf grundlegende Ungleichgewichte abzielen, während sich Debatten über die Höhe und Art von Hilfskrediten nur auf die Symptome der Probleme richten." (sos, derStandard.at, 20.1.2012)