Karin Yoko Jochum, Nancy Mensah-Offei, Sandra Selimovic, Paul Brusa und Benjamin Muth in "Verrücktes Blut"

Foto: Yasmina Haddad

Wien - Es bedarf einiger vertrauensbildender Maßnahmen, um eine Schulklasse von halbstarken Migrantenkindern zur Lektüre von Friedrich Schiller zu bewegen: Bildungsballast, so lehrt es die Erfahrung, dient nicht in jedem Fall der interkulturellen Verständigung. Die zierliche Klassenlehrerin (Karin Yoko Jochum) im Tweedkostüm hat sich der ästhetischen Erziehung des Menschengeschlechts verschrieben. In Verrücktes Blut, dem postmigrantischen Erfolgsstück von Nurkan Erpulat und Jens Hillje, wird der deutsche Idealismus in terroristischen Dosen an lärmende, ungezogene Türken-Kids verabreicht. Die Pädagogin bittet mit vorgehaltener Schusswaffe zum improvisierten Bühnenspiel.

Der schillernde Text, mit dessen Erstaufführung die Wiener Garage X ihre Reihe Pimp my Integration fortsetzte, ist ein echter Anti-Sarrazin. Er macht Schluss mit einer Reihe von Dominanzvorstellungen, wie sie hier-, aber auch andernorts durch leitkulturell verseuchte Gehirne spuken.

Immer dann, wenn man glaubt, Verrücktes Blut mache es sich im Konsensbereich gemütlich und werfe mit Ghetto-Kids-Klischees nur so um sich, biegt der Text schon wieder um die nächste Ecke. Die Frau Lehrerin durchläuft in Volker Schmidts feiner Inszenierung ihrerseits ein pädagogisches Programm: Sie muss um die Zustimmung der Schutzbefohlenen, denen sie die Knarre vor die Nase hält, auch leidenschaftlich werben. Selbstgewissheit paart sich mit dem Jammer der Überforderung: Jochum schafft als schießwütige Frau Professor Kelich einen hinreißenden Spagat.

Das flennende Klassenzimmer (Austattung: der Regisseur) beherbergt ein paar eindrucksvolle Typen, die sich auch für die Intonation kerniger Volkslieder nicht zu gut sind: voran Mustafa Kara als kleinkrimineller Wohnsilo-Mafioso, dem wie seinen Mitschülern das "Schlampe"-Sagen gründlich ausgetrieben wird. Was aber bleibet, stiften nicht die Dichter, sondern die kulturelle Integration!   (Ronald Pohl / DER STANDARD, Printausgabe, 20.1.2012)